Bundespräsident Steinmeier zum Zweiten: Verstaubte Ahnengalerie
Auch die nächsten fünf Jahre wird mit Steinmeier ein Mann Bundespräsident sein. Doch wie glaubwürdig ist das Amt, wenn es nur von Männern ausgeübt wird?
M ännlich. Weiß. Grauhaarig. Das sind die Attribute des Bundespräsidenten seit 1949. Und sie werden es auch in den nächsten fünf Jahren sein. Denn die drei Regierungsparteien und die Union als größte Oppositionsgruppe haben sich in dieser Woche hinter Frank-Walter Steinmeier gestellt. Damit geht der 66-Jährige als bislang einziger Kandidat in die Bundesversammlung am 13. Februar und ist praktisch schon wiedergewählt. Der Demokratie erweist Steinmeier, der deren Wahrung zum Herzensthema erkoren hat, damit keinen Dienst. Und dem höchsten Amt im Staat ebenfalls nicht.
Drei Funktionen hat ein Bundespräsident: Repräsentation nach außen, Integration nach innen und Manager in Notlagen. Letzteres funktionierte bisher, aber die ersten beiden Aufgaben erfüllt Steinmeier, wie auch seine elf Vorgänger, nur bedingt. Wie auch: Ein Amt, das seit Gründung der Bundesrepublik ausnahmslos weiße Männer innehatten, repräsentiert mindestens 50 Prozent der Gesellschaft nicht. Frauen sind nur mitgemeint, wenn der Begriff Bundespräsident fällt. Auch für andere gesellschaftliche Gruppen – ob queer, mit Zuwanderungsgeschichte oder mit Behinderung – bieten sich keine Identifikationspunkte.
Die Porträtreihe der Herren, die seit 1949 in der Villa Hammerschmidt und im Schloss Bellevue residierten, wirkt im achten Jahrzehnt ihrer Geschichte so verstaubt wie eine Ahnengalerie aus dem Spätmittelalter. Die ersten Bundespräsidenten repräsentierten noch das Familienbild der 1950er – Mann macht Karriere, Frau gibt ihren Beruf auf und kümmert sich um Kinder und Karitatives.
Dieses Modell ist seit mindestens 30 Jahren überholt und doch setzt es sich durch und fort – mit einer Ausnahme. Veronica Carstens, Ehefrau des Christdemokraten Karl Carstens, arbeitete weiter als Ärztin. Dagegen ließ sich die Richterin Elke Büdenbender nach der Wahl ihres Mannes Frank-Walter Steinmeier ganz traditionell beurlauben und nahm zuletzt an der Preisverleihung zum Unicef-Foto des Jahres teil.
Gegen Steinmeier als Person lässt sich inhaltlich nichts Gewichtiges ins Feld führen. Er hat die Regierungskrise nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen mit Bedacht moderiert und mitfühlende Worte für die Opfer der Anschläge von Hanau und Halle gefunden. Er hat keine Fehler gemacht, seinen Job solide erledigt. Er hätte guten Gewissens in den Ruhestand gehen können.
Er tat es nicht. Weil es keine Alternativen gibt? Die hätte es gegeben, wenn man rechtzeitig gesucht hätte. Dass ausgerechnet die Ampel als selbsternannte Fortschrittskoalition es versäumt hat, andere Personalien zu sondieren, um das Amt gesellschaftlich durchzulüften, ist schwach.
Wer es wird, ist Verhandlungsmasse im Postenpoker
Auch die Genese der Kandidatur beschädigt das demokratische Prinzip der wechselnden Mehrheiten. Obwohl alle Parteien stets behaupten, das Amt aus parteitaktischem Hickhack heraushalten zu wollen, geschieht seit Jahren genau das: Wer Bundespräsident wird, ist Verhandlungsmasse im Postenpoker.
Diesmal nutzte die FDP ihre Position als kleinster Regierungspartner, um eine Grüne Kandidatin zu unterbinden und die Grünen zum Abnicken zu zwingen. Was diese auch taten, um die SPD nicht zu düpieren, die wiederum ihren Alt-Spitzenkandidaten und Ex-Fraktionschef nicht vor den Kopf stoßen wollte. Denn Steinmeier hatte früh Druck gemacht und im Frühsommer 2021 Ambitionen auf eine zweite Amtszeit angemeldet.
Solche intransparenten Hinterzimmerdeals verwandeln das Amt in ein Faustpfand und illustrieren, wie nachrangig es ist, welche Persönlichkeit den „Grüßonkel“ gibt. Dass die Linkspartei am Montag noch eine Alternative präsentieren will, ist im demokratischen Sinne selbstverständlich, aber praktisch irrelevant.
Der neuen Bundesregierung gab Steinmeier bei deren Vereidigung mit auf den Weg: „Unsere Antworten heute werden das künftige Gesicht unseres Landes prägen.“ Es wäre gut gewesen, wenn er das auch auf sich selbst bezogen hätte. Seiner Partei aufzutragen, nach einer weiblichen Kandidatin zu suchen – das hätte Größe gehabt und wäre auf der Höhe der Zeit gewesen.
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