Nach Hamburger Islamisten-Demo: Großer Aufmarsch gegen das Kalifat
Vor einer Woche forderten radikale Islamisten in Hamburg ein Kalifat. Am Samstag demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen Islamismus und Antisemitismus.
Dort hatten vor einer Woche ebenfalls rund 1.000 radikale Islamisten gegen die aus ihrer Sicht islamfeindliche Politik und Medienberichterstattung in Deutschland demonstriert und die Einführung eines Kalifats gefordert. Ein Kalif ist ein Alleinherrscher, der geistliche und weltliche Macht in sich vereint. Die von der Gruppe Muslim Interaktiv organisierte Demonstration hatte bundesweit Wellen geschlagen.
Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel hatte sich im ZDF-Morgenmagazin dafür rechtfertigen müssen, dass er die Islamisten unter Berufung auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gewähren ließ. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fand es schwer erträglich „eine solche Islamisten-Demonstration auf unseren Straßen zu sehen“ und forderte ein sofortiges und hartes Durchgreifen bei Straftaten.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lamya Kaddor, forderte zu prüfen, ob Muslim Interaktiv verboten werden könne. Schließlich stehe der Verein der islamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir nahe, die von den Behörden als ausländische Terrororganisation eingestuft wird und in Deutschland nicht tätig sein darf.
AfD und Linke nicht dabei
Im Aufruf zur Gegendemonstration hatte es geheißen, man wolle ein Zeichen setzen „gegen Islamisten, die ganz unverhohlen die Scharia über das Gundgesetz stellen“, die das Grundgesetz als Wertediktatur diffamierten und „nicht nur den Hamburger:innen eine überaus archaische Idee von Geschlechterapartheid präsentieren“.
Initiiert wurde die Gegendemonstration vom Verein Säkularer Islam, der Kulturbrücke Hamburg und deren Initiative International Women in Power sowie der Kurdischen Gemeinde Deutschland.
Im Laufe weniger Tag schlossen sich zwei Dutzend weitere, im wesentlichen säkulare Organisationen an: Dabei waren die Deutsch-Israelische Gesellschaft, türkische, persische Gruppen und Frauengruppen sowie die in der Hamburgischen Bürgerschaft vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken und der AfD – wobei letztere erst gar nicht gefragt worden war. Auch nicht beteiligt waren der Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie die Ahmadiyya-Gemeinde.
Gegen migrantischen Rechtsextremismus
Ali Ertan Toprak, Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, sagte der taz, die demokratischen Parteien dürften den Kampf gegen den Islamismus nicht den Rechtsextremen überlassen. Dabei sei es wichtig, auch gegen migrantischen Rechtsextremismus wie den der Islamisten Flagge zu zeigen.
„Keiner schadet der islamischen Religion und den Muslimen mehr als die Islamisten selbst“, sagte Toprak am Samstag in seiner Rede bei der Kundgebung. Die Vertreter von Muslim Interaktiv nannte er „kleine Möchtegern-Azubi-Kalifen“ und forderte sie auf, den erhobenen Zeigefinger der Prediger herunterzunehmen.
Viele Muslime seien aus diktatorischen Regimen nach Deutschland geflohen, um hier sicher und in Freiheit in einer Demokratie leben zu können, sagte Toprak. Wer hier ein Kalifat fordere, fordere eine faschistische Diktatur. „Wenn es euch hier nicht gefällt, könnt ihr gerne in Afghanistan, Jemen oder Iran leben.“
CDU fordert Verbot
Die Fraktionschefs der in Hamburg regierenden SPD und Grünen, Dirk Kienscherf und Dominik Lorenzen, betonten, dass das Problem in der Bürgerschaft einen breiten Raum einnehme. Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Landeschef Dennis Thering erinnerte daran, dass die CDU erst kürzlich in der Bürgerschaft ein Verbot der Gruppe Muslim Interaktiv gefordert habe, damit aber an der rot-grünen Mehrheit gescheitert sei. Islamismus müsse mit Taten bekämpft werden, so Thering.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries forderte erneut, die Forderung nach einem Kalifat unter Strafe zu stellen. Auch der Hamburger FDP-Abgeordnete Michael Kruse forderte staatliche Konsequenzen für islamistische Gruppen.
Ali Ertan Toprak, Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde Deutschlands
Dass sich die Linke in der Hamburger Bürgerschaft dem Aufruf nicht anschloss, begründete die Co-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir gegenüber der taz damit, dass die Demonstration auf intransparente Weise zustande gekommen sei. Es habe kein Treffen, kein gemeinsames Papier gegeben. „Wenn ich auf einem Flugblatt stehe, würde ich gerne wissen, in welche Richtung es geht“, sagte Özdemir.
Die Linke beschäftige sich seit Jahren intensiv mit dem Thema im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Die wiederholten Demonstrationen, bei denen es in erster Linie um das Schicksal der Kurdinnen und Kurden, im weiteren Sinne aber auch um Deutschland gegangen sei, hätten jedoch bei anderen Parteien und Organisationen wenig Resonanz gefunden.
Auch islamische Gemeinden sind besorgt
Auch die Schura, der Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg, hat die Kalifat-Demonstration von Muslim Interaktiv mit Sorge kommentiert. „Marginale Gruppen wie diese bewegen sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der muslimischen Gemeinden“, kommentierte der Vorsitzende Fatih Yildiz. Sie lösten keine realen Probleme, sondern beförderten „die rechtspopulistische Instrumentalisierung von Flucht, Migration und Religion und verstärken eine Entfremdung aus der Gesellschaft“.
Dass die Schura den Aufruf nicht mitunterzeichnet hat, erklärt Yildiz mit Vorbehalten gegenüber den Initiatoren. Deren Anliegen sei zwar berechtigt, aber die Schura habe in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. „Wir haben da kein gutes Gefühl“, sagt Yildiz. Rückständigkeit, etwa wegen seiner Haltung in der Kopftuchfrage, will er sich nicht vorwerfen lassen. „Wir möchten nicht, dass Islam mit Islamismus verwechselt wird“, sagt Yildiz.
Die Schura arbeite seit 20 Jahren am Thema Extremismus und habe diesen erfolgreich aus der Community ferngehalten. Der aktuelle Aufruf sei daher eine verpasste Chance, mehr Menschen zu mobilisieren. Zudem verschaffe er der Gruppe „mehr Aufmerksamkeit, als sie verdient“. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe