Islamfeindlichkeit in Deutschland: Interne Ambivalenz
Der Islam hat hierzulande ein schlechtes Image. Und doch wollen die meisten, dass Muslime fair behandelt werden.
D ie empörten Reaktionen auf die Hamburger Islamisten-Demonstrationen am vergangenen Samstag sowie vor zwei Wochen zeigen, wie aufgeheizt der Islam-Diskurs in Deutschland ist. Viele fordern ein härteres Eingreifen. Seit Jahren verharmlose die Politik das Problem des fundamentalistischen Islamismus in Deutschland. Andere weisen darauf hin, dass islamfeindlicher Rassismus in der Bevölkerung immer weiter um sich greife und zu wenig getan werde für die Integration der hier lebenden Musliminnen und Muslime.
Seit Jahren liegen mehrere sozialwissenschaftliche Untersuchungen vor, die sowohl den relativ starken Zuspruch fundamentalistischer Aussagen in muslimischen Gemeinden als auch die weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem Islam in der deutschen Bevölkerung bestätigen. Wenig Beachtung erfährt jedoch die auffällige Ambivalenz der erhobenen Einstellungen, und zwar bei den Muslimen ebenso wie in der Gesamtbevölkerung.
ist ein deutscher Religions- und Kultursoziologe. Er forscht unter anderem über das Verhältnis von Religion und Moderne, über die Geschichte der DDR und über politische Kultur.
Auf der einen Seite gibt es in der Gesamtbevölkerung eine klare Mehrheit, die dem Islam äußerst kritisch gegenübersteht. Keine andere Religionsgemeinschaft wird so negativ beurteilt wie der Islam. Auf die Frage, ob sie den Islam mehr als Bereicherung oder mehr als Bedrohung wahrnehmen, antworten den Daten des 2022 durchgeführten Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen, dass sie in ihm eine Bedrohung sehen. Durch andere Religionen fühlen sich kaum mehr als 15 Prozent bedroht. Zwischen 70 und 75 Prozent halten den Islam für rückständig und frauenfeindlich und denken, dass islamistische Terroristen in ihm einen starken Rückhalt finden. Etwa zwei Drittel meinen, der Islam richte sich gegen Freiheiten und Rechte der Menschen, und fast genauso viele denken, der Islam rufe zur Gewalt auf.
Auf der anderen Seite jedoch sprechen sich fast 80 Prozent der Deutschen dafür aus, dass man allen Religionen mit Offenheit begegnen solle. In einer vor einigen Jahren durchgeführten Befragung erklärte eine deutliche Mehrheit, alle Religionen sollten die gleichen Rechte haben. Nur etwa 20 bis 30 Prozent lehnen Moscheebauten grundsätzlich ab. Dabei beobachten die meisten die Lebenswirklichkeit ihrer muslimischen Mitbürger mit Empathie. So stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass Muslime in Deutschland Rassismus erfahren, und fordert, dass die Deutschen im Umgang mit Zuwanderern mehr Verständnis aufbringen sollten.
Muslimische Haltungen sind mehrdeutig
So schlecht das Image des Islam in der deutschen Bevölkerung ist, die meisten hierzulande wollen, dass Muslime fair behandelt werden. Sie fühlen sich durch den Islam zwar bedroht, aber wollen ihm wie allen Religionen mit Offenheit und Verständnis begegnen.
Auch die Haltungen unter den Muslimen sind weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint. Fundamentalistische Aussagen finden unter den in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen starke Zustimmung. Verschiedenen Studien zufolge erklären zwischen 43 und 54 Prozent, es gebe nur eine wahre Religion: den Islam. Unter den Mitgliedern der christlichen Kirchen stimmen dieser Aussage nur etwa 13 Prozent zu. Etwa ein Drittel der Muslime in Deutschland hält die Befolgung religiöser Gebote für wichtiger als die Gesetze des Staates. Etwa zwei Fünftel meinen, nur der Islam sei in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Und fast genauso viele streben die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds an. Hier kann man wohl von einem verfestigten fundamentalistischen Weltbild ausgehen.
Obwohl viele Muslime ein exklusives Wahrheitsverständnis vertreten, stimmen gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion einen wahren Kern besitzt. Die Behauptung der einen Wahrheit schließt die Akzeptanz anderer Wahrheiten also nicht aus. Wir können von einem hierarchischen Inklusivismus sprechen, der die eigene Religion anderen Religionen überordnet, ihnen aber gleichzeitig Anerkennung zollt. Auch in anderen Hinsichten lassen sich unter den Musliminnen und Muslimen viele Haltungen ausmachen, die einem rigiden Fundamentalismus widersprechen. Demokratische und rechtsstaatliche Werte sind weithin akzeptiert. So fällt die Bejahung der Demokratie als Staatsform unter ihnen genauso hoch aus wie in der deutschen Gesamtbevölkerung.
Gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch
Die interne Ambivalenz im Einstellungshaushalt der Menschen lässt es geraten sein, bestehende Einstellungsdiskrepanzen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen nicht zu überzeichnen. Inkohärente und partiell gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch für menschliche Orientierungsmuster. An diese Einstellungsambivalenzen sollte die öffentliche Diskussion anknüpfen. Wer eine schärfere Gangart vorschlägt, erhöht die Gefahr, dass sich mehrdeutige Haltungen in eindeutige verwandeln. Es mache sie wütend, sagen die Muslime seit Jahren, dass sie stets als Erste verdächtigt würden, wenn irgendwo auf der Welt ein Terrorschlag verübt werde.
Ein schärferes Vorgehen verstärkt die Tendenz zur religiösen Selbstbehauptung und treibt potenziell auch jene in die Arme der Extremisten, die selbst keine extremistischen Positionen vertreten. Das heißt nicht, dass nicht auch klare Erwartungen an die muslimischen Gemeinden gerichtet werden müssen. Die wichtigste unter ihnen lautet, dass sie sich mehr als bisher kritisch mit den islamistischen Bewegungen in ihren eigenen Reihen auseinandersetzen und sich selbstreflexiv zu ihren Heilslehren ins Verhältnis setzen müssen.
Ebenso ist es falsch, der Mehrheit der deutschen Bevölkerung antiislamischen Rassismus zu unterstellen. Selbst wenn es viele Vorurteile unter den Deutschen gibt, die allermeisten wollen eben genau das nicht sein: rassistisch oder islamophob.
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