Nach Wiederholungswahl in Berlin: Die SPD gibt klein bei

Franziska Giffey will die SPD in eine Koalition mit der CDU führen – als Juniorpartnerin. Dabei wäre Rot-Grün-Rot möglich. Warum verzichtet sie auf Macht?

Will sich demnächst mit einem Senatorinnenposten begnügen: Franziska Giffey Foto: Maurizio Gambarini/Funke/Imago

Wenn Politik das Streben nach Macht ist, wie der deutsche Soziologe Max Weber schrieb – was macht Franziska Giffey dann beruflich? Berlins Noch-Regierende Bürgermeisterin hat ihre SPD nach den Sondierungsgesprächen mit Linken und Grünen auf der einen Seite und mit der CDU auf der anderen in dieser Woche in Richtung einer Koalition mit der Union gelenkt. Anders als bei einer möglichen Fortsetzung von Rot-Grün-Rot wird die SPD dabei lediglich Juniorpartnerin. CDU-Landeschef Kai Wegner dürfte also Regierender Bürgermeister werden – der erste seiner Partei seit 22 Jahren.

Die Sozialdemokraten verzichten also bereitwillig auf die Macht im Land, obwohl nach Einschätzung von Grünen und Linken alle inhaltlichen Hürden in den Sondierungen überwunden werden konnten. Das hat viele Konsequenzen, in Berlin und auch im Bund. So verschieben sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat durch eine große Koalition ein wenig weiter zuungunsten der Ampelregierung.

Drastische Folgen hat der Schritt – sofern die Parteibasis am Ende einem schwarz-roten Koalitionsvertrag zustimmt – nicht zuletzt für Giffey selbst. Statt Regierungschefin will sie künftig nur noch Senatorin sein. „Ich habe mich entschieden, meinen persönlichen Beitrag zu leisten“, sagte sie am Mittwochabend nach der Entscheidung des Berliner SPD-Parteivorstands. „Ich mache das für Berlin, und ich mache es für die SPD.“

Darf man ihr das abnehmen? Ist das gar ein Machtkalkül?

Wenig nachvollziehbar

Die Entscheidung irritiert. Erst ein Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Ministerpräsident zurückgetreten, aber im Kabinett verblieben: Hubert Ney, der von 1956 bis 1957 das Saarland regierte und dann bis 1959 noch Justizminister dort war.

Andererseits kann man sagen, dass Giffey auch die erste und bisher einzige Bundespolitikerin ist, die die Aberkennung ihres Doktortitels politisch überlebt hat. Sie hat Erfahrung, mit krassen Rückschlägen erfolgreich umzugehen.

Wenig nachvollziehbar ist der Schritt der SPD aber vor allem, weil Giffey ihn damit begründet, ihre Partei vor weiteren Stimmverlusten retten zu wollen. Sie möchte nicht in drei Jahren eine SPD sehen, „der es schlechter geht als jetzt“, hat sie erklärt.

Dahinter steckt der Gedanke, dass allein ihre Partei von den Wäh­le­r*in­nen abgestraft wurde für Fehler und nicht eingelöste Versprechen, während die Regierungspartner Grüne und Linke bei der Wiederholungswahl am 12. Februar nur akzeptabel wenige Stimmen verloren. Giffeys Sorge ist offenbar, dass weitere drei Jahre in dieser Koalition die Grünen zur stärksten linken Kraft machen könnten.

Ob diese Furcht begründet ist, ist fraglich: Den Grünen unter Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist es auch bei deren zweitem Anlauf nicht gelungen, mehr als ihre Kernklientel zu mobilisieren. Dabei gehört Jarasch, bekennende Katholikin und Reala, zum weniger polarisierenden Spitzenpersonal der Partei. Der Stimmenverlust der SPD ist nicht der Konkurrenz von links geschuldet, sondern jener von rechts: Giffey hat ihre Beliebtheit überschätzt und es anders als 2021 nicht geschafft, CDU-Wähler*innen zur SPD zu ziehen.

Nun ausgerechnet in den Schoß einer „großen Koalition“ – die zahlenmäßig längst keine mehr ist – mit der CDU zu kriechen, widerspricht auch allen SPD-Analysen der vergangenen zwei Jahrzehnte, zumindest auf Bundesebene. Dort verblassten die Sozialdemokraten, obwohl sie zahlreiche sozialpolitische Projekte durchsetzen konnten, neben Angela Merkel fast zur Nischentruppe. Giffey hingegen glaubt an die Profilierung: „In dieser Position kann die SPD ihr soziales Profil schärfen. So kann und soll sie zu neuer Kraft kommen.“

Auch das sozialdemokratische Verhandlungsteam hat es geschafft, der CDU viele inhaltliche Zugeständnisse abzuhandeln bei Integration, Verkehr sowie Arbeit und Soziales. So wird das von der SPD geliebte 29-Euroticket für Berlin bleiben, auch wenn das „Deutschlandticket“ im ÖPNV kommt. In vielen anderen Bereichen hatten Giffey und Wegner bereits im Wahlkampf 2021 fast wortgleich nahezu identische Ideen vertreten.

Zuletzt hatte der CDU-Chef seine Partei mit mie­te­r*in­nen­freund­li­chen Positionen zart nach links gezogen. Spannend wird daher, ob die Positionen von CDU und SPD in den nächsten Jahren zu unterscheiden sein werden. Und wer davon profitiert.

Giffeys Schwenk nach rechts ist jedoch nicht nur CDU-Verhandlungsgeschick geschuldet, sondern vor allem ihrem wachsenden Misstrauen gegenüber den Grünen. Im Ergebnispapier der Sondierungskommission wird mit dem Nochkoalitionspartner abgerechnet. Den Grünen, immerhin seit 2016 mit SPD und Linken in einer Regierung, werden da „stark überwiegende Eigeninteressen“ und „Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit“ attestiert.

Mit großen Koalitionen machte die SPD zuletzt schlechte Erfahrungen

Giffey sei zuletzt anzumerken gewesen, dass sie „mit der Fortsetzung dieser Koalition nicht glücklich werden würde“, beschreibt es ein Mitglied des grünen Sondierungsteams. So gesehen ist der Schritt in die Arme der CDU auch eine Flucht aus einer für Giffey offenbar fast traumatischen politischen Beziehung zu den Grünen.

Doch da die Positionen von Giffey und ihrem linken Berliner Landesverband vielfach nicht übereinstimmen, gerät die Parteichefin unter Erklärungsdruck. Man habe die Chance vertan, ein durchaus erfolgreiches linkes Bündnis fortzuführen, heißt es vielfach aus den eigenen Reihen.

Ben Schneider etwa, Vorsitzender der SPD Marzahn-Hellersdorf, nannte die Entscheidung für die konservativste Koalition, die in Berlin möglich ist, eine „Sackgasse“. Tatsächlich beraubt sich zumindest Giffey mit der Brüskierung von Grünen und Linken der Option für eine linke Koalition nach der nächsten Berlin-Wahl, die bereits 2026 ansteht.

Vielleicht ist die einstige Bundesfamilienministerin dann ja schon weitergezogen: Schließlich wird bereits 2025 im Bund gewählt. In Berlin würde Giffey dann als jene in Erinnerung bleiben, die nicht den Mut hatte, eine bestehende linke Mehrheit zu verteidigen. Ein fatales Zeichen für die SPD insgesamt, wo doch jeder weiß, dass die Linke in Deutschland Mehrheiten nie geschenkt bekommt, sondern hart erkämpfen muss.

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