piwik no script img

Neonazi-Angriff in BerlinJunge Jour­na­lis­t*in­nen geschlagen und getreten

Neonazis haben am Berliner Bahnhof Ostkreuz zwei Jour­na­lis­t*in­nen angegriffen, die zuvor beim CSD in Bautzen fotografierten. Bereits im Zug gab es Bedrohungen.

Teilnehmer des Neonazi-Aufmarschs gegen den CSD in Bautzen Foto: Christian Mang/reuters

Berlin taz | Die Berliner Polizei ermittelt gegen zwölf Neonazis im Alter zwischen 17 und 46 Jahren, die am späten Sonntagabend am Bahnhof Ostkreuz in Friedrichshain zwei junge Jour­na­lis­t*in­nen mit Schlägen und Tritten attackiert haben, wie die beiden Angegriffenen der taz bestätigten. Die Täter waren zuvor mit der Regionalbahn aus dem sächsischen Bautzen gekommen, wo sie an einem rechtsextremen Aufmarsch gegen den Christopher Street Day (CSD) teilgenommen hatten.

Fotos von der Situation, die der taz vorliegen, zeigen, wie sich eine Gruppe von Neonazis gegen 23.20 Uhr auf einem Bahnsteig den beiden Jour­na­lis­t*in­nen nähert. Auch eine Ausholbewegung und ein Schlag sind darauf zu sehen. Ein Video einer anderen Quelle zeigt wenige Augenblicke später hektische Szenen auf dem darüberliegenden Ringbahnsteig. Po­li­zis­t*in­nen verfolgen schwarz gekleidete Personen, die in Richtung eines Ausgangs rennen.

Laut einem Sprecher der Polizei wurden noch vor Ort die Personalien der zwölf aufgenommen, einer sei erkennungsdienstlich behandelt worden. Vorgeworfen wird ihnen Landfriedensbruch. Die beiden Angegriffenen, die zuvor ebenfalls in Bautzen zum Fotografieren waren, aber bereits auf anderem Weg nach Berlin zurückgekommen waren, mussten nicht ärztlich behandelt werden. Der Angriff auf sie sei nicht zufällig erfolgt, so eine der Geschädigten: „Die Neonazis kennen uns.“

Eine mögliche Attacke durch Neonazis hatte sich schon zuvor angedeutet. Gegen 21.30 Uhr machte in linken Chatgruppen ein Hilferuf von Teil­neh­me­r*in­nen des CSD die Runde. Demnach befänden sich mit ihnen etwa 30 bis 40 „gewaltbereite, alkoholisierte“ Neonazis im RE2 von Cottbus Richtung Hennigsdorf. Aufgrund dieses Hilferufs hatten sich auch die freien Jour­na­lis­t*in­nen zum Ostkreuz bewegt.

Vermummte Neonazis an Zugtür

Mehrere Fotos aus dem Zug, die die taz einsehen konnte, zeigen Neonazis an einer Verbindungstür zwischen zwei Abteilen. Einem Augenzeugen zufolge hatte die Zugbegleiterin die Tür bei der Abfahrt in Cottbus verschlossen. Auf einem Bild formen die Männer mit ihren Händen die „White Power“-Geste.

Einige der abgebildeten Personen können den Neonazi-Gruppierungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV), „Berliner Jugend“ sowie „Deutsche Patrioten Voran“ zugerechnet werden. Sie sind in der Vergangenheit immer wieder bei Aktionen der Gruppen in Berlin und Brandenburg in Erscheinung getreten.

Polizei glänzt mit Abwesenheit

„Die Situation war sehr bedrohlich“, erzählt ein Augenzeuge am Montag der taz. „Die Neonazis standen an der verschlossenen Tür, haben posiert, sich vermummt und dann minutenlang versucht, die Tür aufzubrechen.“

Laut dem Antifaschisten haben die Schikanen bereits am Bahnhof in Bautzen angefangen. Dort seien die Neonazis noch in einen anderen Zug gesteckt worden. Darunter befand sich nach taz-Informationen auch der bereits im April zu einer mehr als dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilte Anführer der „Deutschen Jugend Voran“ Julian M.

Beim Umstieg in Görlitz seien die abreisenden CSD-Teilnehmer*innen aber wieder auf sie getroffen. Die Stimmung sei aggressiv gewesen, es habe eine Konfrontation am Bahnsteig gegeben – und zunächst seien nur zwei Beamte der Bundespolizei vor Ort gewesen.

Bedrohliche Szenen am Bahnhof Ostkreuz: Neonazis auf dem Rückweg vom Aufmarsch gegen den CSD in Bautzen Foto: Rechts im Bild

Die Gruppen seien erneut getrennt worden, aber wegen der Verzögerungen in Görlitz habe man in Cottbus den Zug nach Berlin verpasst. Am Cottbuser Hauptbahnhof hätten zudem schon weitere Neonazis auf die An­ti­fa­schis­t*in­nen gewartet, sich am Ausgang postiert.

Schließlich landeten beide Gruppen in der gleichen Regionalbahn. Polizei sei zu keinem Zeitpunkt mit im Zug gewesen.

Ausstieg am Ostkreuz statt am Alexanderplatz

Die CSD-Teilnehmer*innen aus dem Zug baten angesichts der Bedrohungen um eine Abholung am Bahnhof Alexanderplatz in Mitte. Dort fanden sich dann zur Zugankunft gegen 23.30 Uhr nach Schätzung von Beteiligten bis zu 200 An­ti­fa­schis­t*in­nen ein, die sich am Bahnsteig und an den Ausgängen postierten.

„Am Alex war es richtig toll, es wurde gejubelt, die Leute hatten Kekse dabei und Wasser“, sagt der Augenzeuge. „Es ist eine schöne Erfahrung von Gemeinschaft, wenn Sonntag am späten Abend spontan so viele Leute mobilisiert werden.“

Doch die Neonazis waren bereits zehn Minuten zuvor am Ostkreuz ausgestiegen. Dort kam es noch zu Pöbeleien mit den im Zug verbliebenen ehemaligen CSD-Teilnehmer*innen. Als diese dann weiterfuhren, erfolgte der Angriff auf die Journalist*innen.

Die mutmaßliche Attacke vom Sonntagabend ähnelt einem Vorfall vom vergangenen Sommer. Damals hatten vermummte Neonazis eine Gruppe An­ti­fa­schis­t*in­nen überfallen, die sich zur gemeinsamen Anreise zu einer Demonstration verabredet hatten.

Hinweis: In einer früheren Fassung hieß es, bei den Angegriffenen habe es sich um CSD-Teilnehmende auf der Rückreise gehandelt. Inzwischen ist klar: Die Betroffenen waren als Jour­na­lis­t*in­nen in Bautzen und haben dort die rechtsextreme Gegendemo fotografiert.

🏳️‍⚧️ SHANTAY. YOU PAY. 🏳️‍🌈

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Informationen auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich aber leisten kann, darf einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Ach ein paar besorgte Bürger, die uns vor der pöhsen Antifa beschützen. Vielen Dank!

  • Ja, es ist wirklich bedenklich, was sich da entwickelt.



    Beide Seiten werden immer radikaler und gewaltbereiter.



    Das Ende von Weimar sah tatsächlich ähnlich aus.



    Eine mehr oder weniger machtlose Staatsmacht und hemmungslos aufeinander einprügelnde SA und Rotfront ersetzten eine zielführende Sachpolitik. Der Reichstag verkam zur Possenbühne.

    Doch jetzt ist Angst ein genauso schlechter Berater wie Hass.



    Diese Art Schlachten kann man schlagen, aber nicht gewinnen.



    Am Ende verliert die Demokratie.

  • "Polizei glänzt mit Abwesenheit"- Ach. Ist ja was ganz Neues. Sind halt keine Klimakleber, ne?

  • Richtig so, Gewalt gegen Menschen egal von wem und aus welchen Beweggründen muss strafrechtlich verfolgt und hart bestraft werden.

  • Mir geht als Sorbe bei Ansicht des deutschen Packs mit Unsere Stadt Plakaten in Bautzen so richtig das Herz auf. Die stammen wie die meisten der heutigen deutschen Bautzener auch noch großteils selbst von Vertriebenen aus den Ostgebieten ab. Wo bleibt die Remigration wenn wir sie mal brauchen könnten?

  • Ich dachte, Deutschland hätte solche Probleme mit Faschisten überhaupt nicht, sondern einzig Palästinenser und Muslims.

  • Es muss endlich eine angemessene Gegenwehr geben. Und es muss Schluss sein mit Kinkerlitzchen wie der Verhinderung eines Zauns um einen Park - das hat nichts im geringsten etwas mit linker Politik zu tun uznd schon gar nichts mit Antifaschismus.

    Antifaschismus ist, wenn Rechtsextreme wirklich Angst haben vor Linken.

  • Ich check die Reihenfolge der Vorgänge nicht ganz. Mich stellt sich die Frage, wurde die Polizei sofort um Hilfe gerufen? Es ist doch eine unerträgliche Gefahrensituation, wenn queere Menschen und Antifas der Gegenwart von Nazis in einem Zugabteil ausgesetzt sind.

  • Sieht so die neue SA aus?



    Wo war die Polizei?



    Ende der 1920 fing es ähnlich an.

    • @Captain Hornblower:

      Jede Gleichsetzung mit der Ermordung von 7 Milionen Juden und 68 Millionen Kriegstoten werden durch sie relativiert.

      Letztes Jahr wurden in Deutschland ca. 626000 Fälle von Körperverletzung angezeigt, Es ist selbstverständlich schlimm wenn rechtsradikale andere Menschen verletzen, aber wir sind nicht auf dem Weg ins 4. Reich.

    • @Captain Hornblower:

      Haben Sie es überlesen?

      "Auch eine Ausholbewegung und ein Schlag sind darauf zu sehen. Ein Video einer anderen Quelle zeigt wenige Augenblicke später hektische Szenen auf dem darüberliegenden Ringbahnsteig.



      Po­li­zis­t*in­nen verfolgen schwarz gekleidete Personen, die in Richtung eines Ausgangs rennen."

      " ...bereits am Bahnhof in Bautzen angefangen. Dort seien die Neonazis noch in einen anderen Zug gesteckt worden."

      Ich habe so meine Zweifel, ob man das mit 1920 vergleichen kann.

    • @Captain Hornblower:

      na ja, die Milizen der 1920er Jahre waren dann aber doch eine andere Kategorie als die paar Rechten, die mit den Bunten ein wenig Fangamandl spielen wollten, oder?

    • @Captain Hornblower:

      Die Polizei? In Berlin oder Sachsen halten die sich bei solchen Angriffen zurück. Die schonen ihre Kräfte für gefährliche Klima-Kids, die den Verkehr behindern. Und: wir sind schon deutlich weiter als 1920, etwa bei 1929 - warte mal ab was die nächste LTW oder gar die BTW zeigen....

    • @Captain Hornblower:

      Stimmt, Straßenschlachten zwischen rechte und linken Verbrechern

    • @Captain Hornblower:

      Da war sie: "Laut einem Sprecher der Polizei wurden noch vor Ort die Personalien der zwölf aufgenommen, einer sei erkennungsdienstlich behandelt worden. Vorgeworfen wird ihnen Landfriedensbruch. "