Debatte um Historiker Achille Mbembe: Die Logik des Verdachts
Die aktuelle Debatte über den Denker Achille Mbembe zeigt, wie sehr die Anti-BDS-Beschlüsse der Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland schaden.
U m die aktuelle Debatte über den Denker Achille Mbembe zu verstehen, muss man an deren Anfang zurückgehen. Mbembe sollte bei der mittlerweile abgesagten Ruhrtriennale eine Rede halten. Doch dann forderte ein FDP-Hinterbänkler aus Nordrhein-Westfalen, ihn auszuladen. Sein Vorwurf: Mbembe unterstütze die BDS-Bewegung. Das Kürzel BDS steht für „Boykott, Investitionsabzug, Sanktionen“ und ist eine Kampagne, die Israel unter Druck setzen will, die Besetzung zu beenden und Palästinensern mehr Rechte zu gewähren. Zu ihren Unterstützern zählen Prominente wie Desmond Tutu, Naomi Klein, Roger Waters und Judith Butler. Kritiker halten sie dagegen für „antisemitisch“. Die israelische Regierung hat BDS sogar zum Staatsfeind Nummer eins erklärt und drängt ihre Verbündeten, es ihr gleichzutun – mit wachsendem Erfolg.
In Deutschland haben zuletzt der Bundestag und die Hochschulrektorenkonferenz die BDS-Bewegung geächtet,. In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2018 einen Parlamentsbeschluss, BDS-Unterstützern keine Bühne zu geben. Städte wie Frankfurt am Main und München haben Raumverbote verhängt. Berlins SPD-Innensenator Andreas Geisel möchte BDS sogar vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Das ist ziemlich viel Aufwand für eine Bewegung, die in Deutschland kaum ein paar Dutzend Köpfe zählt. Zum Vergleich: Die rechtsradikale Pegida-Bewegung oder Hassportale wie PI-News wurden nie vom Verfassungsschutz beobachtet.
Für die Diskurswächter sind die Anti-BDS-Beschlüsse ein Fest: Es reicht schon, jemandem eine diffuse „Nähe“ zur BDS-Bewegung zu unterstellen, dann prüfen Behörden und Politiker, was an den Vorwürfen dran ist. Die Beweislast liegt bei den Beschuldigten: Sie müssen den Verdacht aus der Welt räumen. Den Verleumdern dagegen reicht es in der Regel, auf fragwürdige Kontakte oder angreifbare Äußerungen verweisen zu können. „Ein Klima des Verdachts, der Verunsicherung und Denunziation“ sei dadurch entstanden, beklagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Der Publizist Micha Brumlik spricht von einem „israelbezogenen McCarthyismus“.
Die BDS-Beschlüsse haben Folgen. Jede Akademie und jedes Festival, jedes Theater, jede Universität und jeder kleine Verein, der öffentliche Gelder erhält, muss nun im Zweifel nachweisen können, keinen Israelboykott zu unterstützen. Verantwortliche müssen schon im Vorfeld jeder Veranstaltung ihre Gäste überprüfen, um kein Risiko einzugehen. Unterlassen sie es, droht ihnen das, was der Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp widerfahren ist: Weil sie nicht alle Schriften und Äußerungen von Achille Mbembe kannte, bevor sie ihn einlud, heißt es nun, sie sei vertrauensselig und naiv gewesen. Das schüchtert ein.
Was heißt „Unterstützer“?
Die Anti-BDS-Beschlüsse sind vage formuliert und die Rechtslage ist unklar, was der Willkür Tür und Tor öffnet. Was heißt etwa „Unterstützer“ bei einer Bewegung, die keine eingeschriebenen Mitglieder hat? Sind damit auch Menschen gemeint, die ein Raumverbot für BDS-Anhänger ablehnen, ohne deren Ziele zu teilen? Der Deutsche Bundestag hat zudem jeden Boykott – auch von Waren aus den besetzen Gebieten, die nach EU-Recht völkerrechtswidrig sind (!) – unter Antisemitismusverdacht gestellt. Das hat den Spielraum für alle Kritiker der israelischen Politik eingeengt – sogar für linke Juden und Israelis, die mit BDS gar nichts zu tun haben, von Palästinensern ganz zu schweigen.
Dutzende von Veranstaltungen wurden in den letzten Jahren kurzfristig abgesagt, weil plötzlich der Vorwurf der „BDS-Nähe“ aufkam. Der Schriftstellerin Kamila Shamsie wurde deswegen 2019 der Nelly-Sachs-Preis abgesprochen, die Stadt Aachen zog sich von ihrem Kunstpreis für den Künstler Walid Raad zurück. Der US-Rapper Talib Kweli musste alle seine Deutschlandkonzerte absagen. Ein Jahr zuvor wurde in Düsseldorf eine große Ausstellung, die den Allroundkünstler Brian Eno feiern sollte, gestrichen und der Musiker ausgeladen. 2017 kippte die Evangelische Akademie Tutzing in letzter Minute eine ganze Tagung mit israelisch-palästinensischen Friedensgruppen. Das waren nur die prominentesten Fälle: Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Und es wird noch verrückter: Der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, trat im vergangenen Jahr zurück, nachdem ein Tweet (!) seines Hauses, in dem es um BDS ging, den Zentralrat der Juden empörte. Zuvor hatte Israels Premier Netanjahu persönlich gefordert, dem Museum den Geldhahn zuzudrehen, weil es angeblich an „antiisraelischen“ Umtrieben beteiligt sei. Der Zentralrat forderte nun sogar den Rücktritt der Festival-Intendantin Stefanie Carp, nur weil sie es gewagt hatte, Mbembe einzuladen.
Erstaunlicherweise stößt diese ausufernde „Cancel Culture“ bisher kaum auf Protest. Im Gegenteil: Statt sich mit Mbembe und Carp zu solidarisieren und die Kunst- und Meinungsfreiheit zu verteidigen, sind manche Feuilletonisten in ein regelrechtes Jagdfieber verfallen. Sie durchforsten Mbembes Werke nach verdächtigen Stellen und betätigen sich eifrig als Zuträger der Anklage. Zur Forderung nach einem Auftrittsverbot schweigen sie hingegen.
Gängelung von Kunst und Kultur
Im Ausland ist man da sensibler. Hunderte Künstler und Intellektuelle haben den BDS-Beschluss des Bundestags kritisiert oder sich mit Mbembe solidarisiert, darunter viele linke Juden und Israelis. Gerade erst haben 400 weitere Künstler und Kuratoren, auch Kamila Shamsie und Achille Mbembe, einen offenen Brief verfasst, in dem sie die Gängelung von Kunst und Kultur in Deutschland kritisieren. Sie wollen sich nicht mehr an Berufungsgremien und Jurys beteiligen, solange dort Gesinnungsschnüffelei herrscht.
Deutschlands Kulturleben droht durch die Anti-BDS-Hysterie zu verarmen. Hiesige Intellektuelle und Künstler sollten dagegen endlich klar Stellung beziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid