Ex-Kanzler Olaf Scholz: Er wird als Zwischenfigur in die Geschichte eingehen
Olaf Scholz war Kanzler ohne Projekt. In einer Zeit entscheidender Fragen, hielt der SPD-Politiker meist nur ein Achselzucken parat.

W er war noch mal Olaf Scholz? Geschichte ist grausam, und Geschichtsschreibung ist es auch, und es wird in vielem unerklärlich bleiben, wie a) dieser Mann ohne Eigenschaften und auch ohne eigentlichen Körper entgegen aller arithmetischen Logik Bundeskanzler werden konnte und b) warum er die Chance nicht nutzte, als sie sich ihm bot.
Wie also kann man seinen eigenen Traum verschlafen? Olaf Scholz wird als Zwischenfigur in die Geschichte eingehen, eingequetscht in die Zeitenwenden. Und er wird sich selbst, denke ich, genauso enttäuscht haben wie die, die ihn gewählt hatten. Er war ein Kanzler ohne Projekt, der in einer Zeit entscheidender Fragen, die Projekte so dringend gebraucht hätte, um Demokratie und Gesellschaft mit einem Energie- und Visionsschub zu versorgen, meist nur ein Achselzucken parat hielt.
Wie kann man, fragte ich mich bei manchen Auftritten, arrogant sein und unsicher zugleich? Scholz havarierte dieses Land durch Post-Corona, Ukrainekrieg, 7. Oktober, Gaza und Trump, ohne dass wirklich klar wurde, wie sich seine Apathie zur Hysterie der Historie verhielt. Seine bevorzugte grammatikalische Konstruktion war das Sedativum. Diskurs war für ihn wie Daumenkino – etwas, das man macht, obwohl es keinen Spaß und auch keinen Sinn macht. Geblieben ist ein Land, das demokratisch unterzuckert ist.
Es war schwer zu sagen, was das Sozialdemokratische an Olaf Scholz war, außer dass er kein Grüner war, keiner von der FDP oder von der CDU und sicher auch kein Linker. Er versuchte, die Abwesenheit von Haltung zu einer Haltung zu machen – was gründlich schiefging, weil irgendeine Grundlage für Entscheidungen schon vorhanden sein muss, selbst wenn man Entscheidungen für überbewertet hält.
Wie Angela Merkel – nur schlechter
Wie also kann man Unentschiedenheit als Prinzipientreue verkaufen? Schon Angela Merkel, Kind des neoliberalen Zeitalters, ließ die Dinge so lange laufen, bis sich irgendeine Art von Evidenz einstellte, die sie als ihre eigene verkaufen konnte. Ihr Credo war, übernommen von Margaret Thatcher: There is no alternative. Wie soll man dann auch entscheiden?
Manchmal kamen Katastrophen dazu und halfen ihr ein wenig auf die Sprünge – Fukushima etwa oder Krisen wie der Syrienkrieg und die Geflüchteten –, aber im postpolitischen Modus gab sie den demokratischen Gestaltungsauftrag an Regierende weitgehend auf.
Scholz schloss sich da recht nahtlos an. Er schien schon Schwierigkeiten genug zu haben, die Machtverhältnisse innerhalb seines Kabinetts und seiner Koalition zu klären – so lange ließ er etwa die Debatte um das Heizungsgesetz ungeschützt laufen. Um wie viel schwerer wäre es ihm gefallen, die Machtverhältnisse im Land zu wirklichen Veränderungen zu nutzen, wenn er es nur gewollt hätte. Aber es schien fast, als ob er wusste, wie aussichtslos dieses Unterfangen wäre.
Er wollte lieber kein Held sein und es nicht mal versuchen – als ein tragischer Held, der alles riskiert und verloren hat. Die Wirklichkeit, die Scholz umgab, schien deshalb immer ein wenig verschwommen, sein Verhältnis zur Welt etwas abgefedert, höflich gesagt: distanziert. Man hätte meinen können, es interessiere ihn alles nicht sonderlich, wenn man nicht immer wieder gehört hätte, dass alles ganz anders sei.
Wie Scholz privat ist, spielt keine Rolle
Der wirkliche Scholz also. Auf den alle so gar nicht warteten, weil sie nicht wirklich gespannt waren, etwas über diesen Mann zu erfahren, den sie sich nie gewünscht hatten. Man hört das ja oft gerade, dass Politiker oder Politikerinnen „eigentlich ganz anders“ seien, wenn man sie privat kennenlerne. Aber auch das ist ein demokratisches Missverständnis. Politik soll ja öffentlich funktionieren, nicht privat.
Eine tiefe Leidenschaftslosigkeit bestimmte das Verhältnis der Wählerinnen und Wähler zum Bundeskanzler – und Scholz wusste das, er spürte das, glaube ich. In gewisser Weise schien es ihn auch nicht zu stören. Sein Politikstil ist der des schlauen Technokraten, der hinter den Kulissen Dinge tut, von denen er sicher ist, dass sie besser funktionieren, als es all die verstehen, die laut reden und hadern. Lasst mich mal machen. Sein wohl merkwürdigster Satz war: „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“
Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen immer genau das betonen, was sie nicht sind oder nicht können. Menschen, die besonders gern in Excel-Tabellen arbeiten, sind oft solche, die besonders wirr im Kopf sind. Menschen, die von sich sagen, dass sie besonders gern im Team arbeiten und alle Perspektiven zu Wort kommen lassen wollen, sind oft sture Einzelgänger, die am liebsten haben, dass alles so läuft, wie sie es wollen.

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Und nun also Scholz, der die Weltgeschichte zwischen zwei Aktendeckel packte, weil sie so besser handhabbar ist. Man nannte das Pragmatismus, weil das ein Wort ist, das die Ratlosigkeit überdeckt, dass jenseits von Führung oder Visionen eben ein Vakuum der Ideen klafft, das natürlich auch ein Kanzler nicht allein füllen kann. Aber er könnte es ja wenigstens sehen und ansprechen.
Nicht-Aufstand gegen nichts
Das verbindet Scholz mit Friedrich Merz, der seine Führungsschwäche – wie man sieht – oder auch seine Charakterschwäche gern als Pragmatismus verkauft. Aber auch seine Manöver, etwa die Sache mit dem Sondervermögen, sind letztlich ein Zeichen für eine Entpolitisierung der Politik, wie sie uns seit nunmehr Jahrzehnten begleitet. Es regieren Menschen, die eher reagieren. Es herrscht die Scheu davor, nach vorn zu schauen.
Olaf Scholz war kein Kanzler für eine Zwischenzeit. Dazu war er zu schmal. Es war Pech, dass die Geschichte mit voller Macht über das Land schwappte. Scholz hat alle mit runtergezogen; was gestern geschehen ist, das demokratische Systemversagen, der rätselhafte Nicht-Aufstand gegen nichts, ist auch sein Erbe.
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