Grüne in Sachsen-Anhalt: Weit und breit kein Baerbock-Effekt
Für die Grünen ist das Ergebnis in Sachsen-Anhalt enttäuschend. Doch ist es kaum übertragbar auf den Bund, auch wenn Konservative frohlocken.
Stimmt das? Es wäre eine Deutung, die der Union sehr zupasskäme. Wenn sich die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt auf den Bund übertragen ließen, wäre die Duellsituation zwischen CDU und Grünen faktisch beendet. Aber die Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter. Das Votum von 1,8 Millionen Wahlberechtigten in einer speziellen regionalen Situation lässt solch weitgehende Schlüsse nicht zu.
Die Grünen schafften in Magdeburg 5,9 Prozent, das ist im Vergleich zur vorherigen Landtagswahl ein leichter Zuwachs (2016: 5,2 Prozent). Aber die Erwartungen waren deutlich höher. Die Grünen hatten – gestützt durch entsprechende Umfragen – auf ein zweistelliges Ergebnis gehofft. „Wir haben nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben“, räumte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein.
Für die Grünen ist das Ergebnis vor allem aus zwei Gründen ein Dämpfer. Sachsen-Anhalt war die erste Wahl nach Baerbocks Nominierung als Kanzlerkandidatin, ein erster Realitätscheck. Baerbock zog das Ergebnis erkennbar nicht nach oben. Und die von ihr angestoßene Debatte über höhere Spritpreise hat in einem Flächenland, in dem viele Menschen aufs Auto angewiesen sind, geschadet – auch wenn sie von CDU und SPD unfair geführt wird, die ja den höheren CO2-Preis selbst beschlossen haben.
Die Söderʼsche Analyse ist konservatives Wunschdenken
Anders, als es sich die Grünen nach der Nominierung im April erträumt hatten, gab es also keinen positiven Baerbock-Effekt, nirgends.
Problematisch für die Partei ist auch ein Bild, das sich immer wieder beobachten lässt. Die Grünen schnitten in Sachsen-Anhalt am Ende deutlich schlechter ab, als es sich zuvor in Prognosen andeutete. Auch im Bund lief es in der Vergangenheit ähnlich. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 schossen die Grünen in Umfragen nach oben. Bei der Bundestagswahl 2013 landeten sie gerupft bei 8,4 Prozent. Das „In Umfragen hui, am Ende pfui“-Narrativ verfestigt sich durch Sachsen-Anhalt.
Dennoch ist die Söderʼsche Analyse konservatives Wunschdenken – und nicht realitätstauglich. Erstens ist es kein Naturgesetz, dass auf den Höhenflug der Grünen der Absturz folgt. Bei wichtigen Wahlen der jüngeren Vergangenheit, etwa in den bevölkerungsreichen Ländern Bayern oder Hessen 2018, erzielten sie beinahe das Ergebnis, das sich zuvor in Umfragen abbildete. Und die Grünen liegen im Bund seit Langem stabil bei plus minus 20 Prozent – trotz Corona. Ihr Höhenflug ist also erstaunlich stabil.
Auch ist die Situation in Sachsen-Anhalt speziell und schwer übertragbar. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff profitierte erkennbar von seinem Amtsbonus, auch einige Grünen-Sympathisanten werden ihm am Ende die Stimme gegeben haben, weil sie die AfD nicht vorne sehen wollten. Ein solcher Effekt fällt bei der Bundestagswahl weg, weil Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr antritt – und die AfD keine große Rolle spielt.
Klimaschutz spielte keine Rolle
Nicht zuletzt sind im Bund andere Themen wichtig als in Sachsen-Anhalt. Als wichtigste Probleme schätzten die WählerInnen dort laut der Forschungsgruppe Wahlen Corona (31 Prozent), Bildung (18 Prozent), Infrastruktur (15 Prozent), Arbeitslosigkeit (14 Prozent) und die Wirtschaftslage (11 Prozent) ein. Bei diesen „Brot und Butter“-Themen wurde den Grünen keine Kompetenz zugetraut, in der Befragung tauchten sie – anders als die anderen Parteien – gar nicht erst auf.
Anders sah es beim Klimaschutz aus. Hier hielten 30 Prozent der Befragten die Grünen für kompetent, sie lagen damit klar vor der Konkurrenz. Aber ein Sieg bei einem Thema, das kaum jemanden kümmert, ist irrelevant. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz twitterte am Montag: „Das kann für niemanden eine Genugtuung sein, sondern es bezeichnet die Schwierigkeit der Aufgabe, der sich auch die CDU stellen muss: Die Menschen müssen für den 1,5-Grad-Pfad gewonnen werden.“
Damit liegt Polenz richtig. Es wäre fatal, wenn die anderen Parteien aus der Wahl in Sachsen-Anhalt den Schluss zögen, dass ein ernsthafter Umgang mit Klimaschutz verzichtbar sei, oder mehr noch, dass sich die Grünen mit Ignoranz gegenüber der Erderhitzung schrumpfen ließen. Das hieße, den Elefanten im Raum zu ignorieren, um kurzfristige Geländegewinne zu verzeichnen. Im Bund ist vielen Menschen Klimaschutz wichtiger als in Sachsen-Anhalt, auch das belegen Umfragen.
Erkennbar ist, dass die Grünen nach wie vor unter ihrem Image der Ein-Themen-Partei leiden. Dies enspricht nicht der Realität, weil sie programmatisch breit aufgestellt sind, aber Zuschreibungen halten sich hartnäckig. Hinzu kam in Magdeburg, dass das grüne Personal hinter dem beliebten CDU-Ministerpräsidenten unsichtbar blieb. Die Spitzenfrau Cornelia Lüddemann ist für die allermeisten in Sachsen-Anhalt eine Unbekannte.
Die Frau, die keiner kannte
Etwas böse lässt sich der grüne Wahlkampf so zusammenfassen: Eine Frau, die keiner kannte, kämpfte für ein Thema, das niemanden interessierte. Win-Win-Situationen sehen anders aus. Die Grünen standen im Grunde gar nicht auf dem Spielfeld. So gesehen sind 5,9 Prozent eigentlich noch ganz gut.
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der aus Thüringen stammt, erklärte des Ergebnis auch mit fehlender Akzeptanz bei älteren Menschen. „Unser bestes Ergebnis von 19 Prozent haben wir bei Frauen bis 24 erreicht“, twitterte er. Bei den über 60-Jährigen seien die Grünen – anders als bei Wahlen in Westdeutschland – auf 4 Prozent eingebrochen. Kellners Fazit: „Es fehlt das Aufwachsen seit den 80er Jahren mit den Grünen.“
Aber müssen Grüne, die im Bund erfolgreich sein wollen, nicht auch in Ostdeutschland überdurchschnittlich abschneiden? Ja, natürlich. Aber die Performance der Grünen im Osten – falls man noch so pauschal von „dem Osten“ sprechen will – ist unterschiedlich. Bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg legten die Grünen 2019 jeweils stark zu, in Thüringen schafften sie es nur knapp über die Fünfprozenthürde. Es kommt also stark auf die regionale Situation an.
Aber natürlich gilt, dass die Grünen nach wie vor eine westdeutsch geprägte Partei sind. Für sie sind die Wahlergebnisse im Westen entscheidender. Und hier sieht es gut aus, Bayern und Hessen waren nur zwei Beispiele. Bei der Europawahl 2019, bei der Wahlberechtigte in ganz Deutschland abstimmten, schafften sie 20,5 Prozent. Damit lagen sie sogar ein, zwei Prozentpunkte über den Prognosen.
Für die Grünen wird im Bund entscheidend sein, ob sie die Duellsituation mit der Union aufrechterhalten können. Das Ergebnis in Magdeburg ist da ein kleiner Stolperer, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass Baerbocks Team nicht in der Lage war, Ungereimtheiten im Lebenslauf vor ihrer Kandidatur zu checken und auszuräumen, dürfte für die Grünen am Ende gefährlicher sein.
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