Letzte Generation in Berlin: Das Kleben muss weitergehen
Erst das Brandenburger Tor, nun die Blockade des Berlin-Marathons? Der Protest der Letzten Generation ist nötig und muss weiterhin sichtbar bleiben.

S ie kleben auf der Straße, bewerfen Kunstwerke – und jetzt besprühen sie auch noch das Brandenburger Tor: Die Letzte Generation sorgt mit ihrer unkonventionellen Art zu protestieren verlässlich für Aufmerksamkeit. So auch aktuell. In ihrer etwas anderen Protestform sehen viele ein Problem. Doch eines zeigt sich immer deutlicher: Klimaprotest muss stören, damit er etwas bewirkt.
Nachdem die Klimaaktivist*innen am vergangenen Sonntagvormittag alle sechs Säulen des Brandenburger Tors auf der Ostseite mit Farbe besprüht haben, verfiel der in Sachen Letzte Generation ohnehin dauerempörte Teil der Öffentlichkeit natürlich in Schnappatmung.
Als „sinnlose und verwerfliche Aktion, die strafrechtlich konsequent geahndet werden muss“, geißelte etwa SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Tat. Und überhaupt würden die Aktivist*innen mit ihrem Protest nur dem gesellschaftlichen Rückhalt für den Klimaschutz massiv schaden. Alles schon unzählige Male gehört.
Den fehlenden Rückhalt für die Klimabewegung einzig den Aktionen der Letzten Generation zuzuschreiben, ist einfach – aber auch einfach nicht richtig. Hatte der Globale Klimastreik von Fridays for Future 2019 noch bei hunderttausenden jungen Menschen Anklang gefunden, ist die Mobilisierung inzwischen stark zurückgegangen. Das merken auch die Aktivist*innen selbst.
Es ist Zeit für echte Zugeständnisse
Auch für die Ampel-Koalition im Bund scheint das Thema Klimaschutz keine Priorität zu haben. Lieber verschwendet sie Monate mit internen Diskussionen über einen „Heizhammer“, statt die Zeit effektiv zu nutzen, um sozial gerechten Klimaschutz voranzutreiben. Liest man beispielsweise die im August erschienene Beurteilung des Expertenrats für Klimafragen, reichen die geplanten Klimaschutzmaßnahmen der Regierung keinesfalls aus, um die deutschen Klimaziele zu erreichen.
Umso wichtiger ist es, dass der Klimaschutzprotest nicht einschläft und der Politik Zugeständnisse abringt. Einen Teil dazu hat Fridays for Future geleistet, indem sie das Thema Klimaschutz in die Mitte der Gesellschaft gebracht haben. Überall in der Welt wurden die Proteste der Kinder und Jugendlichen verfolgt. Das führte teilweise dazu, dass Regierungen ihre eigenen klimapolitischen Versprechen, wenn auch nur für kurze Zeit, ernster genommen haben.
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, das die damalige Klimaschutzpolitik als unvereinbar mit den Freiheits- und Grundrechten zukünftiger Generationen ansieht, hätte es ohne Fridays for Future wahrscheinlich nicht gegeben.
Aufmerksamkeit ist ihr größtes Kapital
Angesichts der schwindenden Mobilisierungskraft der Klimabewegung braucht es neben den mehrheitsfähigen Demonstrationen von Fridays for Future die Protestformen der Letzten Generation. Ja, das jesusartige Andere-Wange-Hinhalten bei den aggressiven Gegenreaktionen auf den Straßen wirkt befremdlich. Und ja, das gilt auch für die Kommunikation nach außen mit den immer gleichen Stanzen.
Aber trotzdem ist es nun mal vor allem die Letzte Generation, die am meisten Aufmerksamkeit für die Klimakatastrophe generiert. Klar stören sie den Alltag Berlins mit ihren Aktionen, die sie nach eigenen Angaben erst beenden, wenn die Bundesregierung auf ihre zentralen Forderungen – bis 2030 raus aus den fossilen Energien zu sein – reagiert. Aber genau um dieses Stören geht es ja.
„Das Maß ist jetzt voll“, hatte sich Berlins Regierender Kai Wegner (CDU) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus mit Blick auf die Aktion am Brandenburger Tor echauffiert. Dazu gab es dann noch die erwartbare Belehrung: „Sie versauen die Stimmung für mehr Klimaschutz.“ Und natürlich begrüße er es „ausdrücklich“, dass nun einer Aktivistin der Letzten Generation eine achtmonatige Haftstrafe droht.
Am Freitag hat die Letzte Generation angekündigt, selbstverständlich den Berlin-Marathon am Sonntag stören zu wollen. Sollte das gelingen, kann man sich die Reaktionen jetzt schon ausmalen. Wieder werden Wegner & Co ihre Zeit mit Zeter und Mordio verschwenden, statt das zu tun, was die Letzte Generation fordert – und was angesichts der Klimakatastrophe tatsächlich zwingend geboten ist: endlich die dringend nötigen Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben.
Eines ist sicher: Damit käme die Politik nicht nur den genervten Autofahrer*innen, sondern auch einer jungen Generation entgegen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf