Die Russen und der Ukrainekrieg: Supermacht statt super Yacht
Putin genießt die Aufmerksamkeit seit Beginn des Ukrainekriegs. Reichsein allein war ihm zu langweilig. Der dumme Westen versteht es nur nicht.
Z u Beginn meiner literarischen Karriere in Deutschland kündigte nicht selten die eine oder andere Regionalzeitung augenzwinkernd meine Lesung mit dem Spruch „Die Russen kommen“ an. Damals in den Neunzigern hatte man vor Russen keine Angst, höchstens vor russischer Mafia, aber nicht vor russischer Armee.
Die Brandenburger geben oft ihren Hunden und sogar ihren Autos russische Namen. Mein Nachbar Werner hatte seinen Hund Jurij genannt, nach seinem Brieffreund, den er noch aus der sozialistischen Zeit kannte. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine traut sich Werner nicht mehr, seinen Hund in der Öffentlichkeit mit Namen zu rufen, weil gleich die ganze Straße nach ihm guckt.
Der andere Nachbar Karl nannte seine Lada Niva „Putin“, den Namen fand er lustig. Er ist mit dem Auto nach München gefahren, Enkelkinder besuchen. Die Enkel erzählten in der Schule, der Opa kam mit Putin aus Brandenburg zu Besuch, danach musste die ganze Schule beinahe evakuiert werden. Und überall, wo ich nun zur Lesung hinfahre, fragen die Menschen mich, was mit den Russen los sei, warum sie so an ihrem Putin hängen.
Den Umfragen zufolge wird der Präsident, je nachdem wie man die Frage stellt, von 70 bis 80 Prozent der Befragten unterstützt. Das Hauptproblem bei diesen Umfragen ist, dass nur sehr wenige Menschen daran teilnehmen. Dieses Problem ist in jedem Land bekannt, überall haben die Menschen Besseres vor, als Fragen von Fremden zu beantworten.
wurde 1967 in Moskau geboren und ist seit dem Jahr 1990 Berliner. Der Schriftsteller („Russendisko“, „Militärmusik“) lebt mit seiner Familie in Prenzlauer Berg.
Das entpolitisierte Volk
Doch die russische Bevölkerung hat in ihrer Abneigung gegen die Fragebögen einen Weltrekord aufgestellt. 95 Prozent der Befragten wollen die Fragen nicht beantworten. Das sind also 80 Prozent von 5 Prozent, die ihren Präsidenten unterstützen.
Warum schweigen die anderen? Das Land führt Krieg, es ist im Notzustand, jede kritische Meinung wird als feindliche Aktion, als Heimatverrat bewertet und kann mit bis zu 15 Jahren Knast bestraft werden. Der Bevölkerung in Russland ist jede Kontrolle über das Handeln der politischen Führung entglitten, es gibt weder freie Medien noch bürgerliche Institute, die ihnen Gehör verschaffen. Und wenn sie nichts wirklich ändern können, ziehen sie es vor, darüber zu schweigen.
Ein entpolitisiertes Volk, das ums Überleben kämpft. Die russische Wirtschaft, die der naive Westen zu schwächen, gar zu vernichten versucht, existiert nämlich nicht. Deswegen haben die Sanktionen auch keine Wirkung. Man kann nicht eine Wirtschaft kaputtmachen, die es nicht gibt. Das Geld in der Staatskasse kommt nicht aus der Wirtschaft, sondern direkt aus der Erde durch Verkauf von fossilen Rohstoffen, die als Abfallprodukte aus toten Pflanzen und Tieren von allein entstehen.
Das Geld kommt quasi für umsonst. Was der Staat damit macht, entscheidet allein der Präsident. Die Menschen sind auf sich selbst, auf ihre Gärten und kleine Jobs angewiesen, sie sind mit dem nackten Überleben beschäftigt. Das kennen sie von früher und sind daran gewöhnt.
Es hat nichts mit ihrem Leben zu tun
Russen auf der Straße zu fragen, was sie von der Politik des Kremls halten, ist das Gleiche, als wenn man in Deutschland Passanten fragen würde, was sie von der Regierung in Burkina Faso halten. Die meisten hierzulande wissen, dass es dort eine Regierung gibt. Was sie genau macht, muss man nicht wissen, es hat nichts mit unserem Leben zu tun.
Für die Russen ist der Kreml Burkina Faso. Es war schon vor dem Krieg so, nun bringt die Angst vor der Ausbreitung des Krieges den Westen dazu, eine große Taschenlampe auf Russland zu richten. Die Führung genießt die Aufmerksamkeit. Sie fühlt sich begehrt und gleichzeitig in ihrer Verachtung dem Westen gegenüber bestätigt.
Aus russischer Sicht ist der Westen dumm, er kann sich noch immer keinen Reim auf den Krieg in der Ukraine machen. Der Westen denkt rational und sucht immer nach Gewinn. Weiß Putin selbst, was er von der Ukraine will? Die Ziele des Angriffs wurden immer wieder neu definiert. Anfangs sollte die russischsprachige Bevölkerung geschützt werden, nun wurde diese Bevölkerung mit großer Mühe weggebombt.
Eine Zeit lang brachte Putin den Regierungswechsel in der Ukraine als Kriegsziel zur Sprache, dann wollte er die ganze Ukraine denazifizieren, später nur die Hälfte und jetzt gar nicht mehr. Die Nato sollte sich nicht erweitern, am nächsten Tag war die Nato plötzlich egal. Danach kam die schlaue Botschaft, er will Land gewinnen, um mit ukrainischem Territorium sein ohnehin größtes Land der Welt noch größer zu machen. Der Westen versteht das nicht.
Putins Lieblingsrolle als Weltenmacher
Was will er mit der kaputten, zerschossenen Ukraine? Ohne fossile Rohstoffe? Die neueste Expertise sagt, er will sich von der Welt abschotten, die Armee der Globalisierungsgegner anführen, dafür hatte er den Krieg begonnen, damit der Westen ihm den Rücken zeigt.
Laut seinen geheimdienstlichen Informationen ist der Westen nämlich am Ende, die Globalisierung ist gescheitert, liberale Demokratien müssen ihre Wähler mit Wohlstandsversprechen schmieren, wenn sie wieder gewählt werden wollen, und das macht sie schwächer als Diktaturen, die sich um nichts dergleichen scheren müssen. Putin gefällt sich in der Rolle des Weltenmachers. Reich sein, das hatte er schon, es war auf Dauer langweilig, „Supermacht statt super Yacht“ lautet die neue Parole.
Das Problem dabei ist, er wurde wieder von seinen Geheimdiensten falsch informiert. Der Westen ist nicht am Ende, Globalisierung ist nicht gescheitert, fossile Rohstoffe werden durch neue Technologien ersetzt und bleiben in der Erde, mit toten Pflanzen, Tieren und Diktatoren. Demokratie wird sich als fortschrittlicheres Modell weiterentwickeln, um die Menschen außerhalb der goldenen Milliarde mit in die Zukunft zu nehmen.
Demokratie kann man bloß nicht exportieren, sie ist kein Werkzeug zur Veränderung der Gesellschaft, sondern ein Produkt ihrer Entwicklung. Demokratien sind wie Gurken, manche reifen früher und die anderen später, man muss nur Geduld haben und zeitig gießen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen