Illegales Autorennen in Ludwigsburg: Tod durch enthemmte Automobilisten
Mutmaßlich durch ein illegales Autorennen kommen zwei unbeteiligte Frauen in Ludwigsburg ums Leben. Wie lassen sich die Raser endlich abschrecken?

D ie Mercedes S-Klasse ist mehr als nur ein Auto. Als zuverlässiger Begleiter sorgt sie dafür, dass sich alle rundum sicher fühlen – innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs.
So heißt es in einem Werbespot für das neuste Modell dieser seit 1972 immer wieder neu aufgelegten Luxuslimousine. Die zwei Tonnen Eigengewicht lassen sich dank leistungsstarker Motoren in nur 5 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen.
Aber keine Angst, auch für den Extremfall ist vorgesorgt. „Bei einem schweren Frontalaufprall“, versichert der Hersteller, werde das spezielle Gurtsystem „die Insassen frühzeitig im Sitz“ zurückhalten. „Dank Gurttragekomfortschaltung liegt der Gurt im Alltag zudem sanft an.“
Wie effektiv diese Sicherheitsvorkehrungen sind, hat sich mal wieder am Donnerstagabend in Ludwigsburg gezeigt. Dort prallte ein Mercedes S mit hoher Geschwindigkeit auf einen Ford. Der Fahrer zog sich nur leichte Verletzungen zu, heißt es im Polizeibericht.
Tod noch an der Unfallstelle
Die beiden jungen Frauen aber, die in dem Ford saßen, hatten nichts von dem hohen Sicherheitsstandard des Mercedes. Ihr Ford Focus wurde von dem Mercedes seitlich erfasst, vor eine Mauer geschoben und blieb schließlich zwischen zwei Bäumen eingeklemmt liegen. Die Frauen im Wrack wurden so schwer verletzt, dass sie noch an der Unfallstelle verstarben.
Der Fahrer des Mercedes wurde vorläufig festgenommen. Er soll sich, so vermutet die Polizei, mit dem Fahrer eines weiteren Mercedes S ein illegales Autorennen geliefert haben. Der zweite Wagen wurde sichergestellt. Der Fahrer ist flüchtig.
Zeugen hätten angegeben, dass die Limousinen mit hoher Geschwindigkeit in Richtung der Autobahnanschlussstelle Ludwigsburg-Süd gefahren seien, als der Ford von einer Tankstelle kommend auf die Straße einbog.
Meldungen wie diese machen müde. Weil sie sich stets aufs neue wiederholen. Vor allem aber, weil sie eben keine gesellschaftliche Debatte über durchgreifende Konsequenzen auslösen. Denn es sitzen ja keine irgendwie durch religiösen Wahn irregeleiteten Islamisten am Steuer. Es sind nur durch den Warenfetisch enthemmte Automobilisten.
Härtere Strafen bleiben ohne Wirkung
Zwar hat es 2017 eine Gesetzesverschärfung gegeben. Die bloße Teilnahme an illegalen Autorennen ist seither schon strafbar. Selbst das Alleinrasen kann mit Haft bestraft werden. Aber dass härtere Strafen tatsächlich durchgreifende Änderungen bewirken, glauben eh nur die Fans von Law and Order. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen.
Allein die Polizei in Baden-Württemberg registriert im Schnitt mehr als ein illegales Autorennen pro Tag. Die Zahl der Unfälle, bei denen illegale Rennen als Ursache vermutet werden, liegt bundesweit noch weitaus höher.
Eine Umfrage des Spiegel in den Bundesländern kam für das Jahr 2023 auf 6.187 Verdachtsfälle. Allein in Nordrhein-Westfalen starben im vergangenen Jahr laut Polizei 15 Menschen im Zusammenhang mit dem verbotenen Kräftemessen auf den Straßen.
Mehrfach wurden Raser bereits wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber selbst diese härtesten Strafen schrecken offenbar nicht ab.
Rasen gehört zur DNA der Autorepublik
Denn Geschwindigkeit gehört zur DNA der Autorepublik Deutschland, in der Freiheit immer nur die Freiheit des Gasgebenden ist. Das zeigt sich nicht nur in der eingangs erwähnten Werbung der Autoindustrie oder in der seit Jahrzehnten tunlichst vermiedenen Debatte über ein Tempolimit. Das beginnt schon bei der Struktur der Straßen selbst innerorts.
Die Schwieberdinger Straße in Ludwigsburg, auf der am Donnerstag der tödliche Unfall passierte, führt über fast zwei Kilometer auf schnurgerader Strecke vierspurig aus der Stadt hinaus. Natürlich darf man auch hier nicht schneller als 50 Kilometer pro Stunde fahren. Aber sie ist eine Einladung zum Rasen.
Und daran, darauf kann man leider wetten, wird sich auch nach dem aktuellen Unfall nichts ändern. Genauso wenig wie an dem Irrsinn, dass ausgerechnet hier der sonst so gepriesene Vorsprung durch Technik nicht zum Tragen kommt.
Denn es wäre längst möglich, Autofahrer:innen automatisch auszubremsen, die sich – gewollt oder ungewollt – nicht an ein Tempolimit halten. Die sogenannten Speed Limiter, die seit Juli 2024 bei jedem neuen Fahrzeug Pflicht sind, könnten das locker erledigen. Aber die Autoindustrie hat auf EU-Ebene so stark lobbyiert, dass die Speed Limiter einfach per Druck aufs Gaspedal umgangen werden können.
So eine Unfallbremse würde die Waffe Auto wirksam entschärfen. Aber sie gilt selbst gemäßigten Automobilisten als Freiheitsberaubung – selbst wenn davon nicht nur Fußgänger oder Radlerinnen profitieren würden, sondern auch regelkonform steuernde Autofahrer:innen.
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