Homophobe Aussagen: Geldstrafe für Evolutionsbiologen
Das Amtsgericht Kassel hat einen Professor zu einer Strafe von 6.000 Euro verurteilt. Er hatte Homosexuelle als „Kinderschänder“ verunglimpft.
Diese Formulierungen seien geeignet, insbesondere Homosexuelle mit Kinderwunsch herabzuwürdigen, sagte Amtsrichter Henning Leyhl in seiner Urteilsbegründung am Montag; Kutschera habe das Mäßigungsgebot missachtet. Die Staatsanwaltschaft hatte 150 Tagessätze und damit eine deutlich höhere Geldstrafe wegen Volksverhetzung, Verleumdung und Beleidigung gefordert. Für den Tatbestand der Volksverhetzung fehle es an der öffentlichen Wirkmacht, urteilte indes der Amtsrichter.
Das ist insofern bemerkenswert, als das Interview bundesweite Empörung ausgelöst hatte. Auch an diesem vorerst letzten Verhandlungstag gab es öffentlichen Protest. Der Asta der Universität Kassel hatte eine Kundgebung unter dem Motto „Rechte Hetze wegglitzern“ organisiert.
Etwa 50 AktivistInnen verwandelten den Platz vor dem Amtsgericht in ein kleines Festivalgelände. Sie hatten Picknickdecken ausgebreitet. Regenbogen- und blau-weiß-rosa Transfahnen wehten, es gab Reden und Musik. Kilian Schüler, 20, klagte vor JournalistInnen, Kutschera spreche ihm mit seinen Thesen seine sexuelle Identität ab. Roland Ronge, 30, nannte Kutscheras Text „gruselig“; er fühle sich in seiner Würde verletzt.
Eine „Hasseruption“
Im Gerichtsgebäude, im Saal D 105, trat mit dem Arzt und Psychotherapeuten Johannes Mattes einer derer auf, die Kutschera nach dem Interview wegen Beleidigung und Verleumdung angezeigt hatten. Er sei von dem Interview sehr aufgewühlt gewesen. „Es bedroht mich und meine Freunde“, sagte der 52-Jährige, der mit einem Mann verpartnert ist. „Ich bin bei ihm nicht ein Mensch, sondern ein Kinderschäderszenario“, empörte sich Mattes und nannte das Interview eine „Hasseruption“; Kutschera habe die rote Linie der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit überschritten.
Dessen Versuche, die Thesen mit angeblich wissenschaftlichen Fakten zu belegen, nannte Mattes eine Schutzbehauptung. Seine eigene Strafanzeige bezeichnete er als „Hilferuf“ an das Gericht und erinnerte in diesem Zusammenhang an die Zunahme von gewalttätigen Übergriffen gegen Homosexuelle und Trans-Personen.
Kutschera plädierte wortreich in eigener Sache. Wie stets bei seinen Auftritten vor Gericht breitete er ein halbes Dutzend Bücher auf der Anklagebank aus, „Fachliteratur“, die seine Position angeblich stützten. Bei den Betroffen entschuldigte er sich zwar wegen seiner „durchaus deftigen Worte“. Er habe nicht Homosexuelle diskriminieren wollen, ihm gehe es ausschließlich um das Kindeswohl, so der Biologe.
Es sei nun einmal wissenschaftlich erwiesen, dass für die psychische Gesundheit von Kindern das Zusammenleben mit einem leiblichen Vater und einer weiblichen Mutter zwingend erforderlich sei; „90 % der Mädchen, die sich selbst verletzen, leben nicht mit ihrem Vater oder einer männlichen Bezugsperson zusammen“, argumentierte Kutschera. Zum vermeintlichen Beleg seiner Aussage hielt er ein Foto mit einem geritzten Kinderarm hoch. Nicht vor gewalttätigen Übergriffen in Patchworkfamilien habe er warnen wollen, sondern von der Wahrscheinlichkeit vorgeblich einvernehmlicher sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern.
Kommt jetzt das Disziplinarverfahren der Uni?
Doch Staatsanwältin Josefine Köpf hielt dagegen. Sie nannte Kutscheras Interview einen Angriff auf die Menschenwürde. Homosexuelle mit Kinderwunsch würden als mögliche Kinderschänder unter Generalverdacht gestellt; es sei verständlich, dass sich Menschen dadurch vor den Kopf gestoßen fühlten. Die Unterstellung, eine bestimmten Personengruppe weise pauschal eine höhere Neigung zu Straftaten auf, sei weder von der Meinungs- noch von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt; „der Tatnachweis der Volksverhetzung ist erbracht“, plädierte die Staatsanwältin.
Auf das Urteil gab es noch am Abend Reaktionen aus der Hochschule. Es sei wichtig, dass anders als beim ersten Anlauf vor Gericht diesmal ein Urteil ergangen sei, sagte die Asta-Vorsitzende Sophie Eltzner der taz; sie rechne jetzt mit einem Disziplinarverfahren gegen den Hochschullehrer.
„Diskriminierung, Beleidigung von Minderheiten und diverser Lebensformen gehören nicht an die Universität Kassel“, distanzierte sich deren Präsident Professor Reiner Finkeldey einmal mehr von Kutschera; Finkeldey versicherte zugleich, die Nachfolge des vor der Pensionierung stehenden Hochschullehrers sei „auf einem guten Weg, denn ein Ruf wurde erteilt“; bis zur Rechtskraft eines Urteils ruhe allerdings jedes Disziplinarverfahren.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das noch dauert. Nach dem Urteil in erster Instanz kündigten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung die rechtliche Prüfung der Urteilsbegründung an. Beide Streitparteien behielten sich ausdrücklich vor, Rechtsmittel einzulegen.
Aktualisiert am 05.08.2020. In einer früheren Version stand, der Angeklagte sei zu 30 Tagessätzen über jeweils 100 Euro verurteilt worden, tatsächlich waren es aber 60 Tagessätze über 100 Euro. Die Summe beträgt damit 6000 statt 3000 Euro.
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