Letzte Generation in Berlin: Hurra, wir kleben noch

„Wir werden Berlin nicht verlassen, bis die politische Wende erreicht ist“: Die „Letzte Generation“ kündigt ab kommender Woche neue Dauerproteste an.

Aktivist:innen der Letzten Generation vor dem Bundeskanzleramt

Medienwirksame Inszenierung: Ver­tre­te­r:in­nen der „Letzten Generation“ vor dem Kanzleramt Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | Die „Letzte Generation“ meldet sich zurück zum Dienst in Berlin. „Ab Mittwoch, 13. September, werden hunderte Menschen dauerhaft in Berlin demonstrieren“, kündigt Sprecherin Carla Hinrichs am Freitagvormittag auf einer Pressekonferenz an. Ab dem Montag darauf will die Gruppe dann im gesamten Stadtbereich wieder Straßen blockieren – auf unbestimmte Zeit. „Wir sind bereit, das über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten“, sagt Hinrichs vor dem Bundeskanzleramt in Mitte.

Hinrichs zufolge liegt die Dauer der Blockaden und Protestmärsche „in der ganzen Stadt“ nicht in den Händen der Klimaaktivist:innen, sondern in denen der Bundesregierung. Von dem bislang bekannten Plan, die Aktionen bis Weihnachten durchzuziehen, ist am Freitag nicht die Rede.

Vielmehr erklärt Hinrichs: „Wir werden Berlin nicht verlassen, bis die politische Wende erreicht ist.“ Was in diesem Fall heißt: bis die Bundesregierung die aktuelle Kernforderung der „Letzten Generation“ erfüllt und „das Ende der fossilen Rohstoffnutzung bis 2030“ beschließt.

Zuletzt lag der Fokus der „Letzten Generation“ auf Aktionen in Bayern, für Berlin hatten die Ak­ti­vis­t:in­nen dagegen eine Sommerpause ausgerufen. Sieht man von einer Klebeblockade am Kottbusser Tor in Kreuzberg vor gut einem Monat ab, blieb es dann auch ruhig. Schlagzeilen machten allenfalls die Gerichtsprozesse gegen einzelne Blockierer:innen, darunter auch der gegen Carla Hinrichs.

Noch Luft nach oben bei der Mobilisierung

Nun will man also auch auf den Berliner Straßen wieder präsent sein. „Unser Plan ist es zu zeigen: Wir sind da“, sagt Hinrichs. Sehr viel konkreter wird die 26-jährige Aktivistin nicht. Nur so viel: „Unser Protest wird laut, unser Protest wird vielfältig und ziemlich direkt.“ Das Protestlager sei „voll gefüllt“ mit „interessanten Utensilien“, unter anderem Masken und Seilen, Heu und Feuerlöschern, Eiern und Tomaten, Hühnern „und anderem Getier“, Windeln und Geldscheinen, „6.000 Sonnenhüten und natürlich Kleber“.

„Wir sind inzwischen mehr Menschen als je zuvor“, behauptet Hinrichs. Ähnlich erfolgsbeschwörend äußert sich die mittlerweile bundesweit bekannte 32-jährige Bundespolizistin Chiara Malz aus Rostock. Die Klimaaktivistin an Hinrichs’ Seite betont: „Unser Protest hat zwar nicht die Mehrheiten, aber er hat die Möglichkeit, die Regierung unter Druck zu setzen.“ Und: „Fakt ist, es kommen immer mehr Menschen dazu.“

Fakt ist auch, dass sich – Stand Freitagnachmittag – laut Website der „Letzten Generation“ erst rund 500 Menschen für den Berliner „Wendepunkt Herbst 2023“ angemeldet haben. Zu Beginn der letzten großen Blockadewelle im Frühjahr waren es über 900. Aber bis zum Start der Herbstaktion ist es ja noch ein paar Tage hin. Und so dient auch die Pressekonferenz vor allem zwei Zielen: öffentliche Aufmerksamkeit generieren und Mit­strei­te­r:in­nen mobilisieren.

Es gehe bei den Protesten auch nicht mehr nur um die altbekannten Forderungen aus dem Frühjahr – ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und ein 9-Euro-Bahnticket für alle. Stattdessen, so die Aktivist:innen, nehme man jetzt das große Ganze in den Blick, eben den besagten Ausstieg Deutschlands aus der Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030.

Forderung nach Gesellschaftsrat nicht mehr zentral

Sogar die Einführung eines Gesellschaftsrats aus zufällig gelosten Menschen, der eigentlich „die nötigen Schritte“ für das Ende der fossilen Rohstoffnutzung erarbeiten sollte, ist nicht mehr oberstes Ziel. „Es ist uns, ehrlich gesagt, ziemlich egal, ob die Regierung das macht oder ein Gesellschaftsrat“, sagt Carla Hinrichs.

Ordentlich Schelte für die anwesenden Medien gibt es am Freitag in bewährter Weise obendrauf. So beschwert sich Chiara Malz, dass die Pres­se­ver­tre­te­r:in­nen vor allem „über die Proteste berichten und nicht über das Problem“, also den Kampf gegen die Klimakatastrophe als „allumfassende Aufgabe“ und die Notwendigkeit, „die Welt zu retten“.

Auch der aus Bonn angereiste Geologie-Professor Nikolaus Froitzheim will, dass sich die Berichterstattung auf die drohende Katastrophe konzentriert. „Es interessiert anscheinend niemanden, was hier abgeht. Wir unterhalten uns über Protestformen. Das ist doch sekundär“, sagt der 65-Jährige.

Tatsächlich aber dürfte die bei nicht wenigen Ber­li­ne­r:in­nen verhasste klebrige Protestform auch in den kommenden Wochen und Monaten einen Großteil der Aufmerksamkeit absorbieren. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hat bereits ein scharfes Durchgreifen der Polizei gegen die von ihr als „Straftaten“ bezeichneten Blockaden der „Letzten Generation“ angekündigt. „Die Polizei weiß genau, an welchen Brennpunkten am liebsten festgeklebt wird“, sagte Spranger am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

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