Debatte über Rassismus: Gefährliche Wendung
Selbst Liberale und Linke sind nicht mehr davor gefeit, als Rassisten gebrandmarkt zu werden. Das ist eine neuartige Maßlosigkeit.
M enschen mit Migrationshintergrund melden sich zu Wort. Sie sind gebildet, wortgewandt. Sie wollen den Rassismus anprangern, nicht mehr nur den Rassismus, der von faschistischen Parteien unverblümt propagiert wird; auch nicht den, der noch in den Gesetzen und Institutionen steckt. Sie wollen ihn aus den entlegensten Ecken der Sprache, Kultur, Erinnerung herauszerren. Sie initiieren #MeTwo-Debatten.
Seit einiger Zeit wird in Deutschland und der Welt heftig über Rassismus diskutiert. Die Debatte kann dabei, wie einige Indizien andeuten, auch eine gefährliche Wendung nehmen. Die Rassismuskritik führt dann nicht mehr zu neuer Solidarität, sondern dient dem Zelebrieren eines affirmierten Opferstatus und droht zur Selbstbestätigung auszuarten.
Einige Entwicklungen deuten durchaus auf diese Richtung, wenn auch nicht klar ist, wie wirksam sie sind. Mit einem quasireligiösen Furor will eine neue Generation People of Color jede auch noch so verborgene rassistische Regung in der Seele ausrotten. Selbst die Liberalen, gar die Linken, die immer schon ein sicherer Hafen für die Fremden im Lande waren, sind nicht mehr davor gefeit, als Rassisten gebrandmarkt zu werden.
Kürzlich sagte in einem Spiegel-Interview die Erziehungswissenschaftlerin DiAngelo, dass sich „mit Liberalen am schwersten reden“ lasse. Sie würden nicht akzeptieren, dass sie rassistisch sind. Rassismus habe nichts mit Intentionen zu tun, heißt es. Er sei bereits in die Strukturen eingebaut. Wer nicht Schwarz/PoC ist (und also automatisch „weiß“), ist demnach unvermeidlich ein Rassist aufgrund seiner privilegierten Geburt.
Levent Tezcan ist geboren in Havza, einer anatolischen Kleinstadt. Er kam 1988 als politischer Flüchtling nach Deutschland. Er ist Professor am Institut für Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zuvor studierte er Politikwissenschaft in Ankara und Sozialwissenschaft in Bremen.
Gewappnet mit dem moralischen Panzer des Minderheitenstatus, sind diese neuen Minderheitsvertreter immer schon im Recht, sprechen sie doch aus Diskriminierungserfahrung. Diskriminierungswahrnehmung, diese scheinbar unbestreitbare Erfahrung, stattet ihre Sprecher gleich mit dem moralischen Anspruch aus, bereits dadurch im Besitz der Wahrheit zu sein. Unablässig prangern sie das rassistische Ressentiment an, sind aber selbst voll Ressentiments gegenüber denjenigen, die sie für die Dominanten halten.
Im postchristlichen Zeitalter wird wohl niemand die altbekannte kirchliche Lehre von der Ursünde gelten lassen wollen. Selbst die Kirchen sprechen kaum mehr darüber. Die neue Ursünde Rassismus schlägt hingegen voll ein, jedenfalls in liberalen Kreisen. Wer weiß, vielleicht ist die neue Ursündenlehre so mächtig wie ihre christliche Vorgängerin.
Vermeintliche Privilegien
Der Autor dieser Zeilen hat das ihm qua Geburt bescherte Glück (!), von dieser Ursünde nicht betroffen zu sein. Als Hochschullehrer genieße ich zweifellos viele Privilegien, die die große Mehrheit der Gesellschaft (ob schwarz, weiß oder türkisch) nicht besitzt. Nach der Logik der neuen Rassismuskritiker kann ich aber meinem germanischen Kollegen, einem beschlagenen Soziologen, der sich von einem Drittmittelantrag zum nächsten bis zur Rente durchschlagen muss, jederzeit seine „Privilegien“ vorwerfen und, bei Bedarf, daraus Rassismus ableiten.
Man muss sich die perverse Logik genau vor Augen führen, die hier am Werke ist: Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich dem neuen kulturellen Paradigma „Gestehe, wie rassistisch du bist“ nicht unterziehen. Während „Weiße“ nicht keine Rassisten sein können, kann ich gar nicht rassistisch sein. Welch ein Glück? Ich fühle mich ganz und gar diskriminiert, wenn mir die Möglichkeit genommen wird, rassistisch sein zu können. Rassistisch sein zu dürfen, ist und bleibt ein „weißes Privileg“. Der Guru der Microaggressionsthese, Derhard Wing Sue, wollte es etwa nicht gelten lassen, dass ein „weißer“ Lehrer ebenfalls Opfer von Microaggressionen gewesen sein wollte.
Wie die Soziologen Campbell und Manning in ihrer Studie „The Rise of Victimhood Culture. Microaggressions, Safe Spaces, and the New Culture Wars“ angeben, sah er darin einen Missbrauch seines Konzepts.
Werden also politische Positionen nach Herkunft verteilt? Bewegen wir uns dann nicht in gefährlicher Nähe eines zwar nicht rassistischen, wohl aber eines rassischen Denkens?
Geschichte der Ursünde
Liberale Europäer haben also eine neue Ursünde, an der sie sich abarbeiten können. Die westliche Zivilisation ist wohl die erste, deren Selbstverständnis es nicht nur zulässt, sondern geradezu vorschreibt, dass die Schwachen den Mächtigen vorwerfen dürfen, dass diese eben die Mächtigen sind. Als Nachfahre von Osmanen, deren Eroberungssinn dem der Europäer lange in nichts nachstand, kann ich mir schwer vorstellen, dass so etwas dort, aber auch bei den Römern, antiken Griechen, Mongolen, in den Hindureichen, um vom Reich der Mitte ganz zu schweigen, je denkbar gewesen wäre.
Für viele People of Color beginnt aber die Geschichte mit dem westlichen Kolonialismus und sie wird auch, darin belehren uns täglich die Postkolonialen, nie enden. Umso absurder wird das Bild, wenn immer mehr Nachfahren von Osmanen und Arabern ins Outfit von People of Color schlüpfen und den Kolonialismus als nie enden werdenden Beginn der Geschichte der Ursünde anprangern. Was für eine Allianz!
Dieser Allianz genügt der brutale, menschenverachtende Rassismus der Rassisten nationalsozialistischer Art nicht für einen antirassistischen Kampf. Schon die erste Regel, die Ausweisung der inzwischen maßlos skandalisierten Frage: „Woher kommst du eigentlich?“ als rassistisch, belegt hinreichend die Maßlosigkeit.
Führt von der Frage nach dem Woher ein direkter oder indirekter Weg zur öffentlichen Ermordung eines Menschen? Lässt sich ein rassistischer Mord, lässt sich der mörderische Rassismus überhaupt auf derartige Fragen zurückführen?
Im Falle des Rassen-Rassismus ist der Ausgang der Lage ganz klar: mörderisch. Im Falle der Frage nach Herkunft im „alltäglichen Rassismus“ sind Möglichkeiten für einen Ausgang aus der Situation nahezu unendlich. Meine Frau hatte mich auch gleich gefragt, woher ich komme. Zum Glück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter