Rechte Pseudowissenschaft: Fakefakten erobern Unis

Rechtspopulisten erklären Gefühle zu Fakten, etwa beim Klimawandel. Um diese zu etablieren, nutzen sie immer häufiger wissenschaftliche Strukturen.

Menschen in einem Hörsaal heben die Hand

Was machen die da? Foto: unsplash/ Edwin Andrade

BERLIN taz | Der Begriff der „alternativen Fakten“ wurde vor allem durch Donald Trumps Presseteam geprägt. Er bezeichnet eine politische Strategie: Wem die Faktenlage nicht passt, der erschafft sich eine neue. Vermeintliche Expert*innen finden sich immer sowie randständige Medien, die solche Fakten verbreiten. Meistens wird dabei weitgehend wirkungslos gegen die Wissenschaft angeschrien. Aber was, wenn rechtspopulistische Kräfte aus der Wissenschaft heraus sprechen?

In Deutschland versucht vor allem das AfD-nahe Milieu, mit gefühlten Wahrheiten Politik zu machen. Und das kommt an. In der aktuellen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die rechtsextreme Einstellungen in Deutschland untersucht, gab die Hälfte der Befragten an, ihrem eigenen Gefühl mehr als „sogenannten Experten“ zu trauen.

Beate Küpper, Mitautorin der Studie, erkennt dahinter Denkmuster des Rechtspopulismus: „Dinge als Fakten zu bezeichnen, die landläufig nicht als solche gehandelt werden. Also statt objektiv zu sein, ein Gefühl zum Faktum zu erklären.“ Aus dieser Sicht sei die Wissenschaft Teil einer „korrupten Elite“, dagegen stehe das „moralisch reine Volk, das aus gesundem Volkswillen heraus weiß, was richtig ist“.

Dabei werde sich zwar der Wissenschaft bedient, ohne aber den vorherrschenden Konsens zu berücksichtigen. Beim Klimawandel wird das sehr deutlich: Während der überwältigende Teil der Forscher*innen die Auffassung eines menschengemachten Klimawandels teilt, stellt die AfD diejenigen her­aus, die ihn anzweifeln. Das „Europäische Institut für Klima und Energie“ wird hier gern zitiert.

Für manche sind sie eine abstrakte, für viele bereits eine reale Bedrohung. Sie sind Nachbarn, Familienmitglieder, Politiker*innen: Leute, die sich menschenfeindlich äußern oder die schon über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügen.

Soll man mit Rechten reden, muss man es überhaupt? Wie wehrt man sich, mit welchen Mitteln? Wie kann man der Gruppe ausweichen, wie sich dem Menschen annähern? Wie schützt man sich, wenn die Bedrohung allgegen­wärtig ist?

In dieser Serie gehen wir auf die Suche nach Menschen, die über diese Fragen nachdenken oder sie schon für sich beantworten mussten. Alle Beiträge unter taz.de/UmgehenmitRechten.

„Mit irgendwelchen Instituten, Labels wird versucht, eine Seriosität zu imitieren. Die haben mit unseren üblichen wissenschaftlichen Kriterien, ein akademisches System und Peer-Reviews durchlaufen zu haben, nichts zu tun“, so Küpper. „Dann zaubern Sie irgendeinen anderen Experten aus der Tasche, der das vertritt. Ohne zu fragen: „‚Was sind die Motive dahinter, was ist dessen Expertise?‘“

Doch einmal in der Welt, werden die so erzeugten „Fakten“ von denjenigen, die am Klimawandel zweifeln, als Teil eines komplizierten wissenschaftlichen Meinungsstreits wahrgenommen. Auch andere Reizthemen wie Feinstaubbelastung, Gender oder Migration werden gezielt aufgegriffen.

Erkenntnisse, die in jahrelanger Forschung gewonnen werden, stehen Annahmen und Ressentiments entgegen. Die Grundlogik des Rechtspopulismus funktioniere entgegengesetzt zur Wissenschaft, sagt Beate Küpper: „Das Muster ist: Eine Botschaft, die ist wahr oder falsch.“ Wissenschaftler*innen, die komplexe Sachverhalte korrekt darstellen wollten, hätten es schwer, dagegen zu argumentieren. Was der politischen Meinung widerspricht, wird als methodisch unsauber angegriffen. „Als ‚Methodenkritiker‘ gewinnen Sie doppelt: Sie sind der vermeintlich kritische Geist, schlagen die Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln.“ Eine weitere Taktik: einem ganzen Forschungszweig die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, wie es bei den Gender Studies praktiziert wird.

„Klimawandel-Hysterie“

Die Anzahl der Wissenschaftler, die mit ihrem akademischen Renommee in den Dienst dieser Logik stellen, ist verhältnismäßig gering, aber es gibt sie. Ein Fall: Ulrich Kutschera, Professor an der Universität Kassel. Er hat in Pflanzenphysiologie promoviert und lehrt Evolutionsbiologie, äußert sich aber inzwischen öffentlichkeitswirksam auch zu biologisch festgeschriebenen Geschlechterunterschieden, negativen Auswirkungen auf Kinder gleichgeschlechtlicher Familien, zur „Klimawandel-Hysterie“ und zu „Gender-Dogmatik“ – immer wissenschaftlich belegt.

Andere Evolutionsbiolog*innen kritisieren seine Aussagen, doch Kutschera wird auf Podien der AfD eingeladen, gibt dem rechten katholischen Portal „kath.net“ oder dem Magazin Compact Interviews, seine Vorträge sind auf YouTube zu sehen. Was zählt, ist die Botschaft, nicht die Einordnung. Richtigstellungen und Faktenchecks seitens Fach­kolleg*innen, Journalist*innen oder Verbänden folgen meist erst später und erzielen dann oft nicht mehr die gewünschte Wirkung.

Das nutzt die AfD für ihre Agenda: Sie fordert etwa nach ungarischem Vorbild die Abschaffung der Genderforschung, einige AfD-Politiker*innen leugnen den menschengemachten Klimawandel in Fernsehinterviews.

Ein anderes Beispiel dafür, wie Akademiker rechten Strömungen den Ball zuspielen, ist der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. „Das ist auch ein Symptom des Rechtsrucks, dass sich an den Unis plötzlich Leute zu Wort melden und äußern, die das vorher nicht getan haben“, stellen Alexander Busch und Lutz Thies vom Studierendenrat der TU Dresden fest. Seit 2015 referierte Patzelt mehrfach auf AfD-Einladung, fertigte Gutachten für sie an und nahm – aus „Forscherinteresse“ – an Pegida-Märschen teil.

Für seine Nähe zu Pegida und zur neuen Rechten wurde er von Kol­leg*in­nen und Studierenden kritisiert. 2018 initiierte er eine Petition mit den Ma­cher*innen von „Sciencefiles“, einem Blog, der sich als „rationaler Widerstand“ gegen die „Ideologisierung der Wissenschaft“ bezeichnet, selbst aber mit verschwörungstheoretischen und wissenschaftsfeindlichen Inhalten auffällt.

Die Petition war anfangs mit einer Grafik zur angeblichen „Lügenspirale“ zwischen Medien, Politik und Zivilgesellschaft illustriert, hinterlegt mit einem Bild von Joseph Goebbels. Im Text wird der Eindruck erweckt, die Bundesregierung habe im Falle der Ausschreitungen in Chemnitz „tatsachenwidrig von Hetzjagden gesprochen“ und Informationen bewusst zurückgehalten. Anfang des Jahres entschied sich die Philosophische Fakultät gegen eine Seniorprofessur Patzelts mit der Begründung, er habe „Politik und Wissenschaft derart vermischt“, dass es dem Ruf der Hochschule geschadet habe.

Einmal in der Welt, werden die so erzeugten „Fakten“ als Teil eines komplizierten wissenschaftlichen Meinungsstreits wahrgenommen

Daneben gibt es immer wieder Fälle von Akademiker*innen, die – womöglich ermutigt durch die Ausweitung der „Grenzen des Sagbaren“ – rechte Positionen äußern. Asta-Vertreter*innen der TU Darmstadt ergriffen die Initiative, als sie von rassistischen und sexistischen Aussagen eines Dozenten für Biologie-Didaktik hörten. „Da klang eine geschlossen rechte Ideologie durch: Er versuchte, biologistisch herzuleiten, dass es Rassen gibt. Sexistische Aussagen kamen dazu, so sagte er Frauen in seinem Seminar, sie sollten statt zu studieren lieber Kinder kriegen“, berichtet eine Referentin, die anonym bleiben will. Viel Durchhaltevermögen und die Unterstützung von Kommiliton*innen und Dozent*innen waren nötig, bis ihm nach über einem Jahr schließlich die Lehrerlaubnis entzogen wurde.

Unis entscheiden selbst

Solche Einzelfälle, in denen sich Pro­fes­sor*innen teilweise in extrem rechter Weise äußern, werden oft zuerst von Studierenden thematisiert. Der Bremer Asta etwa erstritt vor Gericht, sagen zu dürfen, der Berliner Geschichtsprofessor Jörg Baberowski „verbreite erschreckend brutale gewaltverherrlichende Thesen […], stehe für Rassismus und vertrete rechtsradikale Positionen“. Studierende aus Leipzig machten während einer Vorlesung mit Flugblättern auf rassistische Tweets des Leipziger Jura-Professors Thomas Rauscher aufmerksam, die Presse berichtete. Die Universität und das sächsische Wissenschaftsministerium distanzierten sich von ihm, Rauscher verlor seine Stelle als Erasmus-Beauftragter.

Doch der Umgang mit rechten Pro­fes­sor*innen ist nicht festgeschrieben. Die Universitäten entscheiden selbst. Grundsätzlich genießen die Hoch­schul­lehrer*innen als Beamte besondere Rechte. Ihre fachlichen Äußerungen sind geschützt, und ihre private Meinung dürfen sie vertreten – auch wenn sie teils im Widerspruch zu den Werten der Hochschulen stehen. Die Grundhaltung: Meinungsvielfalt muss gewährleistet, gleichzeitig dürfen bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Dieses Spannungsfeld wird von Rechten gezielt genutzt, um den „vorpolitischen Raum“ der Universitäten zu besetzen.

Schützenhilfe für die rechten Hochschullehrer kommt oft von rechten Blogs wie „Sciencefiles“, Hochschulgruppen wie der „Campus Alternative“, Burschenschaftern oder rechten Studierenden. Die Campus Alternative in Magdeburg lud beispielsweise einen Neurowissenschaftler und André Poggenburg zur Podiumsdiskussion zum Thema Gender. Die Kritik an derlei Vorstößen wird im Gegenzug als Angriff auf die akademische Freiheit gewertet.

Abgeordnete der AfD konstatierten in einer Kleinen Anfrage, die sich unter anderem mit den Fällen Baberowski und Kutschera befasste, an Universitäten herrsche „ein Klima der Repression und Einschüchterung, das selbsternannte Wächter sogenannter politischer Korrektheit schüren“ und dadurch „wissenschaftliche Diskurse erschwert und verhindert und somit die Freiheit der Wissenschaft bedroht“ seien. Dabei scheint es vor allem um die Aspekte der Wissenschafts- und Diskursfreiheit zu gehen, die die eigene Argumentation befördern.

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