NSU-Aufarbeitung: Abgestraft für Integrität

Miriam Block stimmte in Hamburg als einzige Grüne für einen Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden. Dafür will der Fraktionsvorstand sie ihrer Ämter entheben.

Miriam Block

Miriam Block, Abgeordnete der GRÜNEN-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg Foto: Die Grünen

HAMBURG taz | Auf die Abstimmung folgt die Abstrafung. In Hamburg verliert die Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen Miriam Block alle Ämter. Am 13. April hatte Block in dem Stadtparlament dem Antrag der Linken für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu dem Mord der NSU-Rechtsterroristen an Süleyman Taşköprü 2001 zugestimmt. Der Grünen-Fraktionsvorstand um Jenny Jasberg und Dominik Lorenz will die 33-Jährige nun von aller Funktionen entheben. Am Montag soll die Fraktion entscheiden. Die grünen Se­na­to­r*in­nen unterstützen den Vorschlag. Der Vorwurf: ungebührliches Verhalten, Gefährdung der Koalition und Verletzung der Fraktionsdisziplin.

Seit 2020 war Block in der Grünen-Fraktion Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule. Sie setzt sich für Queerfeminismus, Klimagerechtigkeit und Antifaschismus ein und saß zudem im Innenausschuss. Die Psychologin arbeitet neben ihrer Abgeordnetentätigkeit in einer Beratungsstelle für Menschen, die durch Erwerbslosigkeit bzw. materielle Not in psychische Krisen geraten sind. Bei der namentlichen Abstimmung dürfte die gebürtige Hamburgerin gewusst haben, dass nach ihrem „Ja“ für die Linke Folgen aus der eigenen Partei kommen würden.

Die aktuelle Landesregierung aus SPD und Grünen will keinen Untersuchungsausschuss zu dem Thema. Die SPD sperrt sich schon seit dem zufälligen Auffliegen des NSU-Kerntrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Jahr 2011 dagegen.

Zu der Bürgerschaftssitzung legte die rot-grüne Regierungsfraktion einen eigenen Antrag vor. Nach zähem Ringen hatten SPD und Grüne sich auf eine wissenschaftliche und interdisziplinäre Aufarbeitung des NSU-Komplexes geeinigt. In dem beschlossenen Antrag soll die Aufarbeitung mit einer „parlamentarischen Begleitung durch einen interfraktionellen Beirat der Bürgerschaft“ umgesetzt werden. Damit bleibt Hamburg das einzige Bundesland, in dem das NSU-Trio mordete, ohne Untersuchungsausschuss dazu.

In der Debatte meldete sich Block nicht zu Wort. Schon vor der Sitzung hatte sie sich jedoch via Twitter geäußert. „Diese Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung rechter Netzwerke“, so die Abgeordnete zu der beschlossenen Untersuchung, doch sie sei „kein Ersatz für einen PUA“. Und Block betonte: „Die Entscheidung, zu der ich gekommen bin, war kein einfacher Prozess.“

Ein Sprecher der Grünen sagte, Block habe mit ihrem Verhalten rund um die Abstimmung erheblichen Schaden für die Fraktion in Kauf genommen. Bereits vor der Abstimmung wurde aus der Fraktion signalisiert, dass ein Rauswurf folgen könnte. Block ist nun die einzige Grüne im Stadtparlament, die den Wunsch der Familie Taşköprü nach einem Untersuchungsausschuss erfüllen wollte.

Aktualisiert und korrigiert am 20.04.2023 um 17:48 Uhr. Im Text hieß es zunächst, Block sei schon von ihren Ämtern enthoben. Das ist falsch. Die Fraktionsspitze plant diesen Schritt, durchgeführt wurde er aber noch nicht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. d. R.

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