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Ex-Kanzler Olaf ScholzEr wird als Zwischenfigur in die Geschichte eingehen

Gastkommentar von Georg Diez

Olaf Scholz war Kanzler ohne Projekt. In einer Zeit entscheidender Fragen, hielt der SPD-Politiker meist nur ein Achselzucken parat.

Da war er noch Kanzler: Olaf Scholz, nachdem Friedrich Merz den ersten Wahlgang im Deutschen Bundestg überraschend verlor Foto: Ebrahim Noroozi/ap

W er war noch mal Olaf Scholz? Geschichte ist grausam, und Geschichtsschreibung ist es auch, und es wird in vielem unerklärlich bleiben, wie a) dieser Mann ohne Eigenschaften und auch ohne eigentlichen Körper entgegen aller arithmetischen Logik Bundeskanzler werden konnte und b) warum er die Chance nicht nutzte, als sie sich ihm bot.

Wie also kann man seinen eigenen Traum verschlafen? Olaf Scholz wird als Zwischenfigur in die Geschichte eingehen, eingequetscht in die Zeitenwenden. Und er wird sich selbst, denke ich, genauso enttäuscht haben wie die, die ihn gewählt hatten. Er war ein Kanzler ohne Projekt, der in einer Zeit entscheidender Fragen, die Projekte so dringend gebraucht hätte, um Demokratie und Gesellschaft mit einem Energie- und Visionsschub zu versorgen, meist nur ein Achselzucken parat hielt.

Wie kann man, fragte ich mich bei manchen Auftritten, arrogant sein und unsicher zugleich? Scholz havarierte dieses Land durch Post-Corona, Ukrainekrieg, 7. Oktober, Gaza und Trump, ohne dass wirklich klar wurde, wie sich seine Apathie zur Hysterie der Historie verhielt. Seine bevorzugte grammatikalische Konstruktion war das Sedativum. Diskurs war für ihn wie Daumenkino – etwas, das man macht, obwohl es keinen Spaß und auch keinen Sinn macht. Geblieben ist ein Land, das demokratisch unterzuckert ist.

Es war schwer zu sagen, was das Sozialdemokratische an Olaf Scholz war, außer dass er kein Grüner war, keiner von der FDP oder von der CDU und sicher auch kein Linker. Er versuchte, die Abwesenheit von Haltung zu einer Haltung zu machen – was gründlich schiefging, weil irgendeine Grundlage für Entscheidungen schon vorhanden sein muss, selbst wenn man Entscheidungen für überbewertet hält.

Wie Angela Merkel – nur schlechter

Wie also kann man Unentschiedenheit als Prinzipientreue verkaufen? Schon Angela Merkel, Kind des neoliberalen Zeitalters, ließ die Dinge so lange laufen, bis sich irgendeine Art von Evidenz einstellte, die sie als ihre eigene verkaufen konnte. Ihr Credo war, übernommen von Margaret Thatcher: There is no alternative. Wie soll man dann auch entscheiden?

Manchmal kamen Katastrophen dazu und halfen ihr ein wenig auf die Sprünge – Fukushima etwa oder Krisen wie der Syrienkrieg und die Geflüchteten –, aber im postpolitischen Modus gab sie den demokratischen Gestaltungsauftrag an Regierende weitgehend auf.

Scholz schloss sich da recht nahtlos an. Er schien schon Schwierigkeiten genug zu haben, die Machtverhältnisse innerhalb seines Kabinetts und seiner Koalition zu klären – so lange ließ er etwa die Debatte um das Heizungsgesetz ungeschützt laufen. Um wie viel schwerer wäre es ihm gefallen, die Machtverhältnisse im Land zu wirklichen Veränderungen zu nutzen, wenn er es nur gewollt hätte. Aber es schien fast, als ob er wusste, wie aussichtslos dieses Unterfangen wäre.

Er wollte lieber kein Held sein und es nicht mal versuchen – als ein tragischer Held, der alles riskiert und verloren hat. Die Wirklichkeit, die Scholz umgab, schien deshalb immer ein wenig verschwommen, sein Verhältnis zur Welt etwas abgefedert, höflich gesagt: distanziert. Man hätte meinen können, es interessiere ihn alles nicht sonderlich, wenn man nicht immer wieder gehört hätte, dass alles ganz anders sei.

Wie Scholz privat ist, spielt keine Rolle

Der wirkliche Scholz also. Auf den alle so gar nicht warteten, weil sie nicht wirklich gespannt waren, etwas über diesen Mann zu erfahren, den sie sich nie gewünscht hatten. Man hört das ja oft gerade, dass Politiker oder Politikerinnen „eigentlich ganz anders“ seien, wenn man sie privat kennenlerne. Aber auch das ist ein demokratisches Missverständnis. Politik soll ja öffentlich funktio­nieren, nicht privat.

Eine tiefe Leidenschaftslosigkeit bestimmte das Verhältnis der Wählerinnen und Wähler zum Bundeskanzler – und Scholz wusste das, er spürte das, glaube ich. In gewisser Weise schien es ihn auch nicht zu stören. Sein Politikstil ist der des schlauen Technokraten, der hinter den Kulissen Dinge tut, von denen er sicher ist, dass sie besser funktionieren, als es all die verstehen, die laut reden und hadern. Lasst mich mal machen. Sein wohl merkwürdigster Satz war: „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“

Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen immer genau das betonen, was sie nicht sind oder nicht können. Menschen, die besonders gern in Excel-Tabellen arbeiten, sind oft solche, die besonders wirr im Kopf sind. Menschen, die von sich sagen, dass sie besonders gern im Team arbeiten und alle Perspektiven zu Wort kommen lassen wollen, sind oft sture Einzelgänger, die am liebsten haben, dass alles so läuft, wie sie es wollen.

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Und nun also Scholz, der die Weltgeschichte zwischen zwei Aktendeckel packte, weil sie so besser handhabbar ist. Man nannte das Pragmatismus, weil das ein Wort ist, das die Ratlosigkeit überdeckt, dass jenseits von Führung oder Visionen eben ein Vakuum der Ideen klafft, das natürlich auch ein Kanzler nicht allein füllen kann. Aber er könnte es ja wenigstens sehen und ansprechen.

Nicht-Aufstand gegen nichts

Das verbindet Scholz mit Friedrich Merz, der seine Führungsschwäche – wie man sieht – oder auch seine Charakterschwäche gern als Pragmatismus verkauft. Aber auch seine Manöver, etwa die Sache mit dem Sondervermögen, sind letztlich ein Zeichen für eine Entpolitisierung der Politik, wie sie uns seit nunmehr Jahrzehnten begleitet. Es regieren Menschen, die eher reagieren. Es herrscht die Scheu davor, nach vorn zu schauen.

Olaf Scholz war kein Kanzler für eine Zwischenzeit. Dazu war er zu schmal. Es war Pech, dass die Geschichte mit voller Macht über das Land schwappte. Scholz hat alle mit runtergezogen; was gestern geschehen ist, das demokratische Systemversagen, der rätselhafte Nicht-Aufstand gegen nichts, ist auch sein Erbe.

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13 Kommentare

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  • Ein sehr zeitgeistiger Kommentar. Vielleicht lassen wir mal etwas Zeit ins Land ziehen, bevor wir diese Episode bewerten.

    Im Übrigen: was hat das Komma in der Unterüberschrift verloren?

  • Absolut zutreffend und irgendwie macht es mich auch traurig, ob der verpassten Chancen, schade, es wäre viel mehr möglich gewesen.

  • Olaf Scholz wird nicht als Kanzler in die Geschichte eingehen, sondern wohl eher als der Mann mit der Cum-Ex Gedächtnislücke.

  • Ich bin Genossin und ich frage mich, ob die TAZ noch meine Zeitung ist. Ich bin SPD Mitglied und finde in der TAZ fast nur noch Häme über die SPD. Welche Richtung verfolgt Ihr eigentlich?

  • 1.. Scholz Alleinstellungsmerkmal: Ampelkanzler - mit dem Versuch



    soziale, umweltschützende und liberale Wirtschaftspolitik zusammen zu bringen.

    2.. Scholz wird als Zeitenwendekanzler in die Geschichte eingehen - was eine 180 Grad Wende in der von der SPD irsprünglich erfundenen Ostpolitik erforderte und Neuaufbau der Verteididigung.

    3.. 2021 Erhöhung des Mindestlohnes, erkämpft durch Gerichtsentscheid

    4..2022 bekundete Scholz seine Unterstützung für den ""European Green Deal""

    5.. Scholz & Habeck sicherten die Energieversorgung nachdem Putin den Gashahn abstellte - Weichenstellung für eine



    unabhängige Energieversorgung

    6..UN-Klimakonferenz 2023, Scholz forderte Klimaneutralität bis 2045.

    7.. Aufgrund seiner Richtlinienkompetenz entschied Scholz 2022 die Abschaltung des letzten deutschen Kernkraftwerkes -



    trotz Energiekrise.

    Alleinstellungsmerkmal von Scholz als Bundeskanzler:



    Absolute Krisenfestigkeit - siehe Ukrainekrieg, parallel Energiekrise, welche das Wirtschaftsmodel der Bundesrepublik abrupt beendete & Abkehr der USA als Partner.

    Man muss Scholz nicht mögen - aber fair sein fördert das politische Verständnis ungemein.

  • Cum-Ex, eine brilliante Verteidigungsministerin und die 100Mrd Euro Rede werden mir in Erinnerung bleiben. Ich schaue jetzt nach vorne und bin gespannt, was der Herr Merz so machen wird. Den 2. Wahlgang hat er schonmal als Alleinstellungsmerkmal.

  • Was für eine inhaltsleere Kritik!



    Statt sich mit den Inhalten von Olaf Scholz Kanzlerschaft zu befassen, wird versucht durch einen persönlichen Angriff Inhalte zu verschleiern.



    Die Reaktion auf den Ukrainekrieg war als erstes, die Kriegsflüchtlinge in Deutschland aufzunehmen und zu versorgen.



    Die organisatorischen Fehler der syrischen Flüchtlingskrise wurden nicht wiederholt.



    Statt dessen wurden die UkrainerInnen direkt in die Sozialsysteme eingegliedert .



    Als zweite Reaktion muss das Sondervermögen gelten, dass die Bundeswehr in einer Zeit einer militärischen Krise wieder handlungsfähig machte.



    Der Energiekrise wurde mit sozialer Unterstützung der BürgerInnen begegnet, "keiner musste frieren".



    Die Ampel hat den Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland besiegelt.



    Die Inflation wurde binnen eines Jahres nach den Kriegsfolgen wieder auf Normalmaß zurück geführt.



    Durch die Ausweitung des Kurzarbeitergelds wurde, trotz Krisen, die höchste Beschäftigung in der Bundesrepublik erreicht.



    Nach Jahrzehnten wurde der Doppelpass allgemein möglich.



    Die legale Zuwanderung wurde mithilfe einer neuen Gesetzgebung und Verträgen mit Partnerländern ermöglicht.



    Es ist viel passiert.

  • Hartes Urteil. Aber da ich mich an nichts erinnere, was er gemacht hat, wahrscheinlich zutreffend.

  • Er hätte ein herausragender Staatsmann werden können – einer, der in Zeiten der Krise Mut gezeigt und das Richtige getan hätte.



    Ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket hätte er mit seiner Richtlinienkompetenz durchsetzen können, die Schuldenbremse abschaffen, um mit Milliardeninvestitionen in Wirtschaft, Klimaschutz und Infrastruktur die Zukunft Deutschlands und Europas zu sichern.

    Doch stattdessen wird er nun als blasse Übergangsfigur in die Geschichte eingehen.

    Herr Altkanzler Scholz, ich danke Ihnen für Ihre stoische Amtszeit als treuer Verwalter des Status quo

    Und in diesem Sinne: BYE BYE BYE ✋🏻✋🏼✋🏿

  • ein hervorragender kommentar

  • Und wir, der Souverän, hatten und haben mit diesem politische Personal nichts zu tun? Wer auf diese Leute herab schaut, stellt sich selbst in Frage.

  • Die Brwertung finde ich dann doch etwas zu negativ. Scholz war ein wenig aus der Zeit gefallen, das stimmt. Er wollte Vertrauen aus dem Amt heraus. Er ist und war immer ein guter Analytiker und Pragmatiker. In einer anderen Zeit wäre er vielleicht mit seiner ruhigen hanseatischen Art ein beliebter Kanzler gewesen. Aber in diesr sehr hysterischen, Krisengeschüttelten Zeit hätte es eben einen großen Kommunikator gebraucht, und das ist er eben nicht.



    Sachlich hat seine Regierung in 3 Jahren mehr geschafft als die letzten beiden Regierungen unter Merkel zusammen. Obwohl er ja ironischerweise sogar Teil dessen war.



    Kann man in dieser Zeit regieren, ohne groß Medienkompatibel zu sein? Vermutlich nicht.

  • Ein sehr treffender Kommentar. Nur der Titel ist verfehlt: Das war keine "Zwischenfigur", das war eine Witzfigur. Die Blamage im Ausland hatte ein weit höheres Echo als im Inland. Wir alle hätten Besseres verdient, und bitter benötigt. Man fragt sich, wie so jemand Bundeskanzler werden konnte. schließlich kannte man ihn ja aus Hamburg, und das hätte genügen müssen.