Deutsches Entsetzen über Sylt-Video: Das Versagen liegt in der Mitte
Die Deutschen sind wieder gut geworden? Die AfD im Bundestag, anti-israelische Studierende oder eine rassistische Party auf Sylt stellen das infrage.
J unge Menschen ausgelassen am Feiern. Saltburn und Gossip Girl-Vibes. Doch diese Partygesellschaft tanzt auf der Terrasse des Pony in Kampen (Sylt). Es ist Pfingsten. Ein Video, das sie dort aufgenommen haben, war am Wochenende in etlichen Medien zu sehen. Die Zeilen des rechtsextremen Trends „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zur Melodie von Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“ reichten bis ins Kanzleramt.
Dies und den angedeuteten Hitlergruß sowie Hitlerbart kommentierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „eklig“. Der digitale Volksmob stürzt sich nach und nach auf die identifizierten „rich Kids“ aus dem Video. Dass das Genre „Eat the rich“ en vogue ist, spiegelt sich auch hier wider. Das Verhalten wird entweder vehement verurteilt oder relativiert – doch es fehlt ein Punkt in der Debatte.
Extrem rechtes Gedankengut ist zunehmend ein Teil der sogenannten Mitte der Gesellschaft geworden. Das belegt mitunter die „Mitte“-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem vergangenen Jahr. Die „Mitte der Gesellschaft“ in der Shoa-Witze und Hitler-Bildchen von der Schulklasse bis in den Polizei-Chat reichen, kann sich weder vom Antisemitismus noch vom Rassismus freisprechen.
Zeit für radikale Selbstkritik
Die beiden Ideologien sind fest in der postnazistischen Gesellschaft verankert, die sich selbst als „Erinnerungsweltmeister“ feiert. Zu oft hat sie das, im Sinne der Extremismustheorie, lediglich auf die politischen Ränder verwiesen. Das ist ein Fehler, der auch nicht mit der Forderung nach einem verpflichtenden Besuch zum nächstgelegenen Konzentrationslager wett gemacht werden kann.
Es ist an der Zeit für radikale Selbstkritik. Die Mehrheit in Deutschland glaubt, ihre Vorfahren hätten Jüdinnen*Juden während der Shoa geholfen. Dass die tatsächliche Anzahl der helfenden Deutschen im Promillebereich gelegen hat, stört das wiedergutgewordene Selbstbild nicht. In Zeiten, in der die Wirksamkeit der Erinnerungskultur durch die AfD im Bundestag, von anti-israelischen Studierenden an Universitäten oder eben in einem Club auf Sylt infrage gestellt wird, muss Deutschland sich fragen, wie glaubwürdig es den nächsten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begehen kann.
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