Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Es geht ums Eingemachte
Wer vom Osten Deutschlands spricht, spricht oft über Nazis. Viel wichtiger wäre es aber, über die soziale Schieflage und gerechte Umverteilung zu reden.
E ndlich aufgewacht! Am Mittwoch erschien eine Umfrage zu Sachsen-Anhalt, die erstmals die braune AfD als stärkste Partei sah, knapp vor der CDU. Ups. Es gibt Sachsen-Anhalt und dort ist in einer Woche Landtagswahl. Sobald die Ossis die Nazis wählen, stehen sie und ihr skurriles Bundesland plötzlich im Fokus. Schon droht ihnen aber wieder das Vergessen, denn neuere Umfragen trauen der sachsen-anhaltischen CDU den Wahlsieg und der Kenia-Koalition eine Fortsetzung zu.
Stabile Verhältnisse also. Noch mal Glück gehabt, und die westdeutsch sozialisierte, politisch interessierte Bürger:in kann beruhigt den Osten Osten sein lassen. Vor zwei Jahren, als die Wende 30 wurde, sprach man viel über den Osten, über Transformation, gebrochene Lebensläufe, ab- und aufgewertete Biografien, Identitätskrisen und Benachteiligung. Heute ist es jedoch wieder so, wie die 28 Jahre zuvor – der Osten kommt vor in Verbindung mit: Nazis, Russland, SED oder Nazis.
Es ist fast so, als hielten nur instabile Verhältnisse den Osten im Gespräch und stabile Verhältnisse sorgen für Ignoranz der andauernden Benachteiligung. Die Ossis arbeiten länger und verdienen weniger, ihre Rentenpunkte sind weniger wert und sie sind seltener in Führungspositionen. Lange Zeit suchte man sich hierzulande damit zu trösten, dass man halt früher aufstehe und da arbeite, wo andere Urlaub machten. Diese protestantische Ethik schafft jedoch auf Dauer keinen materiellen Ausgleich.
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Zwei Parteien haben sich dieses Gefühl der Unterlegenheit erfolgreich politisch zu eigen gemacht: In den 90ern die PDS, indem sie DDR-Strukturen von der Volkssolidarität bis zum Wohnbezirksausschuss aufrecht erhielt und sich kümmerte. Und in den vergangenen Jahren die AfD, indem sie Ressentiments schürte und kollektive, nationale Identitäten beschwor.
Die Linke, die immer mehr zur gesamtdeutschen Partei wird und schon jetzt mehr Mitglieder im Westen als im Osten hat, versuchte jüngst auf diesen Zug wieder aufzuspringen. „Nehmt den Wessis das Kommando“, forderte Sachsen-Anhalts Linkspartei im Wahlkampf. Dass es bei einem einzigen Exemplar von dem Plakat blieb, dessen Bildsprache – kleines Kind zerrt an dickem Hund – durchaus ironisch zu deuten war, geschenkt. Reflexartig wetterten vor allem andere Parteien gegen dieses Wessi-Bashing.
Wessis erben dreimal mehr
Die Mehrheit der Linken-Wähler in Sachsen-Anhalt, aber auch jeder zweite AfD-Sympathisant, fand es jedoch richtig, dass die Linke die Benachteiligung Ostdeutschlands thematisierte. Sie traf damit wenig überraschend einen Nerv: das Ungleichgewicht. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass sich der Anteil der in Ost und West aufgewachsenen Menschen in Führungspositionen über kurz oder lang angleichen wird, steigt damit nicht automatisch das Gehaltsniveau.
Eine weitere, oft ignorierte Kluft wird sich vermutlich noch vertiefen: die Vermögensverteilung. Das Wirtschaftswunder bot vielen Menschen im Westen die Gelegenheit, Vermögen zu bilden, das sie heute in Form von Aktienpaketen oder Immobilien an ihre Kinder weitergeben können. Im Osten dagegen waren Betriebe, Grund und Boden Volkseigentum und es war fast unmöglich, sich und seiner Sippe einen dicken Batzen davon abzuzweigen.
In Sachsen-Anhalt werden heute durchschnittlich 59.000 Euro vererbt, in Bayern 176.000. An der Spitze der Vermögenspyramide fehlen die Ostdeutschen gänzlich. 176 Milliardäre zählt das Manager-Magazin – nicht ein einziger davon kommt aus dem Osten. Doch solange viele der Meinung sind, dass eine Vermögenssteuer kommunistischer Unsinn ist und ihre Kinder ein volles Anrecht auf das von ihnen angehäufte Vermögen haben, wird sich an dieser Schieflage nichts ändern.
Im Gegenteil. Von steigenden Immobilienpreisen profitieren nur die, die welche besitzen, von niedrigen Zinsen die, die Geld investieren können. Es geht also bei der Ost-West-Debatte durchaus ums Eingemachte, um Umverteilung – nicht von West nach Ost, aber von Vermögenden zu Armen. In Ost und West.
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