Grüne gegen Ampel-Partner: Die flauschigen Jahre sind vorbei
Die Grünen sind genervt, vor allem von der FDP. Jetzt machen sie ihrem Ärger Luft und attackieren die Ampel-Partner scharf. Ein Wagnis.
Alle jetzt noch schön aufstellen und die großen, weißen Buchstaben festhalten. „Gemeinsam stärker“ soll da gleich stehen. Ein paar Regieanweisungen später schauen die Abgeordneten in die Kamera, rufen „Yeah“ und lachen. Dann brechen die meisten von ihnen auf, vom Fototermin hinter der Weimarhalle in Richtung Bahnhof. So endet am Donnerstag nach drei Tagen die Klausurtagung der grünen Bundestagsfraktion: mit schönen Bildern.
Alles wieder gut bei den Grünen? Keineswegs. Keine 48 Stunden ist es zu dem Zeitpunkt her, dass der Vizekanzler und die Fraktionsspitze vor der angereisten Presse ihren Ärger über die Ampel-Partner öffentlich gemacht haben. „Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist“, sagt Robert Habeck. Für die Klimaziele sei die ganze Regierung verantwortlich, sagt Katharina Dröge. „Auch ein Kanzler.“
Das waren ungewöhnlich deutliche Worte für Grüne, die doch stets Wert darauf legen, dass die Koalition ein geschlossenes Bild abgibt – und Probleme intern gelöst werden. Aber der Ärger hat sich angestaut. Auslöser für den Wutauftritt war der Streit um Habecks Pläne, Öl- und Gasheizungen schrittweise zu verbieten. Dahinter: eine lange Liste weiterer Konflikte, vom Verbrenner-Aus bis zur Planungsbeschleunigung. Und es gibt ein noch grundlegenderes Problem: Im zweiten Ampeljahr kommen die Grünen in der Wirklichkeit des Regierens an. Nicht alle ihrer bisherigen Annahmen halten diesem Realitätscheck stand.
Ein Irrtum: Den Wähler*innen – und vielleicht auch sich selbst – haben die Grünen über Jahre vorgemacht, dass Klimaschutz nicht wehtut. Veggie-Day, Flugscham, Verzicht, alles landete im Giftschrank. Jetzt aber, da es in der Regierung ans Machen geht, stößt die Erzählung von der schmerzlosen Transformation an Grenzen. Habecks Gesetzesentwurf zu den Heizungsverboten sieht zwar großzügig Ausnahmen vor und der Staat wird den Einbau von Wärmepumpen bezuschussen. Doch die Menschen werden zum Handeln gezwungen. Und der Staat wird nicht allen Betroffenen die Kosten vollständig erstatten. Einige werden drauflegen.
Ohne Zumutungen geht's nicht
Ganz ohne Zumutungen gibt es die Energiewende eben nicht. Aber wo es ernst wird, scheint es mit der Bereitschaft der Deutschen zum Klimaschutz nicht mehr weit her zu sein. Seit der unfertige Gesetzentwurf auf unbekannten Wegen bei der Bild gelandet ist, fährt die Boulevardzeitung eine Kampagne gegen das Vorhaben („Habecks Heizungs-Irrsinn!“). In einer Forsa-Umfrage sprachen sich zuletzt 78 Prozent der Befragten gegen die Pläne aus.
Und so wie der Wohlfühlkurs der letzten Jahre die Partei erst an die Macht geführt hat, trägt die Realität des Regierens jetzt wohl zum vorläufigen Ende des grünen Wachstums bei. In der Sonntagsfrage liegen die Grünen, die zwischendurch auf über 20 Prozent geklettert waren, im Moment nicht mehr weit über den 14,8 Prozent der letzten Bundestagswahl. Der Weg zur stärksten Kraft der linken Mitte ist noch lang.
Deswegen wieder von ihren Plänen abzurücken, ist für die Grünen aber keine Option. Im ersten Regierungsjahr, unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs, hatten sie ihre Ambitionen vorübergehend zurückgeschraubt. Damit aber strapazierten sie nicht nur die Geduld ihrer Stammwählerschaft. Der Streit um die Räumung von Lützerath zeigte, dass auch die Parteibasis nicht auf Dauer alles mitträgt.
Auch die Bundestagsfraktion machte ihren Kabinettsmitgliedern in den letzten Monaten deutlich, dass sie beim Klimaschutz Ergebnisse sehen will. Dazu kommt der Druck der Realität: Erst am Montag warnte der Weltklimarat in seinem neuen Bericht, dass die Auswirkungen des Klimawandels bereits dramatischer sind als bislang angenommen. Dem Klimaschutz laufe die Zeit davon.
In der Frage, wie er sich doch noch rechtzeitig umsetzen lässt, offenbart sich ein zweiter Irrtum. Über Jahre strickten vor allem Vertreter*innen des Realo-Flügels an einer Erzählung über lagerübergreifende Bündnisse: Koalitionspartner rechts der Mitte könnten dafür sorgen, dass grüne Politik kompatibel wird für neue Milieus. Am Ende, so die Idee, machen auch Konservative begeistert bei der Energiewende mit.
In manchen schwarz-grünen Landesregierungen geht das Kalkül zumindest teilweise auf. NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) etwa lässt sich mittlerweile stolz neben Windparks ablichten.
Mit der FDP im Bund ist aber das Gegenteil der Fall. Aus der Koalition heraus heizt sie die Stimmung gegen die grünen Transformationspläne an. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wirft Habeck „verbohrte Ideologie“ vor. FDP-Parteichef Christian Lindner wettert gegen „pauschale Verbote“. Und Verkehrsminister Volker Wissing blockiert, wo er kann. Ähnlich destruktiv tritt die FDP laut Grünen auch intern oft auf.
„Ich erwarte, dass wir nicht immer wieder über Dinge reden müssen, die wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und im Koalitionsausschuss noch einmal bestätigt haben“, sagt Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden, die für die Klimathemen zuständig ist. „Es ist ineffizient und kostet wertvolle Zeit, die wir für die Umsetzung von Klimaschutz brauchen.“
Zuletzt nahm auch der Ärger über die SPD zu. Bei manchen Grünen sorgen die Sozialdemokrat*innen sogar für mehr Frust als die FDP. Statt Farbe zu bekennen, würden sie sich aus vielen Konflikten raushalten, für Klimaschutz zeigten sie wenig Interesse. Wie ein Beleg dafür erscheint der Auftritt von Olaf Scholz am Donnerstag in Brüssel.
Anton Hofreiter, Ex-Fraktionschef der Grünen
Trotz der Grünen-Schelte stellte er sich dort hinter den Verkehrsminister und brachte im Streit um das Verbrenner-Aus auch EU-Partner gegen sich auf. „In meinen Augen ist der Kanzler das Problem“, sagt Ex-Fraktionschef Anton Hofreiter. Und fügt selbstkritisch an: „Wir haben zu lange mit der FDP gestritten und zu wenig Druck auf die SPD entfaltet.“
Allein steht Robert Habeck mit seinem Ärger also nicht. Aus der Fraktion heißt es höchstens, dass die Gegenattacke etwas spät komme. Als Habecks Gesetzesentwurf zu den Heizungen im Februar durchgestochen wurde und die Angriffe auf ihn begannen, setzte er zunächst wenig dagegen. Ein genaues Konzept zum sozialen Ausgleich hat er bis heute nicht vorgelegt.
Auf der anderen Seite finden aber auch nicht alle Grünen die neue Härte richtig. Zu Beginn der Ampel-Koalition hatte sich die grüne Spitze darauf verständigt, sich als verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu positionieren. In der Parteizentrale gibt es jetzt die Sorge, dass die Attacken das gemeinsame Regieren und Einigungen beim Koalitionsgipfel am Sonntag eher erschweren als erleichtern.
Auffallend ist: Anders als die Fraktionschefinnen stimmten die Parteivorsitzenden nicht in Habecks Vorwürfe ein. Ricarda Lang gab sich in der Talkshow Maybrit Illner am Donnerstagabend betont sachlich: „Jetzt müssen wir zusammenkommen und uns an einen Tisch setzen. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Eines eint dann aber doch wieder alle Grünen – die Einsicht, dass bis zur nächsten Wahl kein Weg an der Ampel vorbeiführt. Die grüne Fraktion ist zwar so groß wie nie. Ihre Klausur, die aus Tradition im kleinen Weimar stattfindet, wird dadurch zur logistischen Herausforderung. Auf drei Hotels müssen sich die Abgeordneten aufteilen und als nach einem Abendempfang in einem Vorort der letzte Shuttlebus ausfällt, sind nicht genügend Taxis für den Rückweg aufzutreiben. Einige Abgeordnete finden sich so auf einer nächtlichen Wanderung zurück in die Stadt wieder, vorbei an Einfamilienhäusern mit Kamin auf dem Dach und Verbrenner in der Einfahrt.
Aber trotz ihrer Rekordgröße sind die Grünen im Bundestag noch immer nur die drittstärkste Kraft. Ohne Koalitionspartner geht es nicht. Und dass es in einer Jamaika-Koalition unter Friedrich Merz besser laufen würde, glaubt in der Fraktion auch niemand. Was also heißt: Man muss mit der FDP irgendwie klarkommen. Für deren Verzweiflungstaten es sogar ein gewisses Verständnis gibt. Nach den ganzen Wahlschlappen gehe es bei den Liberalen eben ans Eingemachte.
Viel spricht daher dafür, dass der scharfe Ton dieser Woche bei den Grünen nicht zum Dauerzustand wird. Ohnehin waren ihre Vorwürfe an die Koalitionspartner in Ton und Inhalt wohlkalkuliert. Schnell war in Weimar vor der Presse auch wieder von Gemeinsamkeiten und Erfolgen der Koalition und vom „Team Ampel“ die Rede. Auf die Steilvorlage von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der Habeck mit Putin verglichen hatte, stieg die Fraktionsspitze gar nicht erst ein. „Jeder disqualifiziert sich, so gut er kann“, sagte Britta Haßelmann. Das war’s.
Das könnte es leichter machen, mit SPD und FDP doch wieder zu einem belastbaren Verhältnis zu finden. Und dem Eindruck der Öffentlichkeit entgegenwirken, es jetzt wieder mit Krawallos an der Grünen-Spitze zu tun zu haben. Denn die Auftritte dieser Woche bergen ja durchaus auch eine andere Gefahr: Offenen Streit zwischen Koalitionären lehnen Wähler*innen oft ab. Auch das werden die Grünen bedenken, wenn sie darüber beraten, ob sie jetzt regelmäßig gegen die Ampel-Partner schießen – oder ob es bei einer einmaligen Aktion bleibt.
Als die Grünen-Abgeordneten am Donnerstag von der Weimarhalle zum Bahnhof ziehen, kommen sie an einem haushohen Werbeplakat vorbei. Das Haus der Weimarer Republik will damit für die Demokratie werben. Der Spruch auf dem Banner passt aber auch zur momentanen Situation der Grünen. „Demokratie ist, wenn du an der Ampel stehst und fluchen darfst“, steht da. „Und dann geht es trotzdem weiter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste