Kinderlosigkeit bei Frauen: Vielleicht will ich kein Kind
Unsere Autorin ist sich unsicher, ob sie ein Kind möchte oder nicht. Das sollte okay sein. Aber viel zu oft wird sie deshalb angeguckt wie Unkraut.
I ch bin eine Frau ohne Kinderwunsch. Also, glaube ich. Das klingt, als hätte ich mich einer Selbsthilfegruppe vorgestellt. Als hätte ich etwas sehr Intimes gesagt. Als bräuchte ich Hilfe, weil etwas nicht stimmt. Dabei sollte es klingen wie: „Ich bin eine Frau mit Kinderwunsch“, nicht nach Offenbarung, sondern nach Selbstverständlichkeit.
Viele Menschen lassen unmögliche Prozeduren über sich ergehen, damit eine größere Chance besteht, dass in ihrem Uterus ein Baby wächst. Mich berührt das, immer. Dann überlege ich, wie es mir wohl ginge, wenn ich niemals schwanger würde. Ich denke, es ginge mir gut. Trotzdem bin ich mir nicht sicher mit dieser Sache. Wie unterscheidet man zwischen dem, was man wirklich will und was man glaubt zu wollen, weil man es so gelernt hat? Manchmal ist das ja sogar deckungsgleich.
Als ich acht Jahre alt war, bekam ich eine Babypuppe zu Weihnachten, sie hatte eine Glatze, grüne Augen, Arme und Beine aus Plastik und einen Stoffkörper, der weich in meinen Armen lag. Ich liebte diese Puppe über alles, weil ich mich damit nicht wie ein kleines Mädchen fühlte sondern groß, fast wie meine Mutter, eine richtige Frau. Als spannte sich ein einziger Faden von dort in das sehnlich erwartete Erwachsenenleben hinein – Mädchen, Babypuppe, Frau, Baby.
Quatsch. Das wirst du bereuen. Wie alt bist du? Das kommt noch. Viel Zeit hast du aber nicht mehr. Da fehlt nur der richtige Mann. Wegen Klimakrise? Ah, du hast Angst zuzunehmen? Ah, du willst also lieber Karriere machen! Das geht nicht. Das alles haben Leute zu mir gesagt, als ich von meinen Zweifeln erzählte. Weil Frausein selbst im Jahr 2021 noch ein Politikum ist. Was nicht die Norm ist, muss einen absurden Grund haben. Es muss an etwas liegen. Es kann nicht einfach nur ihr Wunsch sein. Eine Frau, die kein Kind gebären will, was ist mit der? Ich bleibe bei diesem Thema vage, sogar vor mir selbst. Auch, weil mir lange nicht klar war, dass es viele Varianten des Frauseins gibt und alle wertvoll sind.
Vielleicht wache ich nächstes Jahr auf und will plötzlich eins. Vielleicht werde ich aus Versehen schwanger und will es behalten. Es ist bestimmt schön, für einen kleinen Menschen da zu sein. Das schiebe ich oft nach, um der Sache die vermeintliche Härte zu nehmen. Ich sollte das aber nicht sagen müssen, damit ich nicht mehr angeguckt werde wie Unkraut. Niemand sollte das.
Ich kenne zwei Frauen in meinem Alter, denen es ähnlich geht. Eine will niemals Kinder, eine zweifelt mit mir. Wir reden darüber wie hinter vorgehaltener Hand. Dabei sollte das alles Platz haben, ja und nein und vielleicht. Wir sollten wissen, dass es mehrere Fäden gibt in das Erwachsensein hinein. Und dass wir vollständig sind – egal ob wir Mütter sein wollen oder nicht, ob wir Schwangerschaften abbrechen, uns hindurchquälen oder genießen, ob wir Kinder adoptieren, verlieren oder alles davon.
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