Manifest von SPD-Altvorderen: Mützenich fordert respektvollere Debatte
Ex-SPD-Fraktionschef Mützenich zeigt sich irritiert über die harsche Kritik an dem von ihm mitunterzeichneten „Manifest“ zur Außen- und Friedenspolitik.

„Manche Vorhaltungen und manche Verkürzungen bis hinein in meine Partei haben mich in den vergangenen Tagen aber schon geschmerzt“, sagte der SPD-Politiker weiter. Das „Manifest“ sei kein Appell an die Regierung, sondern diene als als innerparteilicher Debattenbeitrag. So verlange er keine unmittelbaren Schritte. „Aber ich verlange einen respektvollen Umgang mit den Unterzeichnern“, sagte Mützenich. Er nenne „ja Befürworter von massiver Aufrüstung auch nicht Kriegstreiber“, sondern setze sich mit ihren Argumenten auseinander. „Das erwarte ich auch andersrum“, sagte er.
In ihrem am Mittwoch veröffentlichten „Manifest“ mit dem Titel „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ fordern die rund hundert Unterzeichner:innen eine Umorientierung der deutschen Außenpolitik. „Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland“, schreiben sie und warnen vor einem Rüstungswettlauf
Zwar seien eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas notwendig, heißt es in dem Positionspapier weiter. Das müsse „aber in eine Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet sein“. Um eine möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine zu erreichen, bräuchte es „eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten“, heißt es in dem Papier, das unter anderem Ex-Parteichef Nobert Walter-Borjans, Ex-Finanzminister Hans Eichel, der frühere Bremer Bürgermeister Carsten Sieling sowie die Bundestagsabgeordneten Sanae Abdi, Nina Scheer und Maja Wallstein unterzeichnet haben.
SPD-Spitze geht auf Distanz
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius wirft seinen Parteifreund:innen „Realitätsverweigerung“ vor. „Putin verweigert jede Friedensverhandlung“, sagte er am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. Den Menschen jetzt zu sagen, Europa müsse auf Russland zugehen und Europa müsse diplomatische Lösungen finden, die Putin konsequent ausschlage, wäre ein aussichtsloses Unterfangen. „Wie man sich in dieser Phase eine engere Zusammenarbeit mit Russland auch nur vorstellen kann, ist völlig befremdlich“, kritisierte Pistorius.
Auch Parteichef Lars Klingbeil ging auf Distanz zu dem „Manifest“. „Ich habe eine andere Meinung“, sagte er am Donnerstag in Berlin. Russland sorge für unfassbares Leid in der Ukraine und dafür, dass dort jeden Tag Menschen sterben. Wladimir Putin könnte den Krieg sofort beenden. „Er tut es aber nicht.“ Es habe zuletzt viele diplomatische Bemühungen gegeben, den Ukraine-Krieg zu beenden, der russische Präsident lasse sich darauf aber nicht ein. Klingbeil betone, mit ihm werde es „keine Kehrtwende“ in der Politik der SPD und der Bundesregierung geben.
„Manifest“-Mitunterzeichner Ralf Stegner rief dazu auf, beim SPD-Parteitag Ende Juni eine Debatte über den Kurs seiner Partei in der Friedenspolitik zu führen. „Wenn wir als SPD nicht Richtung zehn Prozent rutschen wollen, müssen wir darüber diskutieren, wie wir uns für Frieden und Abrüstung einsetzen“, sagte der Bundestagsabgeordnete den Funke-Zeitungen vom Freitag.
Gysi schlägt gemeinsame Konferenz vor
Harsche Kritik kommt aus den Reihen der Grünen, der CDU und der FDP. „Einmal mehr verschließen die immer gleichen Herren die Augen vor der brutalen Realität in der Ukraine & den sehr offensichtlichen Sabotageversuchen der Istanbuler Gespräche durch den Kreml“, schrieb die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger auf „X“. Noch heftiger teilte dort ihr Fraktionskollege Robin Wagener aus: „Antiamerikanismus und Überforderung mit Veränderung, führt zu Flucht in die Hoffnung auf Freundschaft und Stabilität mit Diktatoren.“
Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke bescheinigte seinen früheren Parteifreund:innen: „In Sachen Russland muss man hier eine Lernkurve wie bei einem Hirntoten feststellen.“ Die Naivität der „Manifest“-Unterzeichner:innen „gefährdet unsere Sicherheit“, twitterte das frühere SPD-Mitglied. Die FDP-Europaabgeordnete Agnes Strack-Zimmermann bezeichnete Mützenich und Stegner auf „X“ als „die Ewiggestrigen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitiker“. Ihr „Manifest“ sei ein „realitätsverweigerndes Pamphlet voller fataler Fehleinschätzungen, Kotau vor einem Kriegsverbrecher und Verhöhnung der Opfer“.
Aus der Linkspartei kommen hingegen positivere Worte. „Dieses SPD-Manifest sagt: Irgendwann werden die Waffen schweigen, dann müssen wir langsam anfangen, wieder Vertrauen aufzubauen“, sagte Linken-Parteichef Jan van Aken am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Lanz“. Dass vertrauensbildende Maßnahmen „jetzt noch gar nicht denkbar“ seien, wisse „ein Mützenich von der SPD genauso wie ich“. Aber darüber nicht nachzudenken, würde bedeuten, „die Zukunft zu verschenken – und das dürfen wir auch nicht tun“, sagte van Aken. „Wenn unsere Kinder hier in 50 Jahren zusammensitzen, dann ist Russland immer noch unser Nachbar.“
Er stelle fest, dass es „eine SPD-Minderheit gibt, die unseren Vorstellungen doch recht nahe steht“, sagte der Linken-Altvordere Gregor Gysi am Freitag. Der Berliner Bundestagsabgeordnete schlägt den „Manifest“-Verfasser:innen eine gemeinsame Konferenz vor. Auf der könnte überparteilich und mit Diplomat:innen sowie Wissenschaftler:innen über Ansätze zur Entspannungs- und Friedenspolitik im 21. Jahrhundert beraten werden. „In Zeiten wie diesen ist das bitter nötig“, sagte Gysi.
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