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Israels Angriff auf den IranVölkerrechtliche Zeitenwende

Gastkommentar von Cornelius Adebahr

Bei Israels Angriff auf den Iran agiert der Westen mit Doppelmoral. Damit trägt er mehr zu Erosion des Völkerrechts bei als der offene Regelbruch mancher Autokraten.

Israel hat allein gehandelt und zum wiederholten Mal das Völkerrecht verletzt Foto: Majid Asgaripou/Wana/reuters

D er israelische Angriff auf iranische militärische und nukleare Einrichtungen markiert eine Wasserscheide – für die Region, aber womöglich auch für die Welt. Denn in der Reaktion der Weltgemeinschaft wird sich zeigen, ob es mittelfristig noch so etwas wie eine internationale Ordnung gibt, die zwischenstaatliches Handeln einhegt. Oder ob wieder das Recht des Stärkeren gilt, das in vergangenen Jahrhunderten zu dauerhaften Kriegen geführt hat.

Richtig, es geht hier nicht in erster Linie um Irans Atomprogramm oder Netanjahus politische Zukunft. Der israelische Premier mag sich ausrechnen, dass die Fortsetzung und Steigerung des von ihm selbst ausgerufenen „Siebenfrontenkriegs“ ihn davor bewahren werden, politisch per Urnengang oder juristisch durch die Gerichte zur Rechenschaft gezogen zu werden. Seine Argumentation, er habe mit dem Angriff eine unmittelbare Gefahr für sein Land abwenden müssen, ist angesichts der laufenden Atomgespräche zwischen Iran und den USA unglaubwürdig.

Und auch wenn die Berichte der Internationalen Atomenergiebehörde auf eine gesteigerte Urananreicherung und mangelnde Kooperation seitens Teherans hindeuteten, so war Iran doch selbst in den Worten Netanjahus vom tatsächlichen Bau einer Bombe – so diese Entscheidung denn getroffen würde – noch Monate entfernt.

Auch der US-Präsident kommt aus dieser Nummer nicht heraus, selbst wenn er erst verlautbaren lässt, Israel habe allein gehandelt, um im nächsten Moment die Angriffe zu loben und dem Land seine Unterstützung zuzusagen. Vor allem aber war Donald Trump derjenige, der mit dem Austritt aus dem Atomabkommen 2018 die aktuelle Situation – in der ein immer weniger kontrolliertes iranisches Atomprogramm als regionale Bedrohung wahrgenommen werden konnte – überhaupt erst herbeigeführt hat. Und der den „besseren Deal“, den er schon in seinem ersten Wahlkampf 2016 versprach, bis heute nicht ausgehandelt hat.

Die Europäer sind einmal mehr Zuschauer in einem Stück, dessen Dramaturgie sie nicht verstehen
Cornelius Adebahr

Cornelius Adebahr ist selbst­ständiger Politik­berater und Analyst in Berlin, wo er zu europäischen und globalen Frage­stellungen arbeitet und den Bürger­dialog über Außenpolitik fördert. Er ist seit Anfang 2006 am Forschungs­institut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) tätig und lebte von 2011 bis 2016 in Teheran.

Und die Europäer? Sind einmal mehr Zuschauer in einem Stück, dessen Akteure sie zwar zu kennen glauben, aber dessen Dramaturgie sie nicht verstehen – und in das sie dennoch meinen, eingreifen zu müssen.

Was wissen wir schon

Was wissen wir schon über das Gefühl, in einem Staat wie Israel zu leben, der seit seiner Gründung aus einer historischen Katastrophe heraus von den Nachbarn bekämpft wird, dabei selbst zu verrohen droht und in dem sich gleichzeitig tiefe innere Gräben zwischen liberalen und religiös-nationalistischen Einstellungen auftun? Was wissen wir über die Menschen in einem Land mit mehrtausendjähriger Geschichte, die vor rund 45 Jahren einen autoritären Monarchen zu Fall brachten, nur um seitdem von einer theokratischen Klasse unterdrückt und dem Großteil der westlichen Welt ausgegrenzt zu werden?

Und wie könnten wir verstehen, was in dem Kopf des mächtigsten Mannes der Welt vorgeht, für den sämtliche internationale Konflikte nur „dornige Deals“ sind, die es zu schließen gilt, weil doch jeder – wie er selbst – nur auf seinen ökonomischen Vorteil bedacht sei?

Was wir aber nachvollziehen können, ist die große Verwunderung in weiten Teilen der Welt über die selektive Anwendung von Regeln und das willkürliche Einfordern des Einhaltens derselben durch andere. Das heißt, um es plakativ an den zwei prominentesten Fällen seit 2022 festzumachen: Wir können nicht auf Dauer folgenlos den Völkerrechtsbruch des einen (Russland gegenüber der Ukraine) beklagen und bekämpfen und den des anderen (Israel in Gaza) beschweigen und nicht ahnden.

Ja, die Gesamtlage ist kompliziert und jeder Fall bedarf einer gesonderten Betrachtung, inklusive Vorgeschichte und möglicher Verbrechen auf beiden Seiten. Doch genau dafür ist das Völkerrecht da: allgemein gültige Regeln, die für alle Staaten gelten (sollten), egal ob sie unsere Verbündeten sind oder nicht. Im konkreten Fall heißt das: Wer, wie die Bundesregierung, den anlasslosen – und vermutlich völkerrechtswidrigen – Angriff Israels mit Verweis auf Irans mögliche Verletzungen des Nichtverbreitungsvertrags vorauseilend legitimiert, den Gegenschlag hingegen als „unterschiedslosen iranischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet […] auf das Schärfste“ verurteilt, misst eindeutig mit zweierlei Maß.

Wenn die einen gleicher sind

Es ist diese Doppelmoral im Umgang mit dem Völkerrecht, die langfristig mehr zu Erosion der internationalen Ordnung beiträgt als der offene Regelbruch mancher Autokraten. Denn auch innerhalb einer Gesellschaft finden täglich Tausende Gesetzesverletzungen statt; doch solange sie unparteiisch verfolgt und bestraft werden, bleibt das zugrundeliegende Regelwerk anerkannt. Wenn dieses aber offenkundig nur für die einen gilt und für manche nicht, wenn Letztere also „gleicher“ sind als die anderen – dann verlieren die bestehende Ordnung und deren Verfechter ihre Glaubwürdigkeit.

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Noch einmal: Es kann Gründe geben, sich in der aktuellen Situation reflexhaft an die Seite Israels und der USA zu stellen, von unserer eigenen Geschichte bis zur Sorge um den Bruch des transatlantischen Bündnisses. Es ist möglich, zu dem Schluss zu kommen, dass ein Beharren auf das Völkerrecht – Verbot eines Angriffskriegs und bewaffneten Angriffen auf Nuklearanlagen, Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten – praktisch unmöglich ist.

Doch müssen wir uns bewusst sein, dass wir damit eine regellose Welt herbeiführen, in der kleine und mittelgroße Staaten der Willkür der Großmächte wie den USA, China und Russland ausgeliefert sind. Dass Deutschland und Europa als Verfechter des Völkerrechts und der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Ordnung ausfallen. Dass wir uns damit noch abhängiger von den Launen des Mannes im Weißen Haus machen, der uns seinen Willen aufzwingen kann.

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46 Kommentare

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  • Kasper , Moderator*in

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  • Netanjahu stell den Angriff als vom Völkerrecht gedeckten Präventivschlag dar.

    Der Punkt bei der völkerrechtlichen Beurteilung der Angriffe Israels auf den Iran ist m.E. ob das iranische Atomprogramm so weit gediegen war, dass waffenfähiges Uran UND! atomwaffenfähige Sprengköpfe vorhanden waren, das ein Präventivschlag völkerrechtlich gerechtfertigt wäre.

    Meines Wissens ist das nicht der Fall.Die Sprengköpfe dafür existieren nicht.

  • Mich interessiert wann das Völkerrecht mal volle Gültigkeit hatte. Die Großmächte haben sich meiner Erinnerung noch NIE daran gehalten oder zumindest nur unter Vorbehalt gegen sich gelten lassen.

    Der Abtritt des "Weltpolizisten" führt dazu, dass der Kreis derjenigen, die sich nicht mehr daran zu halten brauchen, sich erweitert hat. Oder genauer: Wer sich mit Trump verständigt, kann machen was er will.

  • Bezeichnend aber, dass ausgerechnet Israel jetzt an den Pranger gestellt wird. Das Völkerrecht wurde in den letzten 50 Jahren zigmal verletzt, ohne dass es einen Aufschrei gab.

    Völkerrechtsbrüche: 1979 UdSSR in Afghanistan, 1980 Irak gegen Iran, 1990 Irak in Kuwait, 1991-95 Serbien gegen Bosnien/Kroatien, 1992 Russland in Transnistrien, 1999 NATO in Jugoslawien, 2003 US-geführter Irakkrieg, 2008 Russland in Georgien, 2014 Annexion Krim, 2022 Großangriff Russlands auf Ukraine, 2023 Hamas-Angriff auf Israel.

    Dazu noch Völkermorde: 1975-79 Kambodscha, 1994 Ruanda, 1995 Srebrenica, 2014-17 Jesiden, 2016-18 Rohingya.

    Und zig Bürgerkriege: Syrien, Jemen, Sudan, Bergkarabach. Weitere: 1974 Türkei in Nordzypern, ab 2016 Türkei in Syrien/Irak, 2015-21 Russland in Syrien.

    Auch ist das Völkerrecht einfach nur aus der Zeit gefallen. Hybride Kriegsführung (z.B. durch Wagner, Hamas, Hisbollah, Huthi) oder Cyberwar stellen neue Kriegsformen dar, die im klassischen Völkerrecht gar nicht auftauchen.

  • Es stimmt, wir wissen nicht, wie das Lebensgefühl der Menschen in den USA, Israel oder Iran ist.

    Sie kennen auch unseres nicht.

    Man kann nicht unbedingt fühlen, was andere fühlen.

    Es helfen aber Empathie und Offenheit, von jeder Seite.

    Zum Völkerrecht: Ja, es ist absolut korrekt, dass dauerhafte Rechtsverstöße das Gesamtsystem unterminieren.

    Nun sei die ketzerische Frage erlaubt: In welchem Konflikt, wo eine bestimmte Interessenlage herrschte, IST das Völkerrecht denn als letztes angewandt worden?

    Ein gutes Beispiel ist der zweite Golkrieg nach Saddam Hussains Einmarsch in Kuwait.

    Der Kosovokrieg war ein klarer Völkerrechtsbruch.



    Afghanistan war rechtfertigbar, aber mit einem Stretch.



    Irak? Hahaha.



    Libyen? Der Eingriff aller möglichen Staaten in Syrien?



    Ukraine? Ganz sicher nicht. Davor Georgien, Tschetschenien?



    In jüngster Zeit der Umgang mit der palästinensischen Zivilbevölkerung?

    "Das Recht des Stärkeren", das der Autor befürchtet, ist schon längst da, fürchte ich.

    Es gibt Teile des Völkerrechts, die funktionieren. Aber wenn die stärksten Rechtssubjekte sich nicht dem Recht unterwerfen, wird es hinfällig.

  • Das galt doch 2003, als die Führungsnationen des "Westens" mit offensichtlichen Lügen den Irak angegriffen haben, genauso. Und dass die Türkei seit über 50 Jahren (mittlerweile) EU-Territorium widerrechtlich besetzt hält, scheint auch niemanden zu jucken. Ja, manche sind nun einmal gleicher...

  • Das einzig Erfreuliche an der gegenwärtigen Entwicklung ist, dass es zumindest in Europa bei manchen dazu führt, das zweierlei Maß (um es freundlich auszudrücken), das der "Wertewesten" und seine Vorläufer seit jeher an den Tag legten, zu kritisieren, immerhin, endlich. Leider noch nicht so weitgehend, es abzulehnen, denn dann würden Konsequenzen gefordert. Warum eigentlich nicht?

  • Ich sehe da mittlerweile eher eine Doppelmoral gegenüber dem sogenannten Westen von den vermeintlichen moralischen Verfechtern der friedlichen Weltordnung. Wenn die Türkei Völkerrecht bricht: Schweigen. Wenn China Völkerrecht: Schweigen. Wenn der Iran Völkerrecht bricht: Schweigen. Wenn Russland… Kurdische Gebiete, Tibet, Yemen, Ukraine, Sudan… alles keine wirkliche Nachricht wert. Die Liste ließe sich fortsetzen. Jetzt werden viele bestreiten das Geschwiegen wird, aber wenn man sich mal anschaut welche Aufmerksamkeit die aktuellen Entwicklungen im Vergleich bekommen, dann kommt das einem Schweigen einfach gleich. Wenn das kein Eurozentrismus ist, was soll es sonst sein? Das Ideal was der Autor versucht zu verteidigen ist schon seit Jahren tot und bzw. Galt immer nur für den „Westen“. Es interessiert außer dem Westen niemanden, das es Sanktionen gegen Russland gibt. Wenn opportun handeln sie weiter mit Russland. So konnte diese Idee nie funktionieren und deswegen ist das Projekt eben gescheitert. Das ist historisch traurig, aber der Weltgemeinschaft als Ganzer anzulasten.

  • Sollte Trump sich entschließen direkt an der Seite Israels in den Krieg gegen den Iran einzutreten und dessen Raketen oder Drohnen ein Schiff oder Flugzeug der USA im Mittelmeer treffen könnte dies den NATO Bündnisfall auslösen. Siehe Art. 6 des NATO Vertrags in dem völkerrechtlich genau ausgeführt wird wann ein Angriff auf einen NATO Staat vorliegt. Nicht dass die USA die militärische Hilfe der übrigen NATO Staaten gegeben den Iran brauchen würde, aber im Fall des Falls wäre Trump sich sicher nicht zu Schade Bündnistreue zu verlangen und dann wäre es auch unser Krieg.

  • Dem Text deckt sich zu 100% mit meiner Auffassung.



    Schön, dass jemand öffentlich ausformuliert hat.



    Es sollte mit gleichen Maßnahmen gegen Aggressoren vorgegangen werden, egal ob Freund oder Feindbild.



    Wie UN demontiert seine Daseinsberechtigung, meines Erachtens, derzeit selbst.



    Was finanzieren wir denn dort mit unseren Steuergeldern?

    Für die derzeitigen Aussagen unserer Politiker muss man sich, zumindest international betrachtet, mehr als schämen.

    Wer völkerrechtswidrige Angriffe und Verhaltensmuster, ohne deutliche Maßnahmen, einfach so hinnimmt sollte belangt und verklagt werden.

    Es reicht.....

  • Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Israel etwa 100 Atomwaffen besitzt. Deshalb würde eine iranische Aufrüstung eine ähnliche Lage schaffen wie in Europa im Kalten Krieg.

  • Ja, danke für diesen Text! Ob Herrn Merz klar ist, welche langfristigen Konsequenzen das auch für Deutschland hat, wenn er affektiv findet, Israel mache die Drecksarbeit auch für uns? Für mich nicht! Europe wird nicht zu den Gewinnern zählen, wenn das Völkerrecht nicht mehr geachtet wird. Und zu erwarten, andere würden es achten, wenn man selber bei (vermeintlichem) Bedarf wegschaut, wäre mehr als naiv.

  • Eine Zeitenwende ist dies natürlich nur für denjenigen, der bisher darüber hinweggesehen hat, dass Staaten wie der Iran (die Liste ließe sich beliebig verlängern), von Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah ganz zu schweigen, schon immer das Völkerrecht ignoriert haben, wenn es ihren politischen Zielen opportun war. Auch die Klage über die vermeintliche Doppelmoral des Westens nervt allmählich nur noch. Gerade in den Ländern des von der postkolonialen Linken so gehätschelten "Globalen Südens" hat man es immer wieder mit Akteuren zu tun, die sich im Zweifelsfall am Recht des Stärkeren orientieren. Doppelmoral ist es daher, den Regelbruch Israels lauthals zu beklagen, und gleichzeitig zu darüber hinwegzusehen, was dem vorausgegangen ist. Weshalb der "offene Regelbruch mancher Autokraten" weniger schlimm sein soll, bleibt das Geheimnis des Verfassers.

  • Wo sind die Völkerrechtsrufer, wenn es um den hybriden Krieg geht, den Iran mitten in Europa führt?



    Ich bin mit einem Regimegegner befreundet, der hierzulande um sein Leben fürchtet, sich nicht mehr in ein Flugzeug traut - man könnte ja entführt werden und am Ende als deutscher Staatsbürger hingerichtet werden.



    Zu diesem unfassbaren Fall, der seitens deutscher Politik genau welche Folgen hatte? Keine!



    Aber ja, betrauern wir das Völkerrecht, das Iran tagtäglich mit Füßen tritt.



    Und reden wir dann noch mal über Doppelmoral.

  • Merkt der Autor nicht den Widerspruch in seinen eigenen Aussagen?

    Erst wird hier für unglaubwürdig erklärt dass der Iran Israel mit Atomwaffen angreifen will, obwohl das das erklärte Ziel des Regimes dort ist und dann erklärt es laufen ja Gespräche über ein Abkommen mit Trump (der bekannterweise ja der Inbegriff von Souveränität und Zuverlässigkeit ist):

    "Seine Argumentation, er habe mit dem Angriff eine unmittelbare Gefahr für sein Land abwenden müssen, ist angesichts der laufenden Atomgespräche zwischen Iran und den USA unglaubwürdig."

    Dann erklärt er selbst warum einem solchen Abkommen niemand trauen kann:

    "Vor allem aber war Donald Trump derjenige, der mit dem Austritt aus dem Atomabkommen 2018 die aktuelle Situation – in der ein immer weniger kontrolliertes iranisches Atomprogramm als regionale Bedrohung wahrgenommen werden konnte – überhaupt erst herbeigeführt hat."

    1. Warum reichert der Iran massenhaft waffenfähiges radioaktives Material an wenn keine Gefahr für Israel davon ausgehen soll?



    2. Hat der Iran Israel mit hunderten Raketen beschossen und finanziert seit Jahrzehnten Terrororganisationen wie die Hisbollah um sie gegen Israel.l einzusetzen!

  • Die IAEO verabschiedete kürzlich eine Resolution, in der sie den Iran offiziell für nicht konform mit seinen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag erklärte. Die Resolution verweist auf die seit 2019 andauernde Weigerung des Irans, bei der Aufklärung nicht deklarierter Kernmaterialien zu kooperieren.

    Heißt, die Bombe kann längst in einer der Raketen Irans auf ihren Abschuss warten. Vielleicht seit Jahren?

    Wirtschaftswoche: "Vor zehn Jahren hat Iran das „Wiener Atomabkommen“ unterzeichnet: Die Mullahs versprachen, Uran maximal bis zu einem Reinheitsgrad von 3,67 Prozent für zivile Zwecke anzureichern. Die USA kündigten den Vertrag 2018, auch weil Iran sich weigerte, der IAEA alle Möglichkeiten der Kontrolle einzuräumen.



    . . . .

    Die Bedrohung Israels durch Iran sei zu abstrakt als dass die Militärschläge mit dem Völkerrecht zu vereinbaren seien, argumentieren Rechtsexperten. Zu abstrakt? Die Gewaltherrscher in Iran bauen seit 20 Jahren an der Bombe und sind viel zu weit damit vorangekommen: Nicht auszumalen, was man sich unter einer weniger abstrakten Bedrohung vorzustellen hätte."

    Israel muss nicht warten bis ihnen (und den Palästinensern) die Bombe auf den Kopf fällt.

  • Wo, bitte, gibt es eine ehrliche!! große Verwunderung über die selektive Anwendung von Regeln in der Welt? In den Ländern des Globalen Südens? Im Westen? Kann ich so nicht sehen. War die Forderung nach Einhaltung des Völkerrechts nicht IMMER und von JEDEM selektiv? Es wird - auch in dem Komentar- immer so getan, als gebe es entweder eine streikte Einhaltung des (Völker-)rechts oder die blanke Willkür großer Mächte. Das hat mit der Realität nichts zu tun. ZU Rußland-Israel: Ich habe noch von keinem Verbündeten Putins (Iran, Nordkorea, Belaruss oder China) gehört, dass diese die Bombardierung von zivilen Zielen, die Verschleppung von Kindern, die Verbrechen von Butscha verurteilt hätten. Eine Kritik an Israels Vorgehen in Gaza und Iran seitens des WEsten dagegen gibt es - auch wenn das manchen viel zu schwach scheint. Und: Israel wehrt sich (von mir aus sagt mit unverhältnismässigen, völkerrechtswidrigen, kriegsverbrecherischen Mittteln gegen Gegner, die das Land ausdrücklich vernichten wollen (from the river to the sea). Rußland greift ein Land an, dass sich nie agressiv verhalten und spricht der Ukraine das Existenzrecht ab. Auch daher rührt die unterschiedliche Beurteilung beider.

  • Volle Zustimmung. Frag mich auch wie man es legitimiert das ein Land das einen Vertrag nicht unterschrieben hat, ein anderes Land angreifen darf, das besagten Vertrag angeblich gebrochen hat. Müssten dies wenn dann nicht die anderen Vertragspartner ahnden? Man verbiegt sich mittlerweile wie ne Bretzel um das alles zu legitimisieren, zu entschuldigen und zu relativieren. Und die Verlierer sind wie immer die Opfer dieser Kriege. Und was machen denn eigentlich die europäischen Politiker, die diesen Angriff jetzt legitimisieren, wenn es zum Krieg kommt und die erste Flüchtlingswelle auf Europa zuströmt? 38 Millionen Flüchtlinge gab es im Nahen Osten seit 9/11. Aber Konsequenzen müssen ja immer nur Zivilisten tragen nicht Politiker.



    Im Grunde haben wir doch seit jeher ein Zwei-Klassen- Völkerrecht, eins grob gesagt für den globalen Süden (Ausnahme Neuseeland und Australien) und eins für den globale Norden und die fünf Vetomächte stehen sowieso über dem Gesetz. Solange sich an diesem System nichts ändert, und ich sehe da keine Hoffnung, wird es weiter bergab gehen.

  • "Bei Israels Angriff auf den Iran agiert der Westen mit Doppelmoral. Damit trägt er mehr zu Erosion des Völkerrechts bei als der offene Regelbruch mancher Autokraten."



    Doppelmoral?



    Nein, denn Israel hat längst die Atombombe, trotzdem hat es NOCH NIE dem Iran mit einem atomaren Angriff gedroht, auch fällt Israel nicht dadurch auf, stetig ans Volk wie an die Welt Parolen auszugeben, die die Vernichtung des Iran fordern...



    Diese Tatsachen zerlegen auch direkt den zweiten Vorwurf, dass diese angebliche Doppelmoral des Westens zu mehr Erosion des Völkerrechts führe als mancher offene Regelbruch von Autokraten - denn der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat definitiv mehr Völkerrecht erodiert, als wenn der Westen drüberwegsieht, wenn Israel den Iran daran hindert Atommacht zu werden...



    Man sieht ja was Nordkorea macht seit es Atommacht ist - einen Test nach dem anderen...



    Ein weiteres unberechenbares Terrorregime das atomar bewaffnet ist braucht unsere Welt wahrlich nicht - insofern "Danke Israel und go on" 👍

  • Welches Recht haben Atomwaffenstaaten, anderen Staaten den Besitz von Atomwaffen zu verbieten?

    Iran bestreitet das Existenzrecht Israels. Warum auch nicht - Israel bestreitet das Existenzrecht Palästinas.

    Die Mullahs sind religiöse Fanatiker, die Anders- oder Nichtgläubigen das Existenzrecht absprechen - genau wie die rechtsorthodoxe israelische Regierung.

  • Der Iran ist durch seine Unterstützung der Hamas, Hisbollah und den Huthi schon längst Kriegspartei und hat somit den Krieg mit Israel auch begonnen. Das der Iran schon seit langer Zeit mit der vollständigen Vernichtungg Israels mittels Atombombe droht, tut sein Übriges und die Situation kann gar nicht mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine verglich werden, womit auch keine Doppelmoral an den Tag gelegt wird

  • Israel hat angegriffen? Der Iran hat Israel über seine Verbündeten ständig angegriffen. Es gab auch direkte Raketenangriffe. Das reicht bereits, um Israels Gegenangriff zu rechtfertigen.

  • Hat der Weltpolitiker Joseph Martin „Joschka“ Fischer sich schon geäußert?

  • Fragen Sie mich in frühestens 10 Jahren nach einer Bewertung. Aber folgende Punkte sollten berücksichtigt werden. 1. Der Iran hat völkerrechtlich (!) kein Recht Kernwaffen zu bauen oder zu besitzen 2. Sowohl aus der iranischen Verfassung als auch aus dem aktiven iranischen Handeln folgt eine Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel (des Staates, nicht der Juden an sich) 3. Soweit öffentlich bekannt, ist der Iran ein aktiver Förderer diverser Gruppen (z.B. Hamas), die sowohl das Existenzrecht Israels als auch das der Juden an sich ablehnen. Auf welches Wunder soll Israel also warten - auf den völkerrechtlich korrekten Untergang? Abgesehen davon kann man durchaus die Frage aufwerfen, ob obige Punkte nicht auch ein formales Recht auf Selbstverteidigung im Sinne des Völkerrechts begründen.

  • Vielleicht hilft ein Blick auf den "Demokratieindex" (entnommen der Wikipedia, Quelle: Economist):



    Unter den ersten 35 Staaten sind 22 aus Europa (fast alle EU), 4 aus Asien, 3 aus Lateinamerika und je 2 aus Nordamerika, Afrika und Ozeanien.



    Demokratien führen untereinander extrem selten Krieg (unter den 35 nur, wenn einer im vor- oder zwischendemokratischen Modus war) oder greifen irgendwie zu völkerrechtsfremden Mitteln zur Konfliktbewältigung.



    Alle anderen Staaten werden von den Demokratien als mehr oder weniger große Bedrohung der Weltordnung wahrgenommen und entsprechend behandelt. Dazu zählt auch, dass man sie mit militärischen Mitteln einzudämmen versucht oder ein Regimewechsel herbeiführt.



    Fr. Baerbock hat als AM z.B Hr. Putin und Hr. Xi in aller Öffentlichkeit und sehr undiplomatisch als das bezeichnet, was sie sind: Diktatoren. Das haben die beiden nicht gern gehört, aber es ist die Wahrheit.



    Ländern, die aus Sicht des "Westens" keine Demokratien sind bzw. deren Regierungen nicht frei und allgemein gewählt wurden (und in der Folge die Menschenrechte im Inneren verletzen), werden von ihnen nicht wirklich akzeptiert.



    Könnte man überheblich nennen oder sachdienlich...

  • Sehen wirs doch mal positiv: Wenigstens besteht aktuell nicht die Gefahr, dass Voelkerrechtsbrecher einen Friedensnobelpreis bekommen.

  • ""Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. ""

    zum Sebstverteidigungsrecht:



    ""Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der UN keineswegs das Recht zur Selbstverteidigung.Ein Staat muss auch nicht sehenden Auges so lange warten, bis er angegriffen wird.""



    ==



    1..a.. der Iran hat momentan ca. 400kg Uran auf 60% angereichert b..Unbestritten ist auch das die Anreicherung auf die notwendigen 90% nur noch Tage dauern 3.. Unbestritten ist auch das die Verarbeitung zu einer Bombe maximal auf 365 Tage geschätzt wrd. 4. Der Iran verfügt bereits über die Trägerrakete Shahab3A -- gefährlich auch ohne atomare Bestückung wegen der hohen Geschwindigkeit & der mangelnden Effektivität verfügbarer Abwehrsysteme, 5. Seit Jahren droht der Iran Israel die Vernichtung an 6. Der Angriff des Irans auf Israel ist bereits am



    7. 10. erfolgt - das Regime hat diesen Angriff erst ermöglicht.

    Wer agiert denn hier regellos?

  • Die Großmächte haben schon seit Jahrzehnten mit ihrem Vetorecht im UN Sicherheitsrat dazu beigetragen, dass Verstöße gegen das Völkerrecht nicht geahndet werden.

    Gleiches gilt für die Nichtakzeptanz des Weltgerichtshofs der sich sogar Sanktionen und Gewaltandrohungen seitens der USA ausgesetzt sah.

    Die größte Schwäche ist daher nicht, dass gegen das Völkerrecht verstoßen wird, sondern das die Verstöße meist folgenlos bleiben.

    Recht was nicht durchgesetzt wird erosiert zwangsläufig und das wird beschleunigt durch die Haltung der Hegemonialmächte, die nach außen hin zwar eine völkerrechtszentrierte Weltordnung einfordern, sich aber nur dann darauf berufen, solange nicht ihre eigenen Interessen berührt werden.

    Die vom Autor beklagte Doppelmoral ist in der Hinsicht lediglich die Spitze des Eisbergs, aber nicht das grundlegende Problem.

    Abhilfe könnten da als erster Schritt Kooperationsbündnisse der Europäer mit anderen Staaten in Afrika, Asien, Südamerika oder im Nahen Osten schaffen und es bedürftige zudem eine Reform innerhalb der UN.

    • @Sam Spade:

      Das ganze System der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen basiert auf der Zusammenarbeit der fünf Veto Mächte im Sicherheitsrecht als Garanten des Völkerrechts. Ohne deren Kooperation ist das Gewaltverbot nur ein Soll-Satz ohne Durchsetzbarkeit. Das ist an und für sich nichts neues denn das die Veto Mächte sich im UN Sicherheitsrat gegenseitig blockieren ist seit 1945 eher die Regel und nicht die Ausnahme. Aber mit Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, Xis offenem Anspruch Taiwan zu erobern und Trumps erratischen Fantasien wird der UN Sicherheit nicht mal mehr theoretisch seiner Aufgabe gerecht.

    • @Sam Spade:

      Ist der Abwurf einer Atombombe über einem Land mit dem Völkerrecht vereinbar?

      Wäre interessant was die UNO sagt, wenn die Bombe aus einer iranischen Trägerrakete auf Israel fiele.

      Eine Resolution gegen Israel verfassen?

  • In vielem sei dem Artikel zugestimmt. Nur die Übertragung einer innerstaatlichen auf eine zwischenstaatliche Logik sei angezweifelt. Es gibt kein Recht ohne eine funktionierende und im allgemeinen anerkannte Instanz der Rechtsdurchsetzung. In funktionierenden Staaten gibt es die. In den internationalen Beziehungen gibt es sie nicht.

    Deshalb sei auch der Gedanke in den Raum geworfen, dass die vermeintlich (formal) "regelbasierte" internationale Ordnung nur so lange mehr schlecht als recht funktioniert hat, wie sie auch Ausdruck einer gewissen, nur vorübergehend stabilen Mächtekonstellation war. Im Verhältnis der Zentren zu den Peripherien war diese Regelbasiertheit unter Gleichen noch nie vorhanden. Neu ist vielleicht nur die Gewaltbereitschaft unter eher gleichrangigen Akteuren.

  • Also dass die Hamas ein iranischer "Proxy" sein soll ist doch nun wirklich blühender Unsinn. Die Hamas wurde einst von Israel aus der Taufe gehoben, als Spaltpilz und Konkurrenz zur Fatah. Genau so, wie Israel jetzt noch radikalere Islamisten und Kriminelle bewaffnet und sie dann Hilfsgüter plündern lässt.

  • Ein sehr guter, zum Nachdenken anregender Kommentar, dem ich zustimme.

    Zu 'Wenn dieses [Recht] aber offenkundig nur für die einen gilt und für manche nicht, wenn Letztere also „gleicher“ sind als die anderen – dann verlieren die bestehende Ordnung und deren Verfechter ihre Glaubwürdigkeit': ich habe seit Längerem den Eindruck, dass das Zeitalter der Aufklärung sich ins Gegenteil verkehrt hat. Es wird dunkler und dunkler, Disenlightenment, und die Entwicklung kann einem Angst machen (aber leute finden das ja auch gut, mögen sie doch zB auch Game of Thrones :-(.)

    Was aber darüberhin noch dazukommt und mir ebenfalls Angst macht, was offenbar aber einfach hingenommen wird, ist, dass das Hinnehmen diese doppelten Standards für die Israelische Regierung auch Wasser auf die Mühlen der 'echten' Antisemiten ist, die ihre Topoi bestätigt sehen.

  • Dass die USA internationales Recht mit Füßen treten und der Westen dabei scheinheilig zusieht, ist doch nichts Neues. Sowohl die Invasion Afghanistans als auch der Irakkrieg waren eindeutige Angriffskriege ohne UN-Mandat – und damit völkerrechtswidrig. Wir sollten uns nicht vormachen, dass wir es heute mit einer völlig neuen Situation zu tun haben. Allerdings ist sich die Welt der westlichen Doppelmoral inzwischen bewusster denn je.

  • Nachdem sie und ich keine Juristen sind, ist ihre Argumentation mit dem Verbot nach Völkerrecht eine ganz steile These. Das kann man auch komplett anders argumentieren und andere Völkerrechtler tun genau das

    Es verstetigt sich der Verdacht, dass das nur ein vorgeschobenes Argument ist. Wie wärs mit Politik?

  • Ich empfinde den Verfall der liberalen "Weltordnung" auch als Katastrophe, die Schuld daran Europa zuzuschieben erscheint mir aber nicht ganz fair. Ausser europäische Länder hat sich kaum eine Regierung auf der Welt ernsthaft für eine regelbasierte Ordnung eingesetzt. Und selbst in Europa wurden diese Regeln seit je her selektiv angewandt, den USA liess man immer alles durchgehen, bspw. Jahrzehnte von orchestrierten Militärputschs in Lateinamerika.

    Auch interessierte sich der Grossteil der Welt, sei es Indien, China oder der Iran, keinen Deut für das Völkerrecht als Russland die Ukraine überfiel, sie handelten und paktierten weiter mit dem Putin-Regime. In diesen und zahllosen anderen Ländern galten und gelten Menschenrechte et al. sowieso seit je als "westlich", "kolonialistisch" etc. Entsprechend können sich diese Regierungen ihre Kritik an der Doppelmoral Europas sonst wo hinstecken.

    Zu guter Letzt: Iran und Israel führen schon seit längerem offenen Krieg. Hisbollah, Hamas und Huthi sind iranische Proxies, das kann man nicht unerwähnt lassen.

    • @Claudio M.:

      "Ausser europäische Länder hat sich kaum eine Regierung auf der Welt ernsthaft für eine regelbasierte Ordnung eingesetzt. "

      Wo hat Europa, z.B. ach Deutschland, die Einhaltung der Regeln dann auch umgesetzt? Nach dem Überfall auf die Ukraine kam Nord Stream 2.

    • @Claudio M.:

      Eins noch zur Weltordnung und wer am Verfall schuld ist: Es erscheint mir sehr hervorhebenswert, dass sehr sehr viele Staaten auf der Welt keine oder kaum Konflikte mit Nachbarn haben, sollte es welche geben diese Konflikte nicht militärisch lösen und dass sie nicht gegen UN-Resolutionen verstoßen bzw. gegen sie gar keine vorliegen. Zweitens - wichtiger - ist nicht nur Einsatz, sndern auch Akzeptanz und Befolgen wichtig, es ist sogar das Entscheidende, denn das andere sind v.a. Worte, wie sie richtig suggerieren. Und dahingehend war diese Weltordnung doch eine starke und wichtige Sache, fast alle Staaten haben stillschweigend partizipiert oder zumindest in der Regel partizipiert. Also: Die Rede von "Verteidigern" ist verständlich, aber der Sache nicht so sehr angemessen wie wir in unserer Rede- und Diskussionskultur glauben.

    • @Claudio M.:

      Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten, aber die These mit den "Proxies" sagt seit einigen Monaten jeder - davor war davon nicht die Rede. Das heißt, es ist das Ergebnis eines Narrativs. Woher das kommt? Kann ich nicht nachvollziehen, weder Möglichkeit noch Zeit, aber es dürfte nicht überraschend sein, wenn das Land im Zentrum des Gaza-Konfliktes auch damit zu tun hat.

      Um es klar zu machen: Natürlich wurden (und werden, aber wohl nicht mehr so stark aus naheliegenden Gründen) die von ihnen genannten Gruppierungen massiv durch den Iran unterstützt. Und freilich hatte der Iran in deren Politik und Strategie ein großen Einfluss. Aber all diese Gruppen haben eine Heimat, eine Basis und spezifische Ziele z.B. im Falle der Hamas ein Durchbrechen der israelischen Blockade, des Landraubs, einen Staat Palästina, eine Selbstverteidigung gegen Israel und daneben auch noch mehr, was zu Recht kritisiert wird - wenngleich der verpönte Slogan genauso von Israelis gebraucht wird! (Dies letzte dürfte auch demnächst Folgen in der Bewertung des Spruches durch Gerichte haben!) Zurück: Es gibt gute Gründe "Proxy" nicht anzunehmen, nur (!?) weil die alle eins gemeinsam haben: Kampf gegen Israel.

    • @Claudio M.:

      Richtig. Besonders die letzten beiden Sätze würde ich mit Ausrufezeichen versehen.Dass Angriffskriege, die von Staaten über "kleine, grüne Männchen", also Milizen ohne Hoheitszeichen geführt werden vom Völkerrecht nicht erfasst werden, macht Völkerrecht, na sagen wir vorsichtig, hochgradig erneuerungsbedürftig.

    • @Claudio M.:

      Volle Zustimmung.

  • Danke für diesen Text!

    • @O-Weh:

      Kann mich dem nur anschließen. Bei @Claudio M. hingegen scheint mir - nach etwas recht dosierter Kritik - dann doch wieder der alte „Wir Europäer sind halt nun mal 1. Welt, also Klappe!“-Überlegenheitskomplex durchzukommen zu den von @Sam Spade vorgeschlagenen ‚Kooperationsbündnissen‘… - nun ja, das wurde in den vergangenen 500 Jahren nie auch nur ansatzweise ernsthaft verfolgt, warum auch, wenn halt der eigene Imperiumsladen so drückend überlegen ist. Jetzt schwimmen einige Felle davon und z.B. die vorige Außenministerin faselte gegenüber nach wie vor marginalisierten Staaten etwas von „Augenhöhe“. Ja, plötzlich!

    • @O-Weh:

      Ich schließe mich an, das hier dargelegte brennt mir schon viele Monate unter den Nägeln. Ich bin überzeugt, dass uns Ignoranz, zweierlei Maß und Willkür noch gewaltig auf die Füße fallen werden. Ich wiederhole es immer wieder: Wir und andere unserer Partnerländer sind auf die Geltung internat. Rechts angewiesen.

  • Dem Westen Doppelmoral vorwerfen? Bahnbrechend! Originell!

    "Russland ist uns moralisch überlegen, denn es verübt seine Verbrechen wenigstens offen und ehrlich" - abgesehen davon, dass es gar nicht stimmt, ist es lächerlich, immer "dem Westen" (was ist das? Die USA? Irland? Rumänien? Norwegen? Die Schweiz?) vorzuwerfen, dass er beim Streben nach seinen Idealen angesicht der konkreten Wirklichkeit scheitert. Andere haben diese Ideale gar nicht. Das macht sie uns aber nicht moralisch überlegen, bzw. macht es uns nicht etwa schlimmer als andere.

    Zumal Staaten wie der Iran, Russland oder China eben keine Ausrede brauchen, um aus eigenem Antrieb das Böse zu tun. Russland hätte eben nicht darauf verzichtet, die Ukraine anzugreifen, wenn "der" Westen moralisch absolut sauber gewesen wäre. China würde die Uighuren auch unterdrücken, wenn "der" Westen vollkommen edel und ideologisch rein handelte.

    All diese Länder lieben den Vorwurf der "Doppelmoral", um davon abzulenken, dass sie selbst gar keine haben und auch nichts wie das letztlich vom Westen geschaffene internationale System zustande gebracht haben.

  • Leider sehr, sehr wahr. Universalismus heißt gleiche Regeln und Werturteile bei allen, sonst muss man jene Regeln und Urteile verfeinern, aber immer noch universell.

    Netanyahu-Israel ist da gar nicht der einzige Skandal, aber gerade der offensichtlichste, in den "nichtwestliche" Länder jederzeit pieksen können, und zurecht.



    Daher rasch



    Palästina anerkennen,



    Druck auf das nötige Ende der Besatzung,



    Hilfe für Gaza jetzt zur Not gegen Israel, wie Äthiopien damals auch geholfen wurde.