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Gerichtsurteil zum Palästina-KongressPolizeistaatsräson

Daniel Bax

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Daniel Bax

Nun steht fest: Die Auflösung des Palästina-Kongresses in Berlin war rechtswidrig. Aber wer trägt die Verantwortung dafür und entschuldigt sich?

Vor der Veranstaltungshalle des vorzeitig abgebrochenen Palästina-Kongresses 2024 Foto: Sebastian Gollnow/dpa

L egal? Illegal? Scheißegal! Diese alte Anarchoparole scheinen sich heute auch manche Amtsträger zu eigen zu machen. Aber in den Händen der Macht läuft dieses Motto auf Willkür und Machtmissbrauch hinaus. Die Auflösung und das Verbot des Palästina-Kongresses, der im April 2024 in Berlin stattfinden sollte, waren rechtswidrig, hat ein Gericht nun festgestellt. Gut so. Doch wer trägt die Verantwortung dafür, entschuldigt sich und zieht Konsequenzen? Das bleibt offen, auch wenn Berlins Polizeichef dafür seinen Kopf hinhält. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass er auf eigene Faust handelte, als er seinen Beamten befahl, den Kongress ohne jeden triftigen Grund aufzulösen.

Die Verantwortung dafür tragen Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) oder Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), wenn nicht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Schließlich war sie für die Bundespolizei zuständig, die den Arzt Ghassan Abu-Sittah, der als Gast am Palästina-Kongress teilnehmen sollte, im April 2024 an der Einreise nach Deutschland hinderte. Auch das war rechtswidrig, wie ein anderes Gericht erst vor drei Wochen in zweiter Instanz bestätigt hat.

Die Verantwortlichen wussten, dass ihr Vorgehen rechtswidrig war. Sie haben sich trotzdem über Recht und Gesetz hinweggesetzt – wohl wissend, dass es viele Monate dauern würde, bis ein Gericht sie dafür rügen würde. Gerade bei Parteien, die sonst so gerne auf Law and Order pochen, ist diese Arroganz der Macht bemerkenswert. Aber sie hat System. Denn die rechtswidrige Auflösung des Palästina-Kongresses ist nur die Spitze des Eisbergs.

Schikanen mit System

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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Seit Monaten werden in Deutschland Proteste behindert oder von der Polizei mit Gewalt aufgelöst, Veranstaltungen selbst an Universitäten verhindert und sogar Theaterstücke abgesagt, um im Sinne einer ominösen „Staatsräson“ unerwünschte Kritik an Israel zu unterbinden. Das hat einen Chilling Effect, es schüchtert ein. Und nirgends greift die Polizei gegen propalästinensische Proteste so hart durch wie in der Hauptstadt, wo sogar schon Bundestagsabgeordnete verprügelt wurden. Das erinnert an einen Polizeistaat, nicht an eine Demokratie.

Diese Einschränkungen der Meinungs-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit und die exzessive Polizeigewalt sind bedenklich; sie lassen sich auch nicht durch vermeintlich beste Absichten rechtfertigen. Zum Glück schieben die Gerichte manchen Exzessen einen Riegel vor. Aber das reicht nicht. Um den Rechtsstaat zu schützen, braucht es auch eine Opposition, die auf Rechtsstaatlichkeit pocht. Und es braucht Medien und Journalistinnen und Journalisten, die ihrer Aufgabe als vierte Gewalt nachkommen und der Regierung auf die Finger schauen, statt sich als Ersatzpolizei zu gerieren. Sonst sterben Rechtsstaat und Demokratie schleichend und scheibchenweise.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Themenchef im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Sein neues Buch "Die neue Lust auf Links" über das Comeback der Linkspartei ist gerade im Goldmann Verlag erschienen.
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11 Kommentare

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  • Was sind die Lehren aus den von Bax monierten Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Gazakrieg?



    1. ein vordemokratischer Begriff von Staatsräson ist ungeeignet als Grundlage, die deutschen Beziehungen zum Staat Israel zeitgemäß zu definieren.



    Wie Mendel u.a. aufgezeigt haben, entsprang das Motiv zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel eher dem Wunsch der Adenauer-Regierung nach internationaler Reputation - und das bei gleichzeitiger Inkorporation alter Nazi-Strukturen in die junge Bundesrepublik.



    Moralische Motive, etwa der Wunsch nach einem Abtragen der Schuld aus der Shoa gegenüber den überlebenden Juden spielten dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Das war auch der israelischen Seite um Ben-Gurion bewusst.



    Letztlich waren die deutsch-israelischen Beziehungen von Beginn an in das geopolitische Geflecht des Kalten Krieges eingebunden.



    2. in den vergangenen zwei Jahren sahen wir den politischen Missbrauch einer wissenschaftlichen Antisemitismus-Definition (IHRA), die eigentlich der (Auf)Klärung dessen dienen soll, was Antisemitismus sei. Stattdessen diente sie der Kriminalisierung unliebsamer Meinungen.

  • Herrje, allein in Berlin gab es seit dem 7. Oktober weit über 1000 propalästinensische Demos und Aktionen.

    Aber in der Bax-Bubble werden die armen Propalästinenser “zum Schweigen gebracht.” Absurd!

    Dass alle jüdischen Einrichtungen rund um die Uhr Polizeischutz brauchen und Juden sich als solche nicht mehr zu erkennen geben können, ohne zu riskieren, von Propalästinensern beleidigt, bedroht und angegriffen zu werden, darüber schweigt Bax seit jeher geflissentlich. Auf dem grünen Auge blind, was?

    • @Suryo:

      In Berlin kann man fast nicht mehr auf die Straße gehen ohne über eine Palästinenser-Demo zu stolpern.

      Während Juden vorsichtshalber fast gar nicht mehr aus dem Haus gehen.

      Tagesspiegel: "In Berlin gibt es seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Gaza-Krieg regelmäßig Kundgebungen. Nach Angaben der Polizei beläuft sich die Zahl inzwischen auf fast 2000 Versammlungen. Immer wieder kommt es dabei zu Angriffen auf und Widerstand gegen Polizisten, aber auch zahlreiche Propagandataten wie Volksverhetzung und Terrorunterstützung."

      www.tagesspiegel.d...drig-14944277.html

  • Es gibt keinerlei Konsequenzen und kann sich so jederzeit wiederholen. Wer zu laut dagegen protestiert, riskiert eine Hausdurchsuchung und dass die Polizei dabei den PC beschlagnahmt. Das brutale Vorgehen der Polizei Berlin auf vielen Demos ist auch Teil davon. Die Bilder gingen um die Welt, sogar der UN-Menschenrechtsrats hat sich eingeschaltet.

    Die Gerichte schieben dem auch keinen Riegel vor, es wird Monate oder Jahre im Nachhinein lediglich festgestellt, dass ein Vorgang nicht rechtmäßig war und das war es dann auch.

    Wenn es keine Konsequenzen gibt, wird sich das nur weiter wiederholen. Die Grundrechte der Bürger haben keinerlei Bedeutung, sie werden mit Füßen getreten.

    • @Schöneberg:

      Das brutale Vorgehen der Polizei?

      Gehen Sie mal in Berlin auf eine Gegendemo zu diesen sog. "propalästinensischen" Demos und Sie wissen wo die Gewalt sitzt.

  • Es ist bitter, überall diese Konfrontation und dieses „bist Du nicht auf meiner Seite, so bist Du mein Feind“-Denken.



    Und dann ist z.B. „Staatsräson“ auch noch ein Begriff aus dem (undemokratischen) Mittelalter.

  • Hauptveranstalter dieses "Palästina-Kongresses" war die sog. "Jüdische Stimme"

    Selbst die Uni Bremen hat eine Veranstaltung dieser "Jüdischen Stimme" verboten:

    taz: "Die Uni-Leitung begründete ihre Entscheidung damit, dass der Bundesverfassungsschutz die „Jüdische Stimme“ 2024 als „gesichert extremistisch“ bewertet. Damit bestehe „die konkrete Gefahr, dass Inhalte der Veranstaltung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verstoßen“, schreibt Uni-Rektorin Jutta Günther.

    Die Entscheidung sei „nach sorgfältiger Abwägung der mit der Durchführung der Veranstaltung insgesamt einhergehenden Risiken“ und angesichts der Tatsache erfolgt, „dass die Uni-Leitung für die Sicherheit aller Mitglieder, im gegebenen Kontext vor allem auch der jüdischen Mitglieder der Universität, verantwortlich ist“.

    Grundlage der Entscheidung des Verfassungsschutzes, die „Jüdische Stimme“ als extremistisch einzustufen ist deren Unterstützung des BDS und dass Israel „dämonisiert und delegitimiert“ werde.

    Well done.

    Brauchen wir nicht in einem Land, das die "Endlösung der Judenfrage" zur Staatsräson erklärte.

    taz.de/Gerichtsurt...Kongress/!6133001/

  • Es ist bedauerlich, dass antisemitische Plattformen sich unter dem Deckmantel der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verstecken und weiter agieren dürfen.

  • vielen dank. genau das.



    aber nicht nur opposition und medien müssen hier aktiv werden, sondern auch staatsanwaltschaften. diese ewigen rechtsbrüche selbst auf institutionaler und ministerialer ebene müssen sofort konsequent verfolgt werden.



    und alle verfehlungen der letzten 2 jahre im medienbereich aufgearbeitet werden.



    ich kann diesem beitrag nur 100% zustimmen.



    unsere demokratie hat sehr gelitten und ist in gefahr.

  • "Die Auflösung des Palästina-Kongresses in Berlin war rechtswidrig. Aber wer trägt die Verantwortung dafür und entschuldigt sich?"

    Wenn ich gegen das Gesetz verstoße, werde ich nicht um eine Entschuldigung gebeten. Das gilt nicht mal wenn ich 10min falsch parke. Dann zahle ich, oder gehe in den Knast. Die korrekte Frage müsste also lauten: wer zahlt/geht ins Gefängnis und insbesondere: wer verliert jetzt mal sein Amt und geht?

    Und in diesem Fall geht es um einen Verstoß gegen das Grundgesetz (ist kein Strafgesetz, ich weiß). Versammlungsfreiheit und das Recht zu demonstrieren und seine Meinung zu äußern, sind kein Falschparken.

    Ich frage mich (rhetorisch) immer mehr, ob ich eigentlich noch in einem Rechtsstaat lebe. Die Regierung hält sich nur noch an die Gesetze, wenn sie ihnen in den Kram passen. Haben wir als BürgerInnen dann eigentlich nicht auch das Recht? Wo sind Gerichte, Staatsanwaltschaften in diesem Fall? Ist das alles ein einziger Sumpf?

    Man denkt z.B. an die Dame, die in Sachen CumEx Recherche das Handtuch geworfen hat und den Job gekündigt hat, weil durch den Filz kein Durchkommen war.

  • Dass das Gericht das Vorverbot gekippt hat, ändert nichts daran, dass Behörden gute Gründe hatten, sich Sorgen zu machen. Ein Kongress mit Teilnehmern, die frühere Sympathien für militante Gruppen gezeigt haben, kann Spannungen verschärfen. Formale Rechtmäßigkeit bedeutet nicht automatisch Ungefährlichkeit. Statt eines kompletten Verbots wären gezielte Auflagen oder Rednerausschlüsse angemessener gewesen, um Risiken für öffentliche Sicherheit zu minimieren. Freiheit hat ihre Grenzen dort, wo Gewalt- oder Provokationspotenzial besteht.