Merkels Absage des Osterlockdowns: Die Schuldbremse

Die Kanzlerin hat die umstrittene „Ruhetage“-Entscheidung zurückgenommen und die Schuld für Fehler auf sich genommen. In der Union wächst die Unruhe.

Merkel steht in gelbem Mantel vor blauem Stuhl - vor ihr in einer Spiegelung sieht man Bundestagsabgeordnete

Sorry und nochmal von vorne: Merkel bei der Regierungsbefragung am Mittwoch Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

BERLIN taz | Am Anfang scheint selbst Wolfgang Schäuble ein bisschen aus dem Tritt zu sein. Nach der Eröffnung der Sitzung kommt der Bundestagspräsident kurz mit der Tagesordnung und den Zetteln auf seinem Pult durcheinander. Dann ruft Schäuble zur Regierungsbefragung der Bundeskanzlerin auf. Und Angela Merkel wiederholt nun noch einmal das, was sie etwa eine halbe Stunde zuvor schon der Presse verkündet hat.

Dass sie die sogenannte Osterruhe abgeblasen hat. Dass viele Fragen in der kurzen Zeit nicht lösbar waren, das Vorhaben deshalb nicht umsetzbar sei. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagt Merkel dann. Und dafür trage sie auch die Verantwortung. Sie entschuldigt sich bei der Bevölkerung für die zusätzliche Verunsicherung, die durch das Hin und Her entstanden sei. „Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“

Es ist ein beispielloser Vorgang: ein öffentliches Sorry der Frau, die am Ende die Verantwortung für irgendwie alles trägt. Für einem Moment ist da der Gedanke im Raum: Wenn Merkel die Verantwortung persönlich übernimmt – zieht sie dann auch persönliche Konsequenzen?

Aber das tut sie natürlich nicht. Merkel tritt bei der Bundestagswahl im September nicht mehr an, ihre Ära endet sowieso. Dennoch zeigt sie in diesem Moment Größe. Im Bundestag zollen ihr dafür von FDP über Grüne bis zur Linken viele Respekt. Aber sie greifen Merkel auch an. Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linken, fordert, Merkel müsse die Vertrauensfrage stellen. Auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner und die AfD-Fraktion sehen das so. Bartsch verhaspelt sich bei seinem Statement, sodass Merkel trocken entgegnet: Eine Frage sei das ja nun nicht, sondern eine Aufforderung?

Aufgeladene Stimmung bei CDU/CSU

Merkel umschifft den heiklen Punkt gekonnt. Aus ihrer Sicht hat sie die Notbremse gezogen in einem Zug, der zu entgleisen drohte. In einer hektisch einberufenen, digital abgehaltenen Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwochvormittag kassierte sie die Idee, den Gründonnerstag und Karsamstag zu „Ruhetagen“ zu erklären. An diesen Tagen sollten relevante Teile der Industrie stillgelegt werden. In der Sitzung schwante es den Beteiligten schon, dass die Korrektur schlecht ankommen würde. „Wir sind jetzt die Deppen“, hat Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) laut Bild dort gesagt.

Doch die Ruhetage-Regel, für die sie sich vor gerade mal einem Tag in einer zwölfstündigen Sitzung mit den RegierungschefInnen der Länder eingesetzt hat, stieß auf zu derbe Kritik, als dass sie zu halten gewesen wäre. Kaum waren die Beschlüsse am frühen Dienstagmorgen bekannt, hagelte es Einwände – von der Opposition, von den Kirchen, vom Handel. Aber auch von einigen ­MinisterpräsidentInnen, die selbst an der Runde beteiligt waren. Von CSU-Innenminister Horst Seehofer, der immerhin Teil der Regierung ist. Und in der Fraktion von CDU und CSU im Bundestag.

Dort sei die Stimmung aufgeladen und erhitzt gewesen, wird nach der Sitzung am Dienstagnachmittag kolportiert. Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz seien weder nachvollziehbar noch kommunizierbar, lautete die Kritik.

Die Abgeordneten kriegen den Frust über das Gewurschtel im Wahlkreis voll ab, müssen sich vor genervten GastwirtInnen, wütenden UnternehmerInnen oder gefrusteten Eltern rechtfertigen.

Klamauk von Linke, FDP und AfD

In der Fraktionssitzung geht es um untersagten Osterurlaub in deutschen Ferienwohnungen und erlaubte Flüge nach Mallorca, um geschlossene Geschäfte und unerwünschte Ostermessen. Unmut herrschte nicht nur bei einigen wenigen Abgeordneten, sondern bei der Mehrheit derer, die sich zu Wort gemeldet hatten. Einige Abgeordnete machten sich gar öffentlich Luft. Sie könne die Beschlüsse nicht mehr schönreden, twitterte etwa die CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann aus Bremen.

Und der Thüringer Abgeordnete Albert Weiler schrieb gar einen offenen Brandbrief an die Kanzlerin. Die Beschlüsse seien „planlos, ratlos, mutlos“, heißt es darin – und eine Kapitulationserklärung. Weiler schreibt in seinem Brief, adressiert an die eigenen Leute in der Regierung, von „Politikversagen“. Brutaler geht es nicht.

Dietmar Bartsch von der Linken fordert, Merkel müsse die Vertrauensfrage stellen. Er verhaspelt sich bei seinem Statement, sodass Merkel trocken entgegnet: Eine Frage sei das ja nun nicht, sondern eine Aufforderung?

Warum also keine Vertrauensfrage? Eine Kanzlerin oder ein Kanzler kann mit einer Vertrauensfrage Neuwahlen erzwingen, indem sie absichtlich verliert. An diesem Szenario dürfte Merkel kein Interesse haben, da sie ohnehin nicht mehr antritt. Oder der Kanzler, die Kanzlerin kann die Koalition auf seinen Kurs zwingen. Dafür ist die Lage aber zu unübersichtlich: Den Beschluss mit den strittigen Ruhetagen haben 16 MinisterpräsidentInnen – auch die von SPD, Linken und Grünen – unterschrieben, er wurde nicht vom Parlament bestätigt. Welchen Kurs sollte sich Merkel da bestätigen lassen?

Was Linke, FDP und AfD fordern, ist also auch ein bisschen Oppositionsklamauk. Linkspartei-Chefin Susanne Hennig-Wellsow schrieb noch vor der Bundestagssitzung auf Twitter: „Wir brauchen Klarheit darüber, ob diese Regierung noch handlungsfähig ist“. Ganz ähnlich hört es sich bei Lindner an. Beide wissen natürlich: In der Unionsfraktion geht ohnehin die Panik um – da sind die Korruptionsaffären, die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen und immer weiter sinkender Umfragewerte für CSU und CDU.

Merkel antwortet routiniert

Und doch: Die Kanzlerin, die ja deutlich angeschlagen ist, in Bedrängnis zu bringen, das gelingt der Opposition nicht. Das mag auch an dem Format liegen. Die Regierungsbefragung, der sich die Kanzlerin hier turnusgemäß stellt, hat strikte Regeln. Eine Minute Frage, eine Minute Antwort, dann darf noch eine Nachfrage gestellt werden. Marco Buschmann von der FDP will wieder einmal wissen, wann die Kanzlerin endlich die Entscheidung über die Coronapolitik zurück in das Parlament bringe.

Die Grüne Katrin Göring-Eckardt fragt, ob sich die Ministerpräsidentenkonferenz nicht überlebt habe. Und der Linke Dietmar Bartsch erkundigt sich, ob Merkel nicht der Ansicht sei, dass Regierungsmitglieder wie Gesundheitsminister Jens Spahn und Verkehrsminister Andi Scheuer nicht ihrem Vorbild folgen und ihre Fehler eingestehen sollten. Und natürlich geht es auch um fehlende Schnelltest und die Lage an den Schulen, aber auch um die EU-Finanzen und den Nachtragshaushalt. Das alles beantwortet Merkel routiniert.

Kurz vor ihrem öffentlichem Sorry im Kanzleramt legt Michael Kretschmer einen bemerkenswerten Auftritt hin. Als Ministerpräsident in Sachsen kennt er die Wut vieler BürgerInnen über die Coronapolitik aus erster Hand. Kretschmer wirft sich mit Verve vor die Kanzlerin. „Ich finde, sie muss dafür nicht die Verantwortung übernehmen“, sagt er. Die Entscheidung sei von 16 MinisterpräsidentInnen und der Regierung getroffen worden. Und: Der Kampf gegen das Virus werde „auch in Zukunft“ mit neuen Entscheidungen und Strategieänderungen einhergehen.

Auch ein anderer Mann stellt sich neben Merkel, einer, auf den alle in der CDU schauen – und viele zunehmend skeptisch. Armin Laschet, Regierungschef in Nordrhein-Westfalen, neuer CDU-Chef und möglicher Kanzlerkandidat, verteidigt die Rücknahme der österlichen Ruhetage im Düsseldorfer Landtag. „Man kann nicht einen gesetzlichen Feiertag mal eben innerhalb von zehn Tagen vorher einführen.“ Man habe viele Probleme nicht gesehen, sagt Laschet.

Überwältigender Eindruck von Planlosigkeit

Was passiert mit Lieferketten, die unterbrochen werden? Was mit Fleisch, das pünktlich im Supermarkt sein muss? Was mit Babynahrung, die tagesgenau gefertigt werde? Laschets Fazit: Es tue der politischen Kultur in Deutschland gut, wenn die Notbremse rechtzeitig gezogen werde. Und die Schuld für den Fehler sieht er nicht allein bei Merkel: „Wir haben Bedenken geäußert“, sagt er. Aber „am Ende“ hätten alle 16 Ministerpräsidenten gesagt: Wir machen das so.

Alle Augen richteten sich am Mittwoch auf Merkel. Aber zur Wahrheit gehört, dass die gesamte Ministerpräsidentenkonferenz zuletzt ein schlechtes Bild abgab. Mehrere LänderchefInnen scheiterten nach der 12-stündigen Marathonsitzung daran, die eigenen Beschlüsse nachvollziehbar zu erklären. Der Brandenburger Dietmar Woidke eierte im Radio hilflos herum, als er sagen sollte, was den Ruhetag von einem Feiertag unterscheide. Irgendwo im Arbeitsschutzgesetz stehe es drin.

Es bleibt ein überwältigender Eindruck von Planlosigkeit. Am Morgen nach der Nachtsitzung meldete sich die evangelische Kirche zu Wort. Der Beschluss „hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Eine christliche Volkspartei, die im Eifer des Gefechts die Ostergottesdienste vergisst – kann ja mal passieren? Nein, so etwas passiert besser nicht.

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