Debatte um Historiker Achille Mbembe: Die postkoloniale Schablone

Zur Diskussion über Achille Mbembe gehören auch die postkolonialen Studien selbst. Sie sind Teil des Problems, selbst beim Thema Antisemitismus.

Fotogalerie mit Gesichtern von Holocaustopfern in Yad Vashem.

Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gilt der Erinnerung an den Holocaust​ Foto: Ronen Zvulun

In der Debatte über Achille Mbembe scheinen inzwischen die relevanten Argumente vorgebracht worden zu sein. Die öffentliche Debatte über die Probleme des Diskurses der postkolonialen Studien (PoCo) hingegen steht erst am Anfang. Wer solche Probleme diagnostiziert, dem wird von Fans oder Vertretern dieser Strömung häufig mit kollektiv-narzisstischer Kränkung und entsprechenden Abwehrstrategien begegnet.

Die bedenklichste Variante dieser Abwehrstrategien wird gerade von Mbembe selbst praktiziert: die totalisierte Verdachtshermeneutik in Gestalt des Rassismusvorwurfs. Diese Ersetzung von Argumenten durch Verweise auf Herkunft und Identität – und sei es die eigene – ist ein Musterbeispiel für die schablonenhafte Verwendung des Orientalismusmotivs seitens prominenter Vertreter des PoCo-Diskurses: Mbembe stilisiert sich zum Opfer einer Kampagne, die „fragile Stimmen“ der Unterdrückten zum Verstummen bringen wolle.

Jede Kritik wird als „Othering“ delegitimiert, das heißt als bloß projektive, rassistische Abwehr verleugneter Selbstanteile und Probleme der eigenen Gesellschaft durch Kon­struktion eines minderwertigen Anderen. Dass man eine fragile Stimme sei, wenn man weltweit Universitäten, Stiftungen, renommierte Verlage und Medien für die Verbreitung der eigenen Positionen in Anspruch nehmen kann, ist eine steile These.

Noch fragwürdiger ist es, Kritikern ohne jeden Beleg ein rassistisches Motiv anzu­dichten. Dieser Debattenstil ist aber kein Zufall, wenn man sich die theoretischen Grundlagen ­vieler PoCo-Theoretikerinnen und Theoretiker anschaut: die Schriften Nietzsches und Foucaults. Es ist genau die Hermeneutik des Verdachts, die dort zum methodischen Prinzip erhoben wurde.

Kult der Komplexität

„Man interpretiert nicht, was im Bezeichneten ist“, schreibt Michel Foucault zustimmend, „sondern fragt letztlich, von wem die Interpretation stammt. Das Prinzip der Interpretation ist nichts anderes als der Interpret.“ Dass der Interpret bei Foucault dann lediglich der Knotenpunkt eines anonymen Machtgeschehens und institu­tio­neller Praktiken privilegierten Sprechens ist, ist in diesem Fall zweitrangig. Immer wird Geltung auf Genesis, wird Wahrheit auf die Herkunft des Gesagten reduziert.

Sodann steht der Vorwurf der Pauschalisierung im Raum, oder man versucht, wie Peter Ullrich in der taz, mit einem inhaltsleeren Gestus der Ausgewogenheit die „eigentliche Wissenschaft“ der PoCo-Studien von „vereinfachenden aktivistischen Aneignungen“ zu trennen. Natürlich gibt es auch innerhalb der PoCo-Studien Kontroversen und theo­re­tische Ambivalenzen, zum Beispiel bei der Frage von Homogenität oder Hybridität von Kulturen, einem Political Talk oder Culture Talk über so­ziale Phänomene.

Es wäre dennoch abenteuerlich, zu behaupten, es gäbe bei einer enormen Anzahl prominenter Vertreter des Faches, von Edward Said bis Judith Butler, von Gayatri Spivak bis Mahmood Mamdani, von Iman Attia bis Étienne Balibar, keine massiven Probleme bei der theoretischen Bestimmung und politischen Bewertung des Antisemitismus, des Holocaust und Israels.

Im Gegenteil findet sich hier ein systematischer Zusammenhang zwischen begrifflicher Einebnung der Spezifik des Antisemitismus, der Relativierung der Schoah und einer Dämonisierung Israels. Wenn Ullrich diagnostiziert, die „Forschung zu Rassismus und Antisemitismus findet noch überwiegend voneinander isoliert statt“, so ist das nicht zutreffend.

Denn eine postkoloniale Perspektive auf Judentum und Antisemitismus ist keineswegs ein Randphänomen. Und gerade dort, wo diese Themen explizit innerhalb dieses „Framework“ studiert werden: Zum Beispiel bei Gil Anidjar, Michael Rothberg, Santiago Slabodsky oder Abigail Bakan finden sich häufig die wissenschaftlich fragwürdigsten Ergebnisse, die regelmäßig in eine ebenso fragwürdige „Israelkritik“ münden.

Ein systematisches Problem

Um es vereinfacht zu sagen: Ein am Modell des europäischen Kolonialismus gebildeter Begriff von Rassismus und „Othering“ wird, ohne Rücksicht auf den zu erforschenden Gegenstand, als weltanschauliche Schablone verwendet. Das führt zunächst dazu, den Antisemitismus notorisch auf eine Ebene mit dem Rassismus gegenüber Schwarzen oder Arabern zu stellen.

Bei den Behauptungen, Juden seien im Antisemitismus als „less than white“ (Bakan) behandelt, als antizivilisatorische „Barbaren“ (Slabodsky) diskriminiert oder in Auschwitz gar als „Muslime“ ermordet worden (Anidjar), geht die Spezifik der modernen Judenfeindlichkeit verloren, die in den Juden ja gerade die Inkarnation von Hypermodernität, Abstraktheit und anonymen konflikthaften Dynamiken des Kapitalismus sieht.

Die These, die aschkenasischen Juden seien nach dem Holocaust „white by permission“ geworden (Bakan) und selbst zur „imperialen Gestalt“ mutiert, kann sich dann zwanglos in das Stereotyp vom privilegierten Juden einfügen, gegen den der Antisemit schon immer konformistisch rebellierte.

Wer darauf hinweist, dass Antisemitismus ein sehr spezifischer Hass ist und dabei keineswegs nur noch bei Nazis oder neuen Rechten anzutreffen sei, wird ebenso verschwörungstheoretisch wie aggressiv als Vertreter einer „Holocaust-Industrie“ identifiziert, die zudem den Blick auf europäische Verbrechen im „Trikont“ (­Afrika, Asien und Lateinamerika) ­verstelle.

Spezifik des Holocaust

Wer nun keinen adäquaten Begriff von Antisemitismus besitzt, kann auch keinen von der Spezifik des Holocaust entwickeln. Und so wird dieser allzu häufig lediglich als innereuropäisches Kolonialverbrechen interpretiert. Zu diesem Zweck wird die Schoah systematisch vom erlösungsantisemitischen Totalvernichtungsmotiv entkoppelt und in eine Kontinuität von Versklavung und kolonialem Völkermord aufgelöst.

Die Zahl der zustimmenden Erwähnungen der Holocaust-Relativierer W.E.B. Du Bois und Aimé Césaire ist in PoCo-Beiträgen dabei Legion. Wer keinen Begriff von der Spezifik des Holocaust und der Persistenz des Antisemitismus hat, kann schließlich keine Sensibilität für die Notwendigkeit Israels als Selbstschutzinstanz der Juden entwickeln.

Die Dämonisierung Israels allein schon durch die atemberaubende Ansammlung von Halbwahrheiten, mit denen etwa in den Texten Abigail Bakans oder Judith Butlers gearbeitet wird, gehört weltweit zum guten Ton angesehener Akademikerinnen und Akademiker dieser Strömung – selbstverständlich immer mit humanem Anstrich und einer Rhetorik der Gewaltlosigkeit, in der „nur“ die antisemitische Bedrohung Israels seitens der Hamas, der Hisbollah oder des Mullah-Regimes ignoriert wird. Mitunter wird Israel ein pathologischer „Samson-“ oder „Suicide Complex“ ­(Anidjar) attestiert, während man von realen Selbstmordattentätern lieber schweigt oder sie gar verklärt, wie in den Schriften Jasbir Puars.

Damit sind wir beim letzten Punkt: der De-Thematisierung des Antisemitismus im politischen Islam und im arabischen Nationalismus. Hier schlägt die pauschalisierende Verwendung des Orientalismuskonzepts voll durch. Wer vom Antisemitismus der „People of Color“ spricht, kann nur von einem bösartigen Bemächtigungswillen getrieben sein, so der Tenor.

Empirische Überprüfungen sind entweder Fehlanzeige, oder man nimmt die Marginalisierten und „peripheren Akteure“ schlicht nicht ernst, wenn diese gegen Juden hetzen und reli­giöse oder nationale Überlegenheit für sich beanspruchen. Den Subalternen zuzuhören ist nicht die Sache dieser kultursensiblen Rassismuskritik.

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