Debatte über Antisemitismus: Rückendeckung für Mbembe
Der umstrittene Philosoph Achille Mbembe bekommt Unterstützung: Intellektuelle beziehen Stellung und fordern die Absetzung Felix Kleins.
„Wir halten Herrn Kleins Versuch, Prof. Mbembe als Antisemiten hinzustellen, für unbegründet“, heißt es in dem ersten Schreiben, das großteils von Lehrenden an israelischen und US-amerikanischen Universitäten unterschrieben ist, darunter die SoziologInnen Eva Illouz und Moshe Zuckermann sowie der Talmud-Gelehrte Daniel Boyarin.
„Abgesehen von dem persönlichen und beruflichen Schaden, der Prof. Mbembe zugefügt worden ist, hat Herr Klein dem dringenden Kampf gegen echten Antisemitismus einen schlechten Dienst erwiesen und die Integrität seines öffentlichen Amtes beeinträchtigt“, heißt es in dem an Bundesinnenminister Horst Seehofer gerichteten Schreiben. In Mbembes umstrittenen Passagen über die NS-Zeit sehen sie weder eine Verharmlosung des Holocausts noch Antisemitismus.
Um Mbembe, der die Eröffnungsrede der mittlerweile abgesagten Ruhrtriennale halten sollte, war eine Debatte ausgebrochen, die durch Aussagen Kleins angestoßen wurde. Der Antisemitismusbeauftragte hatte Mbembe im April vorgeworfen, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen und den Holocaust zu relativieren. Von der FAZ um eine Untermauerung seiner Vorwürfe gebeten, verwies Klein lediglich auf ein Schreiben des kulturpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Lorenz Deutsch.
„Marginalisierung von nichtweißen Stimmen“
Mbembe, einer der bedeutendsten Intellektuellen des afrikanischen Kontinents und einflussreicher Theoretiker des Postkolonialismus, erkennt in der israelischen Politik in den palästinensischen Gebieten eine „koloniale Besatzung“. In einem umstrittenen Text hatte er Vergleiche gezogen zwischen dem südafrikanischen Apartheidregime und der israelischen Politik sowie zwischen der Apartheid in Südafrika und dem Holocaust.
Auf diese Vergleiche Bezug nehmend, sprechen sich die AutorInnen des an Seehofer adressierten Briefes gegen ein „Verbot von Analogien in der Debatte über den Holocaust“ aus. Dies sei legitim und „vollkommen üblich in der Holocaust- und Genozid-Forschung“.
In der Kritik an Mbembe sehen sie vielmehr eine „Indienstnahme des Antisemitismus gegen Kritiker der israelischen Regierung (...), die von ihrer Redefreiheit (...) Gebrauch machen, um gegen Israels Verletzungen der Grundrechte der Palästinenser zu protestieren“. Dass Klein diesen Trend anführe, der zur „Marginalisierung von nichtweißen Stimmen und Minderheiten in Deutschland beiträgt“, sei eine Schande.
Missbrauch des Begriffs Antisemitismus
In einem zweiten Schreiben, das unter anderem von der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, dem Publizisten Micha Brumlik und dem Antisemitismusforscher Wolfgang Benz unterzeichnet ist, heißt es ebenfalls, es sei „falsch“, Mbembe eine Verharmlosung der Schoah zu bescheinigen. „Historische Vergleiche, die ja dazu dienen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ereignissen, Diskursen und Prozessen herauszuarbeiten, sind nötig und legitim.“
Mbembe werde vielmehr wegen seiner Positionen zur israelischen Siedlungspolitik angegriffen. Die UnterzeichnerInnen sprechen von einer „Kampagne“, die dazu diene, Mbembe zu delegitimieren, sowie von einer „missbräuchlichen Verwendung“ des Antisemitismusbegriffs. „Als Wissenschaftler*innen lehnen wir diese Art von Kampagnen ab, die Personen (...) ohne Beweise, unter Zuhilfenahme manipulativ verzerrter Zitate und Inhalte desavouieren sollen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier