Kommentar Parteitag der Linkspartei: Wagenknecht oder offene Grenzen
Woran hält die Linke fest: an ihrem Internationalismus oder an ihrer Frontfrau Sahra Wagenknecht? Die Partei muss sich entscheiden. Und zwar schnell.
E ndlich! Auf dem Parteitag der Linken am Wochenende in Leipzig ist ausgesprochen worden, was schon die ganze Zeit in der Luft liegt. Die Linkspartei und ihre Frontfrau Sahra Wagenknecht liegen in einer entscheidenden Position entgegengesetzt zueinander: Offene Grenzen für alle (Parteigrundsatz) oder nur für ganz wenige? (Wagenknecht). Die Frage, die mitschwingt, lautet: Kann die Partei beide Positionen aushalten? Oder eben nicht?
Die Berliner Senatorin Elke Breitenbach hat die Frage auf dem Parteitag beantwortet: „Du zerlegst diese Partei“, rief sie Sahra Wagenknecht zu. Sie, Breitenbach, nehme das nicht länger hin. Breitenbach wird dafür Prügel beziehen. Aber sie hat die heuchlerische Harmoniesucht der Linken durchbrochen. Sie hat sich entschieden: Beides zusammen geht nicht – offene Grenzen fordern und gleichzeitig den Nationalstaat vor Zuwanderern abschotten.
Wenn viele in der Linkspartei betonen, Sahra Wagenknecht stünde doch hinter 95 Prozent des Parteiprogramms, nur fünf Prozent trage sie nicht mit, dann verkennen sie: Es sind die derzeit entscheidenden fünf Prozent. Es geht um jene fünf Prozent, die Donald Trump in den USA zum Präsidenten gemacht haben, es sind jene fünf Prozent, die die Briten aus der EU katapultieren, es ist die Fünf-Prozent-Frage nach einem Zurück zum Nationalstaat oder einem Bekenntnis zur Internationalität. Und wer sich zur Internationalität bekennt, kommt nicht umhin, nicht nur die Einfuhr von Klamotten und Computern aus aller Welt zu begrüßen, sondern auch die Menschen, die diese herstellen.
Andere in der Linkspartei haben sich eine andere Meinung gebildet als Breitenbach. Sie sagen: Klar kann die Linkspartei Sahra Wagenknechts Position aushalten. Sie muss sogar, denn Wagenknecht ist das populärste Parteimitglied. Wo sie auftritt, hören auch Menschen zu, die nie Linkspartei wählen würden.
Wer das so sieht, muss sich aber auch der Konsequenzen bewusst sein. Wenn die Linke beides predigt – Internationalismus bei gleichzeitiger Abschottung –, gibt sie einen Teil ihres Markenkerns auf.
Das kann gut ausgehen. So wie bei den Grünen, die den strikten Antimilitarismus 1999 aufgegeben haben, als sie dem Bundeswehreinsatz im Kosovo-Krieg zustimmten und der Bombardierung Serbiens. Die Partei hat damals einige Mitglieder verloren, aber heute steht sie in Umfragen gut da.
Lässt die Linke Wagenknecht ziehen?
Es kann aber auch schlecht ausgehen. So wie bei der SPD, die 2003 die Agenda 2010 beschloss, in deren Folge sich eine bis dahin weithin unbekannte Gruppe, das Prekariat bildete. Seitdem hat sich die Partei in Bundestagswahlen halbiert und fürchtet allmählich um ihre Existenz.
Für die Linke als Oppositionspartei, die auch auf dem Leipziger Parteitag wieder die Internationale trällerte und wie keine andere für das „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ steht, ginge es vermutlich nicht gut aus. Aber das ist spekulativ.
Wenn man aber wie Breitenbach sagt: Nein, Wagenknechts Position verträgt sich nicht mit den Grundsätzen der Partei, dann heißt das in der Konsequenz: Wagenknecht mag weiter Parteimitglied sein, sie sollte aber den Fraktionsvorsitz niederlegen und ihre Politik künftig als Privatsache betreiben – also in etwa eine Position einnehmen, wie sie Friedrich Merz, Angela Merkels einstiger Gegenspieler in der CDU, heute innehat.
Das könnte im Ergebnis bedeuten, dass die Linkspartei Wagenknecht und einen Teil ihrer Wähler und Mitglieder ganz ziehen lässt. Dann gründet Wagenknecht eben eine neue Partei. So wie Bernd Lucke, der AfD-Gründer oder Frauke Petry, die einstige AfD-Chefin. Geschadet hat das der AfD leider nicht. Und vermutlich würde es auch der Linkspartei nicht schaden, wenn Sahra Wagenknecht sich mitsamt einer Sammlungsbewegung absetzt, die bis dato eher einem Geheimbund gleicht.
Die Linkspartei muss sich entscheiden, ob sie mit oder ohne Wagenknecht als Frontfrau weitermacht. Und zwar bald. Sonst schadet sie sich in jedem Fall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut