Lieferung von Kampfpanzern an Ukraine: Der Westen braucht einen Plan B

Bald rollen deutsche Leopard-2-Panzer über die Schlachtfelder. Weil der Krieg trotzdem noch lange dauern wird, braucht der Westen eine Strategie für mögliche Verhandlungen.

Ein Panzer vom Typ Leopard bei einer Schießübung

Demnächst in der Ukraine im Einsatz: Bundeswehr Panzer von Typ Leopard ein einer Übung Foto: Chris Emil Janßen/imago

Scholz ist ein symbolischer Erfolg gelungen. Dass neben sehr vielen Leopard-Panzern auch ein paar US-Abrams-Panzer geliefert werden, ist das Resultat einer sanften Erpressung. Die USA wollten keine eigenen Panzer schicken – und tun es, weil der Kanzler sonst keine Leo­parden bereitgestellt hätte. Zuvor hatte Warschau Berlin gedroht, auch ohne deutsche Genehmigung Leoparden in die Ukraine zu befördern.

Das Ergebnis dieser doppelten Erpressung ist: Die Nato handelt geschlossen. Ein steiniger Weg mit brauchbarem Ergebnis. Denn eine Spaltung der Nato wäre ein Geschenk mit Schleife für Putin.

Die Abrams sind auch eine Rückversicherung für Berlin. Falls 2025 ein rechter Republikaner im Weißen Haus regiert, ist es beruhigend, wenn neben den deutschen Panzern auch einige US-Tanks durch die Ukraine fahren. Ob Scholz' Manöver sich Gelegenheit oder Weitblick verdankt, ist eher stilistisch interessant.

Ein Zeichen von Führungsschwäche ist es jedenfalls nicht. Es erinnert an Helmut Schmidt, der 1979 die Raketenlücke entdeckte und die anfangs widerwillige US-Führung zu Nachrüstung und Pershings anstiftete. Dieser Vergleich ist nur auf den ersten Blick ent­legen: Die Kernidee von Schmidt und Scholz ist ähnlich. Nur US-Atomwaffen schützen die Bundesrepublik vor Drohungen aus dem Osten. Deshalb muss das Band über den Atlantik ganz eng sein.

Die Grenze zwischen Unterstützung und Beteiligung verschwimmt

Die Nato bleibt geeint, die Ukraine bekommt Panzer. Also alles gut? Nein. Laut Annalena Baer­bock kämpfen wir „einen Krieg gegen Russland“. Dabei lautet die Doktrin, dass die Nato kein Kriegsteilnehmer ist. Vielleicht wollte die Grüne eigentlich „Konflikt“ sagen. Aber eine Außenministerin, die „Krieg“ sagt, wenn sie „Konflikt“ meint, ist eher beunruhigend. Vor allem aber enthält Baerbocks Satz ein Körnchen Wahrheit.

Formal wird der Westen nicht zur Kriegspartei, wenn er Panzer liefert. Aber je mehr Waffensysteme, Nachschub und Ausbilder die Nato bereitstellt, umso diffuser wird die Grenze zwischen Unterstützung und Beteiligung. Seit der Leopard-Entscheidung regiert eine neue Logik. Wenn man für Gegenoffensiven brauchbare Panzer liefert, warum nicht auch Drohnen, Jets, Raketen?

Selenski fordert schon Kampfflugzeuge und Mittelstreckenraketen, um russische Stellungen zu zerstören, von denen Angriffe auf zivile Ziele ausgehen. „Drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewissheit“, schrieb Clausewitz. Bei der Grenze zwischen Verteidigungs- und Angriffswaffen ist der Nebel der Ungewissheit besonders blickdicht.

Der Westen wird immer mehr Waffen liefern, hoffen, dass die ukrainischen Offensiven erfolgreich sind und Putin seine Truppen zurückziehen muss. Das wäre mehr als wünschenswert. Aber was, wenn nicht? In Kriegen ist der Weg in die Hölle oft mit Hoffnungen gepflastert. Es wäre nicht schlecht, wenn sich manche Junggrüne mit Realpolitik befassen würden, anstatt in niedlichem Kinderzimmersound „Free the Leopards“ zu twittern. US-Generalstabschef Mark Milley hält einen langen Stellungskrieg jedenfalls für wahrscheinlicher als einen Sieg der Ukraine.

Diplomatie ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Klüger, als nur mehr Waffen zu fordern und von einem „regime change“ in Moskau zu träumen, ist es, einen Plan B für einen langen Krieg zu entwickeln. Der heißt Diplomatie. Wer da an gemütliche Gespräche oder einen Friedensvertrag denkt, liegt falsch. Diplomatie ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die von Scholz unterstützte Botschaft Xis an Putin, bloß keine Atomwaffen einzusetzen, hat Moskaus nukleare Drohung Glaubwürdigkeit und damit Macht gekostet. Das ist vielleicht mehr wert als eine gewonnene Schlacht. Dass Waffen und Diplomatie ein Widerspruch sind, ist ein Kurzschluss deutscher Debatten, in denen Moral oft realpolitischen Verstand ersetzt.

Der Plan B wäre das offensive Angebot der Nato, zu verhandeln. Das könnte Putin unter Druck setzen und der russischen Elite irgendwann als Notausgang erscheinen. Es wäre einen Versuch wert.

Das Szenario für einen kalten Frieden lautet Land gegen Sicherheit. Die Krim und der Donbass bleiben russisch besetzt. Die Nato wird dafür Kyjiw verlässliche Sicherheitsgarantien geben müssen, die de facto einer Nato-Mitgliedschaft gleichkommen. Das wäre kein Friede, nur ein Waffenstillstand, den beide Seiten für Aufrüstung nutzen. Ein eingefrorener Krieg, so wie in Abchasien, Trans­nistrien und Südossetien.

Ohne US-Waffen ist die Ukraine verloren

All das das hat nichts Bonbonfarbenes. Wenn die Nato Russland Verhandlungen anbietet, wird das ein kurviger, riskanter Weg. Vor allem aus zwei Gründen. Bis jetzt gilt der von Scholz, Macron und Biden mantrahaft wiederholte Satz, dass die Ukraine die alleinige Hoheit über mögliche Kompromisse mit Moskau hat.

Aber so ist es nicht. Kiew mag von der Maximalforderung – Rückeroberung von Donbass und Krim – schwerlich abrücken können. Aber faktisch werden die USA mitentscheiden, welcher Kompromiss akzeptabel ist. Denn ohne US-Waffen ist die Ukraine verloren. Ein Verhandlungsangebot der Nato wird diesen Spalt offensichtlich machen.

Der zweite Einwand gegen den Deal „Land gegen Sicherheit“ lautet, dass damit Putins aggressiver Raubzug auch noch belohnt wird. Dieses Argument hat Gewicht. Aber es wird immer leichter werden je mehr Unschuldige sterben und je länger der Sieg auf sich warten lässt.

Die Debatte um Verhandlungen und einen Plan B wird früher oder später ohnehin kommen. Wenn man an die Opfer denkt, die dieser eskalierende Krieg in den nächsten Monaten und Jahren kosten wird, wäre früher besser.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.