Der Spießer ist der andere: Solidarität mit Eigenheimbesitzern
Die Probleme von Hausbesitzern auf dem Land lassen viele Linke in der Stadt kalt. Dabei ist, wer ein Haus besitzt, noch lange nicht reich.
I rgendwo bei Tolstoi – ich glaube in der „Auferstehung“ – gibt es einen jungen Adligen, an den ich in letzter Zeit häufiger denken muss. Der ist wie gesagt jung und außerdem noch ein Grundeigentümer, der mit der Abschaffung des Grundeigentums sympathisiert. Die Details habe ich vergessen, aber ich erinnere mich noch gut an meine Überraschung darüber, wie vor rund 120 Jahren jemand seine Privilegien so sonderbar gegenwärtig hinterfragt hat. Und vor allem fühle ich mich auch persönlich betroffen davon, wie pubertär er dabei gezeichnet wird von einem Autor, der’s von der Sache her ja gar nicht anders sieht.
Adlig bin ich nun zwar nicht, Grundeigentümer hingegen schon. Inzwischen sogar mehrfach: Als ich aus der Großstadt raus aufs Land zog, habe ich mir dort ein Haus gekauft. Und gerade erst vergangene Woche habe ich den dritten Teil eines zweiten geerbt, weil nach dem Tod meines Vaters nun sämtliche Vorfahren hinfort und die überschaubaren Reste des familiären Hab und Guts bei mir und meinen Schwestern aufgelaufen sind. Reich macht mich das nicht, ich habe nur mehr zu tun als vorher.
Das mit dem Eigenheim ist in meiner Bubble schon politisch ein Reizthema, ganz sicher aber obendrein auch ein Stadt-Land-Problem: Die Solidarität urbaner Linker mit bis an den Hals verschuldeten Familiengründer:innen im Umland geht jedenfalls hart gegen null. Und wer aus der Kleinstadtsiedlung über existenzielle Krisen angesichts reihenweise implodierender Baufinanzierung klagt, kriegt immer noch höchstens Häme zu spüren, obwohl sich die Lage seit Monaten zuspitzt. So was gilt meinen Stadtfreund:innen als Luxusproblem – hier draußen allerdings sind die Eigentümer:innen im Durchschnitt sicher nicht wohlhabender als zur Miete wohnende Stadtmenschen.
Die Verhältnisse auf dem Land sind kompliziert und im Einzelfall bestimmt auch wirklich mal bourgeois. Als Faustregel empfiehlt sich aber trotzdem: Wer von Papas Geld Berliner oder Hamburger Mieten zahlen kann, sollte in Sachen Privilegien und Eigentum auf dem Land grundsätzlich erst mal die Klappe halten.
Offen bleibt allerdings die Frage, warum bauchlinke Ignoranz mich gerade in dieser Angelegenheit so wütend macht. Vielleicht weil mich das Gelaber sonst kaum betrifft? Oder liegt es doch daran, dass ich im Herzen schon auch selbst einen irrational heftigen Ekel gegenüber Grundeigentum hege und gegen Menschen, die davon leben, dass sie in fünfter Generation irgendwelches Land geerbt haben, mit dem andere tatsächlich etwas anfangen können und die ihnen darum ständig Pacht rüberschieben?
Denn natürlich ist das eine der vulgärsten Formen des Mitverdienens an fremder Arbeit. Auch wenn Marx das Ganze im Kapital ja doch fast liebenswert beschreibt als „einen Teil des produzierten Mehrwerts aus der Tasche des Kapitals in seine eigene hinüberzuführen“.
Aber egal: Ich mache mir jedenfalls Sorgen um meine verschuldete Nachbarschaft und ihre steigenden Zinsen und halte das auch für eine Frage dringend gebotener Solidarität statt nur ein bisschen Mitgefühl. Es ist jedenfalls ganz sicher zu kurz gedacht, den Kampf um bezahlbaren Wohnraum allein als Duell zwischen mittellosen Mieter:innen und freidrehenden Wohnungsgesellschaften zu begreifen. Wahrscheinlich rührt daher irgendwie auch mein Tolstoi-Unbehagen. Weil diese Scheinwidersprüche und Selbstzweifel ja gar nicht pubertäres Empfinden sind, sondern nach wie vor ungelöste Probleme des Klassenkampfs.
Also: Wer von der Sparkasse nicht reden will, soll auch von Vonovia schweigen? So ähnlich jedenfalls. Richtig catchy sind die Parolen der ländlichen Mittelschicht leider noch nicht, aber das kann kein Grund sein, sie der FDP zum Fraß vorzuwerfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“