Kommentar Protest gegen Mietpolitik: Es brennt

Die Explosion der Mietpreise ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Die Politik muss die Kontrolle in die Hände der Mieter legen.

Eine Demonstrantin hält eine Pappmasché-Figur aus kleinen Fischen, die einen großen fangen, in der Hand

Wenn viele kleine Fische sich zusammentun … Foto: dpa

Wenn Zehntausende an einem anfangs noch heftig verregneten Samstag sich auf den Weg zu einer Demo machen, wenn ein breites Bündnis von Aktivisten, Kleinfamilien, schwarzem Blöckchen und rabiaten Rentnern zusammenkommt, dann zeigt das vor allem eins: Es brennt. Und was die Mieten betrifft, muss man konstatieren: Es brennt sogar gewaltig.

Das Konzept Stadt ist quasi tot. Es zuckt noch hier und da, aber wer sich aktuelle Wohnungsangebote anschaut, erkennt unausweichlich: Wenn nicht eine radikale Wende gelingt, dann wird es die Großstadt, in deren Mitte sich unterschiedliche soziale Schichten ein Leben leisten können, bald nur noch in Geschichtsbüchern geben.

München, Köln, Hamburg kann man als Mieterstadt längst vergessen, in Berlin gibt es dank noch existierender Altmietverträge ein paar bezahlbare Oasen. Aber auch die deutsche Hauptstadt katapultiert sich gerade auf eine Ebene mit Paris und London, in deren Zen­tren sich selbst Angehörige der Mittelschicht allenfalls mit Zweit- oder Drittjob noch eine Minibutze leisten können. Gewöhnlich aber sind sie längst vertrieben an den Rand der Städte. Und das Schlimmste daran ist: Es gilt als normal.

Kurz vor der eindrucksvollen Mietendemonstration am Samstag hatte ein Berliner CDU-Abgeordneter ernsthaft die These vertreten, das Problem entstehe nicht, weil mit Wohnungen Geld verdient wird. Bei so einem Humbug kann man nur einen Fall von grassierendem Mietenwahnsinn attestieren. Denn tatsächlich explodieren die Mieten einzig und allein aus diesem Grund: weil mit den Wohnungen spekuliert wird.

Das Märchen vom freien Markt

Wer heute noch das Märchen vom freien Markt erzählt, der angeblich auch das Mietenniveau regle, ist entweder auf die Lügen der Neoliberalen hereingefallen oder er gehört zu denjenigen, die diese Lügen verbreiten. Denn nirgendwo sonst lässt sich komplettes Marktversagen so klar beobachten wie beim Wohnungssektor.

Die Anbieter der wenigen freien Wohnungen verfügen über ein temporäres Quasimonopol, was es ihnen erlaubt, Mondpreise zu verlangen. Daher vermeidet jeder, dem es möglich ist, seinen Umzug, was die Zahl freiwerdender Wohnungen weiter reduziert. Die Spirale dreht sich immer schneller. Die Miete explodiert.

Weil die Anbieter die Zwangslage der Suchenden für ihre Profite nutzen, muss man vielfach längst von Wucher sprechen. Der ist laut Strafgesetzbuch nicht nur verboten, sondern könnte sogar hart bestraft werden. Ein Fall für die Staatsanwaltschaften? Ja, da man von dort aber nichts hört, muss man feststellen: Der Wohnungsmarkt ist offenbar einer dieser vielfach gescholtenen rechtsfreien Räume.

Die Folgen sind dramatisch. Denn die Steigerung der Mieten führt ja nicht nur zu einer sozialen Entmischung der Kieze, an der eine Gesellschaft kein Interesse haben kann. Dahinter steckt zudem eine gigantische Umverteilung von unten nach oben, ein Raubzug an der Lebensqualität aller Nichtspekulanten. Denn die Betroffenen müssen entweder deutlich mehr arbeiten oder lange Arbeitswege in Kauf nehmen oder in kleinere Wohnungen umziehen. Meist sogar alles drei auf einmal. Kein Wunder, dass die Massen jetzt auf die Straße gehen. Sie haben Angst, ihren Status zu verlieren – und damit leider recht.

Es fehlt Kontrolle

Politisch wird derzeit gestritten, was denn wirklich Abhilfe verspricht: Bestandssicherung oder Neubau? Die Antwort ist so simpel wie naheliegend: Beides ist unabdingbar. Und beides kann nur wirken, wenn endlich ein Mieterschutz garantiert wird, der seinen Namen auch verdient.

Die Mietpreisbremse zum Beispiel ist und bleibt ein schlechter Witz, solange sie auf einem Mieterhöhungsspiegel beruht, den selbst kommunale Wohnungsbaugesellschaften zur ständigen Erhöhung des Preisniveaus missbrauchen. Sicher aber ist: Egal wie hart oder weich eine rechtliche Regelung ist, effektiv ist sie nur, wenn ihre Einhaltung auch kontrolliert wird. Dafür kann der Staat entweder ein bürokratisches Überwachungsmonster kreieren – oder er legt die Kontrolle in die Hände derjenigen, die wirklich ein Interesse daran haben: die Mieter selbst.

Eine langfristig erfolgreiche staatliche Wohnungspolitik kann nur ein Ziel haben: Sie muss Alt- wie Neubauten dem Spekulationskreislauf entziehen, indem sie ausschließlich bewohnerkontrollierte Projekte wie Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat unterstützt. Durch günstige Kredite, durch direkte Förderung und vor allem ein weitreichendes Vorkaufsrecht.

Mit anderen Worten: Es geht um die Verwirklichung eines alten Hausbesetzerslogans: die Häuser denen, die drin wohnen. Klingt radikal? Ja. Aber alles andere ist Quark.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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