Der Staat als Vorbild: Ungeheuer ohne Zähne

Ist der Staat ein schlechtes Vorbild, weil er die vom Bürger eingeforderte Grundsteuererklärung nun selbst verschludert? Kann sein, ist aber auch egal.

Eng bebaute Wohnsiedlung

Hier wohnen ungefähr 50 unfreiwillige Hilfs­ar­bei­te­r:in­nen des Finanzamts Foto: Martin Schutt/dpa

Es stimmt schon: Der Gedanke liegt nahe, dem Staat seine beim Grundsteuerdesaster gehörig verpatzte Vorbildfunktion unter die Nase zu reiben. Besonders klug ist es aber nicht. Denn es sieht höchstens ein bisschen witzig aus, wie Finanzministerien, -ämter und Kommunen private Grund­be­sit­ze­r:in­nen erst monatelang wegen der Grundsteuererklärungen auf Trab gehalten haben – um dann kurz vor Fristende im Januar für staatseigene Liegenschaften weiteren Aufschub auszuhandeln. Weil das alles viel zu kompliziert und aufwendig sei.

Das Land Bremen etwa hat gerade mal zwei Drittel eingereicht. Auch Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen hängen hinterher. Selbst der Bund als Vorbild der Vorbilder kriegt es nicht geregelt und fasst zurzeit die Abgabe im Herbst ins Auge: September, oder so. Mal gucken.

Wer’s nicht mitbekommen hat: Die Höhe der Grundsteuern soll neu berechnet werden, wofür allerlei Daten ins System müssen. Genauer gesagt: an anderer Stelle ins System, denn vorliegen tun sie längst: Grundstücksgrößen, Nutzflächen der Gebäude, Lage, Flurstück, Grundbuchblatt … das alles ist dem Staat durchaus bekannt, muss jetzt aber eben von einer Tabelle in die andere, wofür man – weil es wie gesagt nervt wie Sau – die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht nahm.

Vorstellen kann man sich das wie die Volkszählung in der Bibel, nur eben digital und etwas absurder, weil Volk und Quadratmeter eben längst durchgezählt waren. Das „Wie weiter“ hängt dann vom jeweiligen Land ab, dreht sich hier um „Bodenrichtwert“, dort ums „Wohnlagemodell“ – oder beispielsweise in Niedersachsen ums „Flächen-Lage-Modell“, was dem Auswürfeln vielleicht noch am nächsten kommt. Vielleicht auch nicht, ist ganz egal.

Und natürlich ist es hochgradig peinlich, dass der Staat beim eigenen Grund und Boden nicht in die Pötte kam. Aber „Vorbildfunktion“, wie sie unter Grund­ei­gen­tü­me­r:in­nen im Plausch am frisch vermessenen Gartenzaun heißt – und bisweilen auch in Redaktionskonferenzen der taz? Von wegen „ausgerechnet Dings müsste doch bums!“.

Ein ideeller Gesamtkindergärtner

Diese Vorstellung vom Staat als ideellen Gesamtkindergärtner überzeugt nicht und macht auch ein bisschen betroffen. Was ist nur geworden aus den Monstern alter Zeiten: dem Leviathan, wie Thomas Hobbes den absolutistischen Staat beschrieb – oder Behemoth, Franz Neumanns institutionalisiertes Chaos im faschistischen deutschen Unstaat. „Ein schlechtes Vorbild“ kann dagegen nur abstinken.

Der Staat spricht die Sprache der Gewalt, eine andere kennt er nicht – erst recht nicht die der Pädagogik. Andererseits passt es schon. Schließlich fällt auch die Gängelung säumiger Grund­­­ei­gen­­tü­me­r:in­nen tatsächlich verhältnismäßig harmlos aus. So hatte das Handelsblatt im Interesse seiner Kernklientel neulich mal nachgefragt, was nun eigentlich passiere, wenn wer die Frist verstreichen lasse. Die Antwort: Erstmal nichts. Ab Sommer gehen vielleicht Mahnungen raus, oder mal sehen.

Vielleicht ist der Leviabehemoth träge geworden. Sicher spielt auch eine Rolle, dass es ausnahmsweise die besitzende Klasse ist, nach der er hier die Klauen ausstreckt. Erst mal jedenfalls. Denn sollten die Zahlen je erfasst sein, geht’s ja ans Bezahlen, wofür natürlich die Mie­te­r:in­nen zuständig sein werden. Und dann dröhnt vielleicht wieder ein urtümlich-brachiales Brüllen aus der depperten Maske des schlechten Vorbilds.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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