Debatte um Achille Mbembe: Schiefe Optik
Eine ernsthafte Beschäftigung mit BDS würde wenig Spielraum für eine Verteidigung Achille Mbembes lassen.
W ürde man zur Causa Achille Mbembe nur den kürzlich in dieser Zeitung erschienenen Beitrag von Daniel Bax kennen, man müsste sich fürchten: Eine Phalanx aus „Diskurswächtern“ habe sich zusammengetan, um einem kritischen Wissenschaftler den Mund zu verbieten. Die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Und all das nur, weil sich Mbembe kritisch über die israelische Politik geäußert und sich im Dunstkreis der harmlosen Friedensinitiative Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) bewegt habe.
Bevor es hier um das geht, was Mbembe gesagt hat, soll hier kurz vorweg erörtert werden, was BDS fordert. Denn erstaunlich an dieser Debatte ist, dass die Freunde des kamerunischen Historikers hartnäckig über die Inhalte und Positionen von BDS schweigen. Nicht zufällig, denn eine ernsthafte Beschäftigung mit BDS würde wenig Spielraum für eine Verteidigung Mbembes lassen.
Dass es sich bei BDS nicht um eine harmlose Ansammlung von Friedensaktivisten handelt, die für die Rechte der Palästinenser eintreten, macht ein Blick auf ihre zentralen Forderungen klar: Die erste ist, dass die „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer“ abgerissen werden müsse. BDS lässt bewusst offen, was mit „arabischem Land“ gemeint ist. Die deutschen BDS-Gruppen haben diesen Punkt dahin gehend präzisiert, dass damit die von Israel im Sechstagekrieg eroberten Gebiete gemeint sind, was sie allerdings nicht davon abgehalten hat, den Aufruf mit der ursprünglichen Formulierung zu unterzeichnen. Es ist davon auszugehen, dass mit „arabischem Land“ auch Tel Aviv und Haifa gemeint sind – was bliebe dann übrig vom jüdischen Staat?
Die zweite Forderung ist die Gleichbehandlung israelischer Araber. An dieser Stelle wird Israel regelmäßig „Apartheid“ vorgeworfen. Dazu ist anzumerken, dass alle Israelis, auch die arabische Minderheit, in Israel die gleichen unveräußerlichen Grundrechte besitzen. Haben arabische Israelis trotzdem mit Diskriminierungen und Benachteiligungen zu kämpfen? Ganz gewiss, so wie Minderheiten in jeder anderen westlichen Demokratie auch. Wer hier aber allen Ernstes von „Apartheid“ spricht, hat offensichtlich keine Ahnung von Begriff und System der Apartheid, verhöhnt ihre Opfer und offenbart ebenso eine eklatante Unkenntnis der israelischen Gesellschaft.
Die letzte zentrale Forderung von BDS ist das uneingeschränkte Rückkehrrecht der palästinensischen „Flüchtlinge“. Der Begriff „palästinensische Flüchtlinge“ bezieht sich – anders als bei anderen Flüchtlingsgruppen – nicht nur auf die Geflohenen selbst, sondern auch auf deren Nachkommen unabhängig von der realen Lebenssituation, in der sie sich befinden. In letzter Konsequenz verbirgt sich auch dahinter ein Vernichtungswunsch in Bezug auf den jüdischen Staat, würde eine „Rückkehr“ von Millionen Palästinensern in das israelische Kernland doch das Ende Israels als jüdischer Staat und als Schutzort für Juden bedeuten.
Absurd, dass Bax nun ausgerechnet Roger Waters als Gewährsmann für die Honorigkeit von BDS anführt. Dieser präsentiert bei seinen Auftritten schon mal ein aufblasbares Schwein mit aufgedrucktem Davidstern und hat erst kürzlich in einem Song zur Zerstörung Israels aufgerufen.
Wer also nun unter dem Label BDS agiert, der macht sich, gewollt oder nicht, die oben dargestellten Forderungen zu eigen, denn es gibt nur diese eine BDS-Kampagne. Auch ist es nicht so, dass diese zentralen Positionen von BDS schwer zugängliches Expertenwissen wären. Ganz im Gegenteil kann sie jeder auf den einschlägigen Internetseiten nachlesen, auch Achille Mbembe.
Insofern kann Mbembe auch nicht behaupten, nicht gewusst zu haben, was er dort unterstützt. Und er hat es nicht bei verbaler Unterstützung belassen. Vielmehr hat er, wie erst kürzlich bekannt wurde, für die Ausladung einer israelischen Wissenschaftlerin bei einer Konferenz gesorgt, nur weil sie Israelin ist, eine Petition unterschrieben, die einen akademischen Boykott Israels forderte, und 2015 ein Vorwort zu einem Buch verfasst, dessen Erlös der Organisation The Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel zugutekam, die zu den Gründungsmitgliedern von BDS gehört. Dafür, dass er nach wie vor behauptet, keinerlei Beziehungen zu BDS zu haben, sind das überraschend viele Überschneidungen. Erhellend ist auch, was er in dem erwähnten Vorwort schrieb. So bezeichnet er den israelisch-palästinensischen Konflikt als größten „moralischen Skandal des 21. Jahrhunderts“. Schon diese schiefe Optik wirft Fragen auf.
ist promovierter Politik- und Orientwissenschaftler und seit September 2019 Acting Director des American Jewish Committee (AJC) Berlin.
Hat Mbembe noch nie vom Bürgerkrieg in Syrien gehört? Oder vom Bürgerkrieg im Jemen und der dort anhaltenden Hungersnot? Und um weitaus dramatischere Konflikte zu finden, muss sich Mbembe nicht mal mit dem Nahen Osten beschäftigen. Dem Hochschullehrer in Südafrika sollte ein Blick über die Grenze nach Simbabwe genügen, wo Robert Mugabe über Jahrzehnte grausam geherrscht hat. Und was hat der Historiker zu der humanitären und ökologischen Katastrophe am Tschadsee zu sagen? Wo bleibt die moralische Entrüstung über die misogynen Faschisten von Boko Haram? Zu alldem hat er sich wenig oder nicht geäußert. Nur der israelisch-palästinensische Konflikt erregt offenbar so sehr Mbembes Zorn, dass er fordert, Israel „global zu isolieren“. Es ist nicht bekannt, dass er so etwas in anderen Fällen gefordert hätte. Das sagt mehr über ihn aus als über den Konflikt.
Und natürlich kann Mbembe sich auch hierzulande nach wie vor jederzeit kritisch über die israelische Politik äußern. Niemand verbietet ihm die Einreise oder beschneidet sein Recht auf freie Meinungsäußerung. Worauf es allerdings kein Grundrecht gibt, ist, mit solch antizionistischen Positionen eine durch Steuergelder geförderte Bühne zu bekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt