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Islamfeindlichkeit in DeutschlandInterne Ambivalenz

Gastkommentar von Detlef Pollack

Der Islam hat hierzulande ein schlechtes Image. Und doch wollen die meisten, dass Muslime fair behandelt werden.

Auf der Islamisten-Demo am Samstag, 11. Mai, in Hamburg Foto: Axel Heimken/dpa

D ie empörten Reaktionen auf die Hamburger Islamisten-Demonstrationen am vergangenen Samstag sowie vor zwei Wochen zeigen, wie aufgeheizt der Islam-Diskurs in Deutschland ist. Viele fordern ein härteres Eingreifen. Seit Jahren verharmlose die Politik das Problem des fundamentalistischen Islamismus in Deutschland. Andere weisen darauf hin, dass islamfeindlicher Rassismus in der Bevölkerung immer weiter um sich greife und zu wenig getan werde für die Integration der hier lebenden Musliminnen und Muslime.

Seit Jahren liegen mehrere sozialwissenschaftliche Untersuchungen vor, die sowohl den relativ starken Zuspruch fundamentalistischer Aussagen in muslimischen Gemeinden als auch die weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem Islam in der deutschen Bevölkerung bestätigen. Wenig Beachtung erfährt jedoch die auffällige Ambivalenz der erhobenen Einstellungen, und zwar bei den Muslimen ebenso wie in der Gesamtbevölkerung.

Bild: Lena Giovanazzi
Detlef Pollack

ist ein deutscher Religions- und Kultursoziologe. Er forscht unter anderem über das Verhältnis von Religion und Moderne, über die Geschichte der DDR und über politische Kultur.

Auf der einen Seite gibt es in der Gesamtbevölkerung eine klare Mehrheit, die dem Islam äußerst kritisch gegenübersteht. Keine andere Religionsgemeinschaft wird so negativ beurteilt wie der Islam. Auf die Frage, ob sie den Islam mehr als Bereicherung oder mehr als Bedrohung wahrnehmen, antworten den Daten des 2022 durchgeführten Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen, dass sie in ihm eine Bedrohung sehen. Durch andere Religionen fühlen sich kaum mehr als 15 Prozent bedroht. Zwischen 70 und 75 Prozent halten den Islam für rückständig und frauenfeindlich und denken, dass islamistische Terroristen in ihm einen starken Rückhalt finden. Etwa zwei Drittel meinen, der Islam richte sich gegen Freiheiten und Rechte der Menschen, und fast genauso viele denken, der Islam rufe zur Gewalt auf.

Auf der anderen Seite jedoch sprechen sich fast 80 Prozent der Deutschen dafür aus, dass man allen Religionen mit Offenheit begegnen solle. In einer vor einigen Jahren durchgeführten Befragung erklärte eine deutliche Mehrheit, alle Religionen sollten die gleichen Rechte haben. Nur etwa 20 bis 30 Prozent lehnen Moscheebauten grundsätzlich ab. Dabei beobachten die meisten die Lebenswirklichkeit ihrer muslimischen Mitbürger mit Empathie. So stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass Muslime in Deutschland Rassismus erfahren, und fordert, dass die Deutschen im Umgang mit Zuwanderern mehr Verständnis aufbringen sollten.

Muslimische Haltungen sind mehrdeutig

So schlecht das Image des Islam in der deutschen Bevölkerung ist, die meisten hierzulande wollen, dass Muslime fair behandelt werden. Sie fühlen sich durch den Islam zwar bedroht, aber wollen ihm wie allen Religionen mit Offenheit und Verständnis begegnen.

Auch die Haltungen unter den Muslimen sind weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint. Fundamentalistische Aussagen finden unter den in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen starke Zustimmung. Verschiedenen Studien zufolge erklären zwischen 43 und 54 Prozent, es gebe nur eine wahre Religion: den Islam. Unter den Mitgliedern der christlichen Kirchen stimmen dieser Aussage nur etwa 13 Prozent zu. Etwa ein Drittel der Muslime in Deutschland hält die Befolgung religiöser Gebote für wichtiger als die Gesetze des Staates. Etwa zwei Fünftel meinen, nur der Islam sei in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Und fast genauso viele streben die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds an. Hier kann man wohl von einem verfestigten fundamentalistischen Weltbild ausgehen.

Obwohl viele Muslime ein exklusives Wahrheitsverständnis vertreten, stimmen gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion einen wahren Kern besitzt. Die Behauptung der einen Wahrheit schließt die Akzeptanz anderer Wahrheiten also nicht aus. Wir können von einem hierarchischen Inklusivismus sprechen, der die eigene Religion anderen Religionen überordnet, ihnen aber gleichzeitig Anerkennung zollt. Auch in anderen Hinsichten lassen sich unter den Musliminnen und Muslimen viele Haltungen ausmachen, die einem rigiden Fundamentalismus widersprechen. Demokratische und rechtsstaatliche Werte sind weithin akzeptiert. So fällt die Bejahung der Demokratie als Staatsform unter ihnen genauso hoch aus wie in der deutschen Gesamtbevölkerung.

Gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch

Die interne Ambivalenz im Einstellungshaushalt der Menschen lässt es geraten sein, bestehende Einstellungsdiskrepanzen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen nicht zu überzeichnen. Inkohärente und partiell gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch für menschliche Orientierungsmuster. An diese Einstellungsambivalenzen sollte die öffentliche Diskussion anknüpfen. Wer eine schärfere Gangart vorschlägt, erhöht die Gefahr, dass sich mehrdeutige Haltungen in eindeutige verwandeln. Es mache sie wütend, sagen die Muslime seit Jahren, dass sie stets als Erste verdächtigt würden, wenn irgendwo auf der Welt ein Terrorschlag verübt werde.

Ein schärferes Vorgehen verstärkt die Tendenz zur religiösen Selbstbehauptung und treibt potenziell auch jene in die Arme der Extremisten, die selbst keine extremistischen Positionen vertreten. Das heißt nicht, dass nicht auch klare Erwartungen an die muslimischen Gemeinden gerichtet werden müssen. Die wichtigste unter ihnen lautet, dass sie sich mehr als bisher kritisch mit den islamistischen Bewegungen in ihren eigenen Reihen auseinandersetzen und sich selbstreflexiv zu ihren Heilslehren ins Verhältnis setzen müssen.

Ebenso ist es falsch, der Mehrheit der deutschen Bevölkerung antiislamischen Rassismus zu unterstellen. Selbst wenn es viele Vorurteile unter den Deutschen gibt, die allermeisten wollen eben genau das nicht sein: rassistisch oder islamophob.

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32 Kommentare

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  • Viel gewonnen ist ja meist, wenn mensch seine eigene und die Identität der Anderen nicht an einem einzigen Merkmal festmacht und alles diesem unterordnet, sondern (wat war das fein damals in den 90ern und Nullern anner Uni) von Patchwork- und Bricolage-Identität ausgeht. Dann ist nämlich die Religion, der Glaube oder Nichtglaube nur noch eine Dimension unter vielen, der mich/dich ausmachen und ihre Relevanz ist gar nicht mal so hoch. Das entzieht nebenbei den Abgrenzungs- und Hasspredigern aller Couleurs und Richtungen viel Dünger und macht Platz für echte Diskussion jenseits von Plakatparolen und Gruppenzugehörigkeitsrhetorik.

  • Da wären z.B. zwei Vorgänge zu klären: was soll Integration sein?



    Welcher Unterrichtsstoff wird angenommen oder abgewehrt?



    Wie kann die Selbstethnisierung durch Stolz und Ehre vermieden werden?



    Die Ausbildung islamischer Religionspädagogen in Osnabrück finde ich schon mal sehr sinnvoll.

  • Nun, ich denke es hat viel mit zwei Faktoren zu tun:



    der eine ist: warum gibt es so starke Abgrenzungsbedürfnisse? Auf muslimischer Seite mindestens so stark wie auf europäischer Seite. Die ganzen Konflikte in den Schulen z.b. Es werden überlieferte Sitten zu Geboten erhoben, wie vor 20 Jahren noch nicht.



    der andere Punkt ist die Frage: wie kann ein besseres insitutionelles Arrangement gefunden werden?



    der sunnitische Islam folgt(e) dem Ideal einer priesterlosen Religion. Es gibt entsprechend wenig Institutionen. Etwas anders im Schiitischen Feld.



    Die Vereinigungen, die in Deutschland und Europa Muslime repräsentieren, z.B. Milli Görüs Europa (in Köln) organisieren v.a. auch Moscheebauten.



    Aber die Debatten z.B. zwischen Mouhanad Khorchide und Hamid Abdel-Samad finden quasi nur in Form von deutschen Büchern statt (und Lesungen)- ein bisschen Talkshow noch, aber kaum Diskussionen der Millionen Bürger/innen untereinander. Deshalb weiß niemand genau, wie die Anderen ticken.



    Die Terroranschläge sind von Natur aus plötzlich, sodass für viele insgesamt der Eindruck entsteht, es mit einer unberechenbaren Menge Leute zu tun zu haben, die immer wieder mal Forderungen stellt. Das hat viel mit Kommunikation zu tun.



    Es wäre doch selbstverständlich von den Nichtmoslems zu erwarten, dass sie andere kulturelle Praxen machen lassen. Kaum kursiert dann ein "Moschee-Report", wird wieder über die Anderen geredet. Dazu die Sprachbarrieren. All das ist bei den Kirchen komplett anders.

  • Das Problem des Islam sind ja nicht nur die offensichtlichen Islamisten, sondern die insgesamt wenig Pluralität zulassenden islamisch dominierten Länder. Von der Hoffnung, dass durch die Rückwirkungen muslimischer Gemeinden und Lehrer aus liberalen Ländern auch in islamischen Gesellschaften eine größere Trennung von Staat und Religion erfolgen würde, ist ja nicht viel geblieben. Im Gegenteil, da war man schon mal deutlich weiter. Da ist es kein Wunder, dass auch hierzulande der aufgeklärte Islam im großen und ganzen noch auf sich warten lässt.

    • @vieldenker:

      Die islamischen Herkunftsländer könnten wir ja mal einfach “ausblenden” und die hierzulande lebenden 5,5 Mio. Muslime als Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen etc., eben als Mitbürger betrachten.



      Dass das jedoch nicht so einfach ist, weiß ich auch … denn es gibt sie halt, die Herkunftsländer. Und es gibt den Islam, der sich mit der europäischen Moderne, mit unserem Verständnis von Demokratie, Pluralität, Liberalität und Säkularität, Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter usw. schwer tut.



      Aber wir haben das über Jahrhunderte schließlich auch lernen müssen.

  • Ich kenne so einige Muslims, die ihren Glauben da betreiben, wo ich meinem nachgehe: Auf dem Papier. Die halten bestimmt keine Umsturz-Plakate hoch, halten aber auch nicht dagegen und wundern sich, wenn sie über einen Kamm geschoren werden.

  • Für die Integration der Muslime in die Aufnahmegesellschaft werde zu wenig getan lautet der Tenor des Artikels . Das ist eher einseitig , keine andere Religion



    fordert ein Kalifat der Rechtsgläubigen in Deutschland , streitet Frauen und Schwulen ihre Rechte ab , bedroht deutsche Juden , hat solche patriarchalischen Familienstrukturen.



    Ich habe manchmal das Gefühl unser Kampf für Frauenrechte , für Gleichstellung von uns queeren Menschen war vergeblich bei diesem



    toxisch-männlichen Nachwuchs aus der muslimischen Community !

    • @Barthelmes Peter:

      Nun fordert nicht "der Islam" in Deutschland ein Kalifat, sondern einige extremistische Muslime; für die anderen von Ihnen genannten Positionen gilt ähnliches. Und genauso wenig ist ein solches Extremismus auf den Islam beschränkt, sondern findet sich auch in anderen Religionsgemeinschaften bzw. auch unter Säkularen (AfD und Anhang besteht ja auch nicht nur aus regelmäßigen Kirchgängern - ich fürchte allerdings, dass man in diesen Kreisen auch nicht mehr für Demokratie und Frauenrechte übrig hat...).



      Die Diskussion wäre einen Schritt weiter, wenn man weniger in solchen Kollektiven denkt und stattdessen präzise (und das heisst auch: unabhängig von Glaubensgrenzen) argumentiert.

  • Solange die politische Linke nicht erkennen will, dass der (extremistische) Islamismus funktional das orientalische Äquivalent zum europäischen Faschismus ist und wesentliche Akteure des politischen Islam rechts der AfD stehen, solange wird es keine neutrale Annhäherung an das Thema geben können

    Die fast schon banale Ursache dafür ist, dass auch viele Linke die Grundüberzeugung von Rechten teilen, und die Deutschen, unabhängig von den realen Verhältnissen, nur aufgrund ihres Deutschseins, in einer überlegenen Position wähnen. Daraus leiten sie dann ab, dass sämtliche Verhältnisse nur eine Funktion deutschen Willens seien.

    Muslime können demnach auch nur Objekte im Kampf der Weißen gegen Rassismus sein ("white-savior-Rassismus") und keine selbst handelnden Subjekte mit eigener Agenda und Interessen, unabhängig von den Deutschen/Weißen etc.

    In der Wirklichkeit ist die 200 jährige Phase europäischer Dominanz über die muslimische Welt schon Geschichte. Es gibt heute (wieder) islamische Staaten, die Deutschland in Sachen poltischen Einfluss und militärischem Potential übertreffen.

    • @Chris McZott:

      Danke für diesen Kommentar - anschliesse mich!

    • @Chris McZott:

      “Solange die politische Linke nicht erkennen will, dass der (extremistische) Islamismus funktionsl das orientalische Äquivalent zum europäischen Faschismus ist …”



      So formuliert ist das schon mal Unsinn, nicht bloß aus religionssoziologischer Sicht. Aus ideologisch-politischer Perspektive sei Ihnen Ihre Meinung natürlich unbenommen.



      “Die fast schon banale Ursache dafür ist, dass auch viele Linke die Grundüberzeugung von Rechten teilen …”.



      Auch das ist falsch. Sie verwechseln da offenbar linke Religionskritik - die selbstverständlich immer die Kritik des Islam umfassen muss (aber eben nicht ausschließlich diese, sondern beispielsweise auch an einem religiös verbrämten völkischen Zuonismus) - mit rechter Islamfeindlichkeit/Islamophobie.



      „Muslime können demnach auch nur Objekte im Kampf der Weißen gegen Rassismus sein („white-saviour-Rassismus“) und keine selbst handelnden Subjekte mit eigener Agenda und Interessen, unabhängig von den Deutschen/Weißen etc.“.



      Und wer sagt DAS nun wieder? Warum sollten Muslime keine Rassisten sein können?

      • @Abdurchdiemitte:

        "So formuliert ist das schon mal Unsinn, nicht bloß aus religionssoziologischer Sicht."

        Achja? Sie meinen, es gab und gibt keine religiöse Rechten? Konservatismus / rechtes Denken gibt es nach nur im europäischen Atheismus und ist 1789 auf magische Weise entstanden?

        Zum Rest: Sie haben meinen Punkt garnicht erfasst.

        a) Ich kritisiere die Ausgangsannahme linker Kritik (z.B. im Postkolonialismus) dass "Weiße" (hier: deutsche Nichtmuslime) immer in einer Position der "Überlegenheit" sind, während Muslime als definierte "Nicht-Weiße" immer diskriminiert sind.

        Dies ist nicht nur objektiv falsch, sondern riecht streng nach einer rassistischen Überzeugung von einer prinzipiellen Überlegenheit der Deutschen/Weißen.



        Ich verwechsle nicht, ich sehe Gemeinsamkeiten.

        b) Es ist die orthodoxe Meinung des "Antirassismus" dass Rassimus im Kontext von Kapitalismus und europäischem Kolonialismus entstanden sei und daher nur von (weißen) Europäern ausgehen könne.

        (Die Widersprüchlichkeit aufgrund der gleichzeitig bestehenden chinesischen, japanischen und türkischen Kolonialreiche ist offensichtlich)

        Das äußerste was Sie da hören können ist, dass es auch andere Formen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gäbe, die aber nicht ganz so wild wie der Rassismus der "Weißen" seien. Muslime könnten daher per Definition keine Rassisten sein.

        Das habe ich mir nicht ausgedacht - ich halte es für Schwachsinn. Aber auch hier in der taz ist das die Mehrheitsmeinung.

        • @Chris McZott:

          Alles vollkommen richtig.

          Noch viel komplexer wird alles durch folgende Tatsache: nahezu alle Muslime mit Migrationshintergrund stammen aus Ländern, in denen Muslime die große, gesellschaftlich dominante Mehrheit darstellen. In der Türkei, in Nordafrika oder im arabischen Raum sind Muslime zahlenmäßig seit Jahrhunderten in der Mehrheit und natürlich prägt das auch das Verhältnis zu religiösen Minderheiten sowie das Selbstverständnis und die Selbstwahrnehmung. Grob vereinfacht: im Irak ist der alte, arabische, muslimische Mann das, was im Westen der alte, weiße, christlich/säkulare Mann ist.

          In Europa erfahren dann viele - die meisten - muslimische Einwanderer zum ersten Mal, wie es ist, in der Minderheit zu sein und dass die eigene Religion nicht das Fundament der lokalen Kultur bildet oder überhaupt nur viel darüber bekannt ist, und nicht einmal großes Interesse daran besteht. Noch dazu verliert Religion an sich in Westeuropa rasant an Bedeutung. Man kann hier in Deutschland eine politische Debatte nicht mehr unter Verweis auf Gottes Willen oder die Heilige Schrift führen. Nicht einmal die CDU versucht das. In vielen anderen Ländern, gerade islamischen, ist der Rekurs auf Gott aber völlig selbstverständlich.

          Es ist so, als ginge ein säkularer Westeuropäer in ein Land, in dem das, was er bislang für völlig selbstverständlich hielt - Säkularismus, Individualismus usw. - vollkommen bedeutungslos wäre. Die unbewussten Muster, die Denkweisen und Perspektiven, mit denen er bislang der Welt begegnete, brächten ihn plötzlich gar nicht weiter.

          • @Suryo:

            Nur so viel: die Säkularisierung der „christlich-abendländischen“ Gesellschaften erfasst auch die muslimischen Communities innerhalb dieser voll und ganz - was glauben Sie denn, weshalb sich türkischstämmige Muslime zu Weihnachten Tannenbäume ins Wohnzimmer stellen (und wenn Sie meinen, gerade DAS habe mit Säkularisation wenig zu tun, können wir gerne weiter darüber diskutieren)?



            Wenn in den muslimischen Communities ein „roll back“ zu konservativen oder gar islamistischen, meinetwegen illiberalen, demokratieablehnenden Einstellungen zu verzeichnen ist - inzwischen weisen ja einige Studien deutlich darauf hin - hat das möglicherweise mehr mit dem Zusammenleben und der Integration bzw. Zurückweisung in der aufnehmenden Mehrheitsgesellschaft zu tun als mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den Herkunftsländern - zumindest ist von einem „Mix“ aus BEIDEM auszugehen.

            • @Abdurchdiemitte:

              Das ist es doch gerade.

              Menschen, die in ihrem Herkunftsland die Norm bildeten und an deren Ansichten, Bedürfnissen und Werten sich alles orientierte, machen nach der Migration die Erfahrung eines drastischen Statusverlustes. Das wird als Zurückweisung empfunden.

              Übrigens: es gibt auch biodeutsche Islamisten. Die sind mit dem typischen Eifer des Konvertiten oft noch viel schlimmer.

  • "Obwohl viele Muslime ein exklusives Wahrheitsverständnis vertreten, stimmen gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion einen wahren Kern besitzt. Die Behauptung der einen Wahrheit schließt die Akzeptanz anderer Wahrheiten also nicht aus. "



    Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass im Koran ja sinngemäß drinsteht, die Juden und die Christen hätten die wahre Lehre Allahs verfälscht, würden grundsätzlich aber schon an diesen glauben. Das würde ich jetzt nicht unbedingt als echte Akzeptanz bezeichnen, denn im Endeffekt bedeutet das nichts weiter als: "Diese Religionen besitzen einen "wahren Kern" (den Glauben an Allah), sind aber trotzdem falsch" - was auch ein islamistischer Fundamentalist so unterschreiben könnte. Deshalb glaube ich, dass an dieser Stelle nicht in jedem Fall echte Ambivalenz besteht.

  • Ein Großer meinte einst, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle. Meine ich auch, wenn´s nicht Pflicht wird.

  • Man muss einfach eine deutliche Linie ziehen zwischen der Religion und der Ideologie. Da fand ich die Aussage eines polnischen Erzbischofs sehr gut: Religion OHNE Liebe verwandelt sich in Ideologie. Ideologie tötet, egal mit welchem Hintergrund, denn auch christliche Ideologie kann töten!

    • @Frank Burghart:

      Polnische Erzbischöfe sind jetzt nicht unbedingt die Referenz für eine Trennung zwischen Staat und Religion.



      Allein die bei den meisten Religionen tief in der Glaubentheorie vorherrschende Ansicht man sei die einzig wahre Religion mit den einzig wahren Göttern/Propheten/Heiligen/Wundern und die anderen Heiden/Ungläubige spricht Bände, denn daraus erwächst ja auch, dass man letztgenannte im Rahmen der eigenen Religionsausübung ohne schlechtes Gewissen übervorteilen/belügen/unterdrücken darf.



      Sowas braucht kein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat.

    • @Frank Burghart:

      Ganz genau: auch die christliche Ideologie kann töten. Warum werden die christlichen Fanatiker nicht ebenso geächtet wie die muslimischen (oder hinduistischen oder buddhistischen)? Es gibt jede Menge solcher Lumpen etwa in den Reihen der Evangelikalen und auch, ja, der katholischen und protestantischen Kirche. Von Liebe kann bei niemandem von denen gesprochen werden - auch nicht bei Kardinälen etwa in Köln.

      • @Perkele:

        Weil die christlichen Fanatiker politisch nicht (mehr) so relevant sind. Der christliche Glaube ist auf dem Rückzug. deren Anhänger stehen nicht in der gesellschaftlichen Mitte.

        Ich habe den Eindruck, dass muslimische Organisationen im Vergleich zur Katholischen Kirche eher mit Samthandschuhen angefasst werden.

        • @Chris McZott:

          Der christliche Glaube ist keinen Millimeter auf dem Rückzug. Die evangelikalen sind die global am stärksten wachsende Religionsgemeinschaft und machen mit ihrem Fanatismus richtig ärger. Auch politisch. In Ländern wie die USA, Brasilien, Uganda, Süd-Korea und einigen mehr geben sie zunehmend den Ton an, der sich immer weniger vom Islamismus unterscheidet.

          • @Andreas J:

            Ostdeutschland hat seit Jahrzehnten ein massives Extremismusproblem. Gleichzeitig ist es die unreligiöseste Gegend der Welt.

            Im katholischen Eichsfeld bekommt die AfD dagegen kaum ein Bein auf den Boden.

          • @Andreas J:

            Der Artikel bezieht sich ganz explizit auf Deutschland:

            Thema: "Islamfeindlichkeit in Deutschland", Untertitel:"Der Islam hat hierzulande ein schlechtes Image."



            Erster Satz: "Die empörten Reaktionen auf die Hamburger Islamisten-Demonstrationen am vergangenen Samstag sowie vor zwei Wochen zeigen, wie aufgeheizt der Islam-Diskurs in Deutschland ist."

            Außerdem behaupte ich, dass das Wachstum der evangelikalen Christen auch weltweit mit dem Wachstum der Muslime nicht schritthält. Und dort wo diese beiden Religionen direkt aufeinander treffen (West- und Zentralafrika) ist der Islam ganz sicher nicht in der Defensive.



            Die Evangelikalen machen dem Katholizismus ja recht erfolgreich die Gläubigen streitig, weil die Katholiken (ironischerweise) als zu westlich-liberal wahrgenommen werden und den z.B. Muslimen in Afrika in Sachen harter Dogmatik nichts entgegenzusetzen hat...

        • @Chris McZott:

          Ach ja? Und was sagt etwa der Söder, Markus dazu? Und wieso heißen unsere konservativen Parteien C-DSU? Und wieso geht sofort die Welt unter, wenn ein Bundespräsident den Islam als zu unserem Land gehörig erklärt? Und wieso hat die Kirche immer noch Rechte die aus dem Mittelalter stammen? Wieso hat die Kirche eigene Gesetze? Dagenen ist es gut und richtig, dass islamistische Ultras nicht die Scharia hier einführen können. Samthandschuhe? Nein, das reicht nicht: eher Samt und Seide drumherum!

        • @Chris McZott:

          Das gilt evtl für Deutschland, schau mal in die USA oder nach Polen und Ungarn. Dennoch spricht man über diese Probleme seltener. Von den Hindus in Indien und den Buddhisten in Myanmar möchte ich gar net erst anfangen

  • In dieser Debatte halte ich es für äußerst wichtig, sehr präzise zu argumentieren. Wenn etwa jemand Angst vor extremistisch-islamistischen Anschauungen hat, dann sollte man das genauso sagen - statt auf der einen Seite "den Islam" an den Pranger zu stellen, auf der anderen Seite gar nichts zu sagen.

    Der Islam scheint mehr Probleme mit Fundamentalismus zu haben als die meisten anderen Religionen. Eine gewisse Bubble in Social Media verstärkt eine solche Tendenz. Und trotzdem handelt es sich laut der genannten Studien bei den Menschen mit problematischen Einstellungen um eine (große, ca. 30-40%) Minderheit.

    Gerade auf die knappe Mehrheit der Muslime ohne fundamentalistische Einstellungen sollte die deutsche/europäische Mehrheitsgesellschaft verstärkt zugehen.

    Wenn es also beispielsweise wieder darum geht, ob der Islam zu Deutschland oder Europa gehört, wäre eine Haltung hilfreich, die einerseits säkuläre und andererseits "fromm-religiöse", aber nicht-fundamentalistisch gesinnte Menschen einschließt, aber die reaktionär-fundamentalistische Minderheit nicht. Nicht in dem Sinne eines Ausschlusses dieser Menschen aus der Gesellschaft, aber dennoch sollte sich niemand gezwungen sehen, sie eher als Teil einer Wertegemeinschaft zu akzeptieren als etwa Rechtsextreme.

  • Sehr guter, differenzierter Artikel!

  • “… , stimmen gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion einen wahren Kern besitzt.”

    Logisch, denn in der islamischen Lehre werden alle Menschen als Muslime geboren. Zumindest die beiden anderen Buchreligionen - Judentum und Christentum - sind nach dieser Ansicht verfälschte bzw. verzerrte Versionen der wahren Religion, mit wahren (sprich: islamischen) Anteilen, aber eben nicht die eine, reine Religion.

    • @Suryo:

      Haben sie da einmal Quellentexte aus dem Koran oder der Sunna aus denen hervorgeht, dass nach islamischer Lehre "alle Menschen" von Geburt an Muslime sind. Würde ich nach jetzigem Kenntnisstand doch stark bezweifeln, dass diese Aussage zutrifft.

      • @Sam Spade:

        Doch, das ist allgemeiner Glaubensinhalt. Jeder Mensch ist nach muslimischer Überzeugung von Natur aus Muslim, der Islam ist die wahre, "natürliche" Religion des Menschen.

        Falls Sie es genau wissen wollen: gemäß u.a. Al-Buchari sagte Muhammad: "Jedes Kind wird mit der fitrah (dem wahren Glauben, d.h. Islam) geboren, seine Eltern erst machen es zum Juden, Christen oder Zoroastrier."

        Davon abgesehen, verehren die Muslime Jesus und natürlich auch Abraham und andere Propheten des Alten Testaments. Sie müssen also zwangsläufig davon ausgehen, dass Christen und/oder Juden auch wahre Elemente in ihren Religionen haben, nämlich ebenfalls die Verehrung Jesu bzw. der alttestamentarischen Propheten.