Mobilitätsforscher über Tempolimit: „Weniger Unfälle, weniger Staus“
Der ADAC ist nicht mehr grundsätzlich gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Denn das komme bald, sagt der Mobilitätsforscher Andreas Knie.
taz: Herr Knie, eine der letzten Bastionen gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen gerät ins Wanken: Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) ist nicht mehr grundsätzlich gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Wie erklären Sie sich dieses Einlenken?
Andreas Knie: Weil der ADAC merkt, dass die Bevölkerung bei der Frage Tempolimit schon weiter ist als die Politik. Von rund 20 Millionen ADAC-Mitgliedern im Jahr 2018 haben sich bei einer Umfrage 2019 45 Prozent für ein Tempolimit ausgesprochen; das sind 9 Millionen Menschen. Wir schätzen, dass bundesweit bis zu 60 Prozent der Bevölkerung für ein Tempolimit sind, besonders Frauen und Menschen unter 45 Jahren. Der öffentliche Druck wird immer stärker. Die jungen Menschen lassen sich nicht mehr weiter vertrösten, das sehen wir ja auch bei der Klimapolitik. Und das weiß auch der ADAC. Das Tempolimit wird kommen.
Wann denn?
Noch dieses Jahr, wahrscheinlich schon in den nächsten fünf Monaten. Die Legislative wird das beschließen, und zwar wahrscheinlich auf Initiative der SPD. Und dann muss das auch ein Herr Scheuer vom Bundesverkehrsministerium umsetzen.
Der ADAC fordert neue umfassende Studien, um die Auswirkungen eines Tempolimits zu erforschen. Alle Nachbarländer haben schon Tempolimits auf Autobahnen, und Studien gibt es zuhauf. Was soll das?
Als Forscher sage ich ja immer, neue Studien sind wunderbar, davon lebt die Wissenschaft. Das ist einfach ein Versuch, Zeit zu gewinnen. Faktisch wissen wir alles, was wir brauchen. Alle unserer Nachbarn haben ein Tempolimit und sind damit sehr glücklich. Denn ein Tempolimit auf Autobahnen bietet mehrere Vorteile.
Welche denn?
Je geringer die Endgeschwindigkeit ist, desto weniger Staus gibt es und umso mehr Autos können auf den Autobahnen fahren. Außerdem gibt es deutlich weniger Unfälle mit Todesopfern. Auch der CO2-Ausstoß, davon gehen wir durch Simulationen aus, würde sinken. Eine einzige Maßnahme würde also sofort und deutlich helfen. Wenn es etwas gibt, das nichts kostet und sich noch leicht durchsetzen lässt, dann ist es das Tempolimit.
Andreas Knie ist Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung.
Neben Deutschland haben nur wenige andere Länder wie Nordkorea oder Afghanistan kein Tempolimit …
… das lese ich oft – und das ist Quatsch. Afghanistan ist verkehrstechnisch ein hochreguliertes Land, zumal die Infrastruktur ein sehr schnelles Fahren gar nicht hergibt. Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das kein Tempolimit hat.
Warum ist das hierzulande eigentlich so?
Das stammt noch aus den 50er Jahren. Damals wollten sich die Menschen von der NS-Vergangenheit befreien. Und das Auto war das Vehikel der Freiheit und des ungebremsten Fortschritts. Und so gab es auch keine Regulierungen. In Westdeutschland gab es zwischen 1954 und 1957 übrigens auch innerorts kein Tempolimit. Das wurde dann wegen den vielen Verkehrstoten wieder geändert.
Nun sind schon rund ein Drittel der deutschen Autobahnen mit Tempolimit. Dort ist das Fahren laut Unfallstatistiken sicherer als auf Landstraßen. Sollten wir nicht auch dort die Tempo-Obergrenzen durchsetzen?
Das stimmt. Hundert Stundenkilometer sind deutlich zu viel, die Diskussionen sehen eine Grenze bei 80 oder 90 Stundenkilometer. Die Unfallgründe auf Landstraßen sind überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol. Daher wird das Landstraßen-Tempolimit auch in Deutschland kommen.
Und was ist mit den Automobilherstellern? Die profitieren doch davon, schnelle Autos zu verkaufen.
Alle unsere Nachbarn haben Tempolimits auf ihren Autobahnen, und die Exportquote der deutschen Automobilhersteller liegt trotzdem bei rund 70 Prozent. Die kennen das Thema also schon ewig. Das Argument, die Hersteller würden dann weniger Autos verkaufen, stimmt nicht. Schauen Sie in die USA, dort gibt es noch viel größere Autos als hier mit noch viel mehr PS und dort klappt es auch.
Wie setzt man durch, dass sich dann auch alle an eine Obergrenze auf Autobahnen halten?
Da gibt es einiges an elektronischer Überwachung. Dann müssen wir natürlich auch den Bußgeldkatalog anpassen, damit die Strafen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen auch hoch genug sind.
Inwieweit spielen Männlichkeit und Privilegien eine Rolle beim Tempolimit?
Dieser Wunsch, sich zu profilieren und zu befreien, ist ein rein männliches Ding. Es gibt aktuell faktisch fast nur noch ältere Männer, die gegen ein Tempolimit sind. Und da viele von ihnen in leitenden Positionen bei Zeitungen sitzen und eine meinungsbildende Kraft haben, hat man den Eindruck, halb Deutschland sei für “freie Fahrt für freie Bürger“. Die Vernunft hat in der Mitte der Gesellschaft schon längst Einzug erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“