Asylverschärfung in Brüssel: Die Grünen sind erstaunlich still
Obwohl die Ampelkoalition einer weiteren Verschärfung des EU-Asylrechts zustimmen will, bleibt lautstarke Kritik der Grünen aus. Nur einer schert aus.
Berlin taz | Als im Juni die Bundesregierung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS, zustimmte, brach in Teilen der Grünen ein Sturm der Entrüstung los. Vom Ausverkauf grüner Werte war die Rede, schließlich war die Partei angetreten, die Lage von Geflüchteten zu verbessern. Sogar die Partei- und Fraktionsvorsitzenden zeigten sich in der Frage demonstrativ gespalten. Es brauchte zähe parteiinterne Verhandlungen und einen kleinen Parteitag in Bad Vilbel, um die Wogen wieder zu glätten. Das scheint nun anders zu sein.
Seit am Donnerstag die Bundesregierung verkündete, mit der Krisenverordnung einer weiteren deutlichen Verschärfung des Asylrechts auf europäischer Ebene zuzustimmen, beibt es bislang bei den Grünen erstaunlich still. Einer der wenigen, der sich neben einigen Fachpolitiker*innen öffentlich klar positioniert, ist Timon Dzienus, der Co-Chef der Grünen Jugend.
„Die Krisenverordnung öffnet Tür und Tor für rechte Regierungen in Europa, wie die Faschisten in Italien, die Rechte der Geflüchteten maximal zurückzufahren“, sagte Dzienus der taz. Es könne möglich werden, dass alle Geflüchtete in den Lagern an den Außengrenzen landen oder einfach durchgewinkt würden. Das bedeute noch mehr Chaos und noch mehr Leid. „Dem darf die Ampel nicht zustimmen“, forderte Dzienus.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag angekündigt, dass Deutschland der Krisenverordnung im Grundsatz zustimme. Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, trug dies mit. Sie verwies darauf, dass man noch etliche Punkte in den Text herein verhandelt habe. Welche Punkte das genau gewesen sein sollen, ließ sie allerdings offen.
Der Kanzler will Faeser den Rücken stärken
Die Krisenverordnung sieht Sonderregeln für EU-Staaten an den Außengrenzen vor, wenn dort besonders viele Migrant*innen ankommen. Eine Einigung der Innenminister war am Donnerstag an einem weiteren Verhandlungsbedarf Italiens allerdings gescheitert.
Dzienus, der sonst auch gerne mal die eigenen Leute angeht, kritisierte besonders Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf. Dieser hatte am Mittwoch mit einem angeblichen Machtwort für Furore gesorgt. Zwar heißt es von den Grünen, dass es dieses Machtwort gar nicht gegeben habe, aber Scholz Message war klar: An Deutschland werde eine Einigung im Brüssler Asylstreit nicht scheitern.
Nicht nur Dzienus empfand das als Schwächung der deutschen Verhandlungsposition. Scholz Vorstoß habe innenpolitische Gründe, ist Dzienus sicher. Der Kanzler wolle Faeser, die bei der Landtagswahl in Hessen in einer guten Woche als SPD-Spitzenkandidatin antritt, den Rücken stärken. Dafür das Leid von Geflüchteten in Kauf zu nehmen, sei „schäbig“.
Als sich im Juni die EU-Innenminister auf die umstrittene GEAS-Reform geeinigt hatten, gab es innerhalb der Grünen noch scharfe Kritik an Baerbock, die die Entscheidung mitgetragen hatte. Solche Kritik ist bislang kaum zu hören. Statt dessen heißt es immer wieder, auch von Parteilinken: Man sehe, dass Baerbock sich stark für Verbesserungen eingesetzt habe.
Landtagswahlen spielen ebenfalls eine Rolle
Am Wochenende hatte die Außenministerin öffentlich mitgeteilt, dass die Bundesregierung der Krisenverordnung in der damaligen Form nicht zustimmen könne. Dies habe neue Bewegung in die Sache gebracht, heißt es. Auch habe Baerbock parteintern besser kommuniziert als bei GEAS.
Die Grünen haben in den vergangenen Tagen in vielfachen Runden und Chats über die Lage beraten. An die interne Bitte, die Füße still zu halten, bis es eine endgültige Entscheidung in Brüssel gebe, halten sich aber bislang die meisten. Wichtig dürfte dafür nicht nur sein, dass es eine endgültige Bewertung erst geben kann, wenn die Krisenverordnung wirklich beschlossen ist.
Aber auch die anstehenden Landtagswahlen spielen dabei natürlich eine Rolle. Den Wahlkämpfer*innen will man es nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin haben. Denn, und das ist ein weiterer Grund: Die Grünen und ihre Positionen stehen stark unter Druck von rechts.
Die Anspannung in der Partei ist groß, das ist in vielen Gesprächen zu spüren. Manche meinen, man müsse weniger ideologisch, sondern pragmatischer vorgehen. Andere sind der Ansicht, man müsse viel offensiver progressive Positionen vertreten. Timon Dzienus sagt: „Vielleicht ist der Unmut sogar größer als im Juni, weil die Koalition dem Druck von rechts immer mehr nachgibt.“
Leser*innenkommentare
Philippe Ressing
Da es nur noch um das drängeln nach Ministerstühlen geht, verstummt das Gewissen...
LeKikerikrit
@Philippe Ressing Sagen Sie mal, was denken Sie eigentlich, was die Menschen bewegt in die Politik zu gehen? Sie wollen etwas in ihrem Sinne/Partei bewegen. Und dazu braucht man einfach Zugriff auf die höchsten Ämter, die in unserer Demokratie zu vergeben sind. Opposition ist Mist, wie schon Old Münte wußte.
Philippe Ressing
@LeKikerikrit Und zu oft wird an der regierung sein mit macht ausübung verwechselt.
Kompromissse eingehen und sich selbst dabei aufgeben, alte erfahrung...
Nairam
Zu Beginn der Legislaturperiode haben viele Grüne offenbar naiv geglaubt, sie könnten ihre Partikularinteressen in der Koalition 'irgendwie' von den Realos durchdrücken lassen.
Doch nun werden die Brötchen zunehmend kleiner. Und so richtig schmecken tun sie auch nicht mehr.
Tanz in den Mai
@Nairam Es gibt gar keine Brötchen sondern Pferdewurst, geräuchert. Und gerade Themen wie dieses als Partikularinteresse "vieler" Grüner auszumachen, ist alternative Geschichte. Das passte vielleicht auf die Linke! Aber hier geht's um bisherigen Markenkern, das wo sich Realos und "linker" Flügel immer einig waren. Das sind entspr. Überschriften des (noch) geltenden Programms und ich wüsste nicht, welche Realos damals dagegen gestimmt haben? Dann wäre es nicht angenommen worden. Das wurde nicht zuletzt getragen *von* Realos, eben wie Annalena Baerbock und Robert Habeck. Auch sehe ich nicht, wie man im Zusammenhang mit einer Anti-Reform, in dem Fall ja der massiven Verschärfung und Schleifung des Asylrechts bzw. der bisherigen Praxis, und nicht etwa seiner Liberalisierung, von Durchdrücken reden kann. Es wird von dieser Partei gar nicht mehr erwartet als nur das Schlimmste zu verhindern; an Deutschlands Position hinge da einiges, warum wohl die Aufregung um den kompletten Spurwechsel der Bundesregierung, das wird erst möglich duch die Grünen! Auch waren nicht alle so naiv, bei der Wahl, erst recht aber von der Ampel, je viel mehr erwartet zu haben. Nun können sie nicht nur nichts verhindern, sie schwenken gleich selbst auf den Ungeist dieser Zeit ein und stimmen mit. Das hat nichts mit Realpolitik zu tun. Realpolitik wäre es die Regierung konsequent zu verlassen und dann eben mit anzusehen, aber auch zu provozieren, wie SPD/FDP es stattdessen mit (Duldung) der Union umsetzen (müssen). Realpolitik wär so ehrlich. Das hier ist das Gegenteil, wo alles und jeder austauschbar wird und beliebig, wächst nur noch Politikverdruss.
Rudi Hamm
Hart formuliert würde ich sagen "die Grünen haben ihre Wähler verarscht". Die Wahlumfragen strafen sie gerade dafür ab, viel grünes gibt es bei den Grünen im Bund nicht mehr.
paul meder
@Rudi Hamm Da muss ich widersprechen! Nur ist das Grün jetzt olive/camouflage.
Ein massives Eintreten für Assange Freilassung, bei den transatlantischen Freunden, wird sicher noch kommen.
Navitrolla
"Scholz Vorstoß habe innenpolitische Gründe, ist Dzienus sicher."
Hach, Der gute Mann sollte sich in Europa mal umsehen, welche Positionen momentan Mehrheitsfähig sind - und welche nicht. Und wenn er sich dann noch vergegenwärtigen würde, welche Message eine Deutsche Blockade an für regelmäßige Blockaden zurecht gescholtene Länder wie Ungarn senden würde, dann sollte ihm spätestens klar werden, dass an dieser Front zu kämpfen derzeit nichts bringt. Es ist nichts zu erreichen, aber maximaler Schaden kann angerichtet werden.Sowas ist aber Job der FDP.
Perkele
Wie wär's den damit?
weact.campact.de/p...ht-die-fluchtlinge
Zebulon
"Timon Dzienus sagt: „Vielleicht ist der Unmut sogar größer als im Juni, weil die Koalition dem Druck von rechts immer mehr nachgibt.“"
Die kapieren nicht, daß sie von den Braunen am Nasenring durch die Arena gezogen werden und daß sie, so willfähriger sie werden, um so öfter vorgeführt werden. 'Seht doch, was für charakterlose Leute das sind' heißt es dann (nicht ganz falsch) von rechts : Schon fallen ihre Prinzipien, diejenigen der Gutmenschen.
Das Maul zu halten, still dem politischen Gegner auf den Leim zu gehen auf Kosten der Armen der Erde und zugunsten der Reichen hierzulande - das kann sich eben kein/e ehrliche/r PolitikerIn leisten.
Mein Verständnis ist alle.