Die gescheiterte Organspendereform: Typisch deutsche Stagnation

Es ist zu bedauern, dass die Widerspruchslösung nicht kommt. Allerdings hat Spahn ihre Folgen und Grenzen nicht pragmatisch genug dargestellt.

vier Ärzte im OP-Raum mit blauen Kitteln und Mundschutz

Nierentransplantation im Klinikum in Bremen Foto: Werner Krueper/imago

Es war ein trauriger Tag, der Donnerstag, als die doppelte Widerspruchslösung für die Organspende im Bundestag scheiterte – ein Gesetzentwurf, der tatsächlich einen Unterschied gemacht hätte für die auf Spenderorgane wartenden Schwerkranken in Deutschland. Aber, typisch deutsch, die Ideologisierungen waren zu stark, die Vorbehalte vor Veränderungen zu groß.

In der Debatte wurde die „Selbstbestimmung“ betont, die das gescheiterte Gesetz angeblich verletzen könnte. Schon krass, dass die Notwendigkeit, in Familien über die Haltung zu einer Organspende zu sprechen, gleich als Zumutung und Angriff auf die Selbstbestimmung gegeißelt wird.

In Wertedebatten ist man in Deutschland ja immer ziemlich groß; wenn es um die pragmatische Verminderung menschlichen Leids geht, hingegen oftmals gleichgültiger. Bemerkenswert auch der Hang zur Übertreibung: In den Debatten hatte man mitunter den Eindruck, hier ginge es um die bedingungslose Ausweidung von Toten gegen deren Willen. Die Tatsachen spielten dabei eine geringere Rolle, zum Beispiel, dass man sich mit der Widerspruchslösung gar nicht unbedingt in ein zen­tra­les Datenregister der Neinsager hätte eintragen lassen müssen, würde man eine Organspende ablehnen. Ein schriftlicher Widerspruch, ein Zettel im Portemonnaie, ein Hinweis an Angehörige oder Nahestehende hätte schon gereicht, so stand es im Gesetzentwurf.

Man kann den Abgeordneten um CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Mann Karl Lauterbach, die für die Widerspruchslösung kämpften, allerdings vorwerfen, dass sie die Ängste der GegnerInnen ihres Entwurfs zu wenig ernst genommen haben. Stattdessen argumentierten sie vor allem mit dem Leid der Schwerkranken, die auf Spenderorgane warten.

Man kann nur hoffen, dass sich als Spätfolge der Diskussion wenigstens die „Spendenkultur“ in Deutschland verbessert und dass die Krankenhäuser, personell und finanziell besser ausgestattet werden

Diese Argumentation aber erzeugt moralischen Druck, und der schafft Unbehagen und geht oft nach hinten los. Die archaischen Ängste vor leichtfertiger Organentnahme, vor einem Entscheidungszwang wurden zu wenig aufgegriffen und die Folgen und übrigens auch Grenzen der Widerspruchslösung nicht pragmatisch genug dargestellt.

Der nun verabschiedete Gesetzentwurf zu einer Entscheidungsregelung lässt im Grundsatz alles, wie es ist. Deutschland bleibt eines der wenigen EU-Länder ohne Widerspruchslösung. Man kann nur hoffen, dass sich als Spätfolge der Diskussion wenigstens die „Spendenkultur“ in Deutschland verbessert, dass sich mehr Menschen, auch im Gespräch mit Angehörigen, zur möglichen Organspende bekennen und entsprechende Ausweise mit sich führen, dass die Krankenhäuser, personell und finanziell besser ausgestattet werden, um mehr potenzielle Organspender medizinisch zu erkennen und zu melden. Das zumindest bleibt als Hoffnung nach diesem unerfreulichen Tag.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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