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Friedrich Merz und sein NaziopaKann Merz als Bundeskanzler dazu weiter schweigen?

taz-Recherchen zeigen: Der Großvater von Friedrich Merz bemühte sich selbst um die Aufnahme in die NSDAP – und wurde früher Mitglied als bisher bekannt.

Friedrich Merz, der neue Kanzler der Bundesrepublik Foto: Michael Kappeler/dpa

Josef Paul Sauvigny, der Großvater von Bundeskanzler Friedrich Merz, hat sich persönlich um die Mitgliedschaft in die NSDAP bemüht. Zudem beantragte er seine Mitgliedschaft in der Nazipartei früher als bisher bekannt. Dokumente, die der taz vorliegen, widerlegen die frühere Aussage von Friedrich Merz, sein Großvater sei „ohne eigenes Zutun“ Mitglied der NSDAP geworden.

Der taz liegen die Personalakte von Josef Paul Sauvigny aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen sowie der Auszug aus der NSDAP-Mitgliederkartei aus dem Bundesarchiv vor. Die Dokumente belegen, dass Sauvigny bereits am 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP wurde (siehe Foto), und damit früher als bisher bekannt. Seinen Mitgliedsantrag hat Sauvigny der Personalakte zufolge zwischen Mai 1933 und Februar 1936 gestellt. Weiter heißt es in der Akte, er habe sich als SA-Mann „eifrig betätigt“ und unterstützte die NSDAP „nach Möglichkeit“.

Josef Paul Sauvigny war von 1917 bis 1937 Bürgermeister von Brilon. 2004 hatte sein Enkel Friedrich Merz, damals Fraktionsvize der Union, vor Parteifreunden zum „Sturm aufs rote Rathaus“ von Brilon aufgerufen und sich dabei auf seinen Großvater berufen. Die taz hatte daraufhin recherchiert, dass Sauvigny Mitglied von NSDAP und SA war. Bis 1933 war er Mitglied der katholischen Zentrumspartei. Während eine Reihe von Mitgliedern dieser Partei in der Nazi-Zeit in den Widerstand gingen und verfolgt wurden, schloss sich Sauvigny den braunen Machthabern an.

Auszug aus der NSDAP-Zentralkartei zu Josef Sauvigny Foto: Bundesarchiv

Merz hatte seinerzeit in einer Stellungnahme zur taz-Berichterstattung behauptet, sein Großvater sei „ohne eigenes Zutun“ in die NSDAP eingetreten. Dies widersprach schon 2004 dem Stand der historischen Forschung, wie die taz nachzeichnete. Das Bundesarchiv schreibt zu der Frage der NSDAP-Mitgliedschaft auf seiner Homepage, ein „unterschriebener Aufnahmeantrag“ sei Bedingung für die Aufnahme in die Partei gewesen. Durch eine Vielzahl von Einzelfällen „sei belegt, dass zur Durchführung des Aufnahmeverfahrens ein Aufnahmeantrag mit eigenhändiger Unterschrift vorgelegen haben muss“.

Was weiß Merz über seine Familiengeschichte?

Merz hat sich seit den taz-Recherchen im Jahr 2004 kaum öffentlich zur Nazi-Vergangenheit seines Großvaters geäußert. In einem Podcast der Zeit im Bundestagswahlkampf 2025 hatte Merz im Januar gesagt, sein Großvater sei „in diese Abgründe des National­sozialismus hineingeraten“. Auf die Bemerkung eines Interviewers, die Geschichte des Großvaters müsse „ja in der Familie bekannt gewesen sein“, antwortete Merz: „Ja, klar.“

Diese Aussage von Merz ist bemerkenswert. 2004 hatte Merz noch gesagt, sein Großvater sei „kein Nationalsozialist“ gewesen. Das Interview aus dem Wahlkampf legt nun nahe, dass Merz schon vor den Recherchen der taz wusste, welche Rolle sein Großvater im NS-Staat hatte, und sich trotzdem positiv auf ihn bezog.

Auf eine taz-Anfrage zur NS-Vergangenheit seines Großvaters und seiner Aufarbeitung der Familiengeschichte antwortete Merz nicht. Eine der Fragen an die Parteipressestelle des CDU-Chefs von Ende April lautete: „Gibt es aus Sicht von Herrn Merz seit 2004 neue Erkenntnisse über die NS-Verstrickung seines Großvaters?“

2004 hatte Merz in einem mehrseitigen Dokument zur taz-Berichterstattung Stellung genommen und darin den journalistischen Stil der taz als „widerlich“ bezeichnet. Merz schrieb außerdem, sein Großvater habe sich „geweigert“, der NSDAP beizutreten, und sei nur, weil er als Amtsträger gemusst habe, in die SA eingetreten. Später sei sein Großvater „ohne Zutun“ von der SA in die NSDAP „überführt“ worden, und zwar 1938, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt.

Auffällig ist, dass sich diese Aussagen von Merz fast wörtlich in der Erklärung seines Großvaters finden, mit der dieser sich 1946 vor dem Entnazifizierungsausschuss selbst entlastete. Auch Sauvigny hatte damals erklärt, er sei 1938 in die Partei „überführt worden“. Es liegt nahe, dass Merz diese Schutzbehauptung seines Großvaters ungeprüft übernommen hat.

Als SA-Mann „eifrig betätigt“

Wann genau Sauvigny den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt hat, wird aus den der taz vorliegenden Dokumenten nicht klar. Der Aufnahmeantrag Sauvignys ist nicht überliefert. In der Personalakte finden sich allerdings Stellungnahmen, die deutlich machen, dass Sauvigny sich aktiv um die Mitgliedschaft in der Partei bemühte. In einem Vermerk des Landrats vom März 1936 heißt es, Sauvigny habe sich „von Anfang an als SA-Mann eifrig betätigt“. Es sei nichts bekannt, was seiner Aufnahme in die Partei entgegenstehe“.

In einer weiteren Stellungnahme von Februar 1936 erklärt der Ortsgruppenleiter des NSDAP, Sauvignys Beitrittsgesuch sei nach dem 1. Mai 1933 erfolgt und deshalb bisher nicht bearbeitet worden. Die NSDAP hatte zu diesem Zeitpunkt einen Aufnahmestopp erlassen, da nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten Millionen Deutsche in die Partei eintreten wollten. Dieser Aufnahmestopp wurde 1937 schrittweise wieder aufgehoben.

Der NSDAP-Ortsgruppenleiter erklärte über Sauvigny, „sein Verhältnis zur Partei ist kein schlechtes und er unterstützt sie nach Möglichkeit“. Man sei unter Parteimitgliedern aber der Ansicht, „dass eine jüngere und energischere Persönlichkeit für die Leitung der städtischen Geschäfte notwendig wäre“. Aus der Personalakte geht also tatsächlich hervor, dass es in der NSDAP und auch in der Verwaltung Stimmen gab, die einen anderen Bürgermeister in Brilon wollten.

Deutlich wird aber auch, dass Merz’ Behauptung über seine Familiengeschichte, sein Großvater sei „ohne Zutun“ Mitglied der NSDAP geworden, nicht zu halten ist. Am 1. Juli 1937 trat Sauvigny in den Ruhestand ein. „Nach der Machtübernahme habe er sich trotz seines vorgerückten Alters, entsprechend seiner nationalen Gesinnung sofort eingeschaltet und sein Amt stets im nationalsozialistischen Geiste verwaltet“, bescheinigte ihm zu seiner Verabschiedung der Landrat laut der Sauerländer Zeitung vom 2. Juli 1937.

Bricht Merz als Bundeskanzler sein Schweigen?

Bisher war Friedrich Merz nicht bereit, sich öffentlich mit der Vergangenheit seiner Familie auseinanderzusetzen. Darauf deutet auch ein Pressegespräch des CDU-Chefs mit ausländischen Korrespondenten im Jahr 2023 hin. Die Fragen der Reporter drehten sich schon damals um den Umgang der Union mit der AfD und um Lehren aus der deutschen Geschichte. Als ein Journalist der Nachrichtenagentur AP ihn auf den Nazi-Großvater ansprach, reagierte Merz beleidigt: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie entsprechende Vergleiche aus meiner Familie auch nicht heranziehen.“

Auf Dauer dürfte Merz als deutscher Bundeskanzler nicht daran festhalten können, dass er seinen Umgang mit der NS-Vergangenheit seines Großvaters zum Tabuthema erklärt – gerade auf internationalem Parkett bei Medienanfragen. Oder wenn er als deutscher Bundeskanzler am 80. Jahrestag des Kriegsendes über die deutsche Geschichte und die Lehren für heute spricht.

Die taz hat den frisch gewählten Bundeskanzler Friedrich Merz mit den neuen Erkenntnissen zu seinem Großvater aus dessen Personalakte und der NSDAP-Mitgliedskartei erneut konfrontiert. Eine Anfrage beim Bundespresseamt blieb am Mittwoch unbeantwortet.

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4 Kommentare

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  • Natürlich kann und darf er zu seinem Nazi-Opa schweigen. Er ist für ihn nicht verantwortlich, schon gar nicht im Nachhinein. Seine Verantwortung ist es, genau wie bei uns anderen Nachgeborenen auch, dafür Sorge zu tragen, dass künftig solche Leute wie sein Nazi-Opa nie wieder Macht über eine Gesellschaft bekommen.

  • Mir erschließt sich nicht, warum irgendjemand nicht die Vergangenheit seiner Familie anerkennen und akzeptieren kann.



    Im Fall Merz stellt sich die Frage, warum er nicht einfach sagt: „Ja, war so, dafür trage ich keinerlei Verantwortung, denn ich war nicht einmal geboren.“ Damit wäre die Sache seit 20 Jahren erledigt.



    Bei Herrn Merz scheint jedes Gespür zu fehlen…

  • Dass ein gestandener Kommunalpolitiker zwischen 1933 und 1937 NS-Organisationen und der Nazi-Partei beitrat, um seine Karriere fortsetzen zu können, belegt als solches noch keine Nazi-Gesinnung, sondern eher einen gewöhnlichen Opportunismus. Vielleicht sollten wir vorsichtiger sein mit dem Begriff "Nazi", der ja aktuell von wahren Faschisten übelst missbraucht wird.

  • Da ich Hr. Merz nicht mag, er allerdings unzweifelhaft kein Nazi ist, kann er zu dieser Angelegenheit schweigen oder sich äußern wie und solange er will. Können wir uns bitte auf die bevorstehende Politik konzentrieren?