Die These: Weg mit dem Bundespräsidenten!
Man könnte im Schloss Bellevue genauso gut einen Algorithmus installieren. Schafft das Amt endlich ab.
Die Schuhe des Bundespräsidenten während einer Pressekonferenz im Hotel Bellevue 2018 Foto: Christian Spicker/Imago
Sie kennen es vielleicht: Sie sitzen im Ausland bei Freunden, und dann kommt diese für Sie immer etwas peinliche Frage, wer denn gerade das Staatsoberhaupt ist in Deutschland. Dann nennt man den gerade aktuellen, sperrigen und sehr deutschen Namen – Gauck oder Köhler oder Wulff oder Steinmeier –, um dann sofort hinterherzuschieben, dass der Bundespräsident fast nur ceremonial ist, weil man nach der Nazi time keinen neuen Hindenbörg haben wollte. Leider fällt einem dann nie das englische Wort für Steigbügelhalter ein, was nicht weiter schlimm ist, denn dann geht es meistens sofort um das explodierte gleichnamige Luftschiff, was auch irgendwie spannender ist.
Es ist eine Qual. Erstaunlich zahlreiche, tadellose Demokratien halten sich noch einen König oder eine Königin mit mal keiner (Schweden) oder ein bisschen Macht (Niederlande). Das hat den Vorteil, dass man sich Name und Gesicht gut merken kann, weil der oder die Gekrönte meistens über Jahrzehnte im Amt ist. Verständlicherweise ist das Thema in Deutschland erledigt.
Dann gibt es Demokratien, bei denen der Präsident gleichzeitig auch Regierungschef oder der mächtigste Mann ist (USA und Frankreich – ja, es waren dort bislang nur Männer). Oder es amtieren direkt gewählte Präsidenten wie in Österreich, Polen oder Finnland, die mehr Macht haben als der deutsche Bundespräsident und den Gegenpart zur Regierung geben.
Anders in Deutschland. Jetzt werden wir also weitere fünf Jahre den ewigen Mahner Frank-Walter Steinmeier im Amt haben, der immer etwas wie ein evangelischer Pastor klingt – die aktuelle Zahl der Google-Einträge zu „Steinmeier mahnt“ ist übrigens 23.000. Man könnte im Präsidialamt genauso gut einen Algorithmus installieren, der die Steinmeier’schen Worthülsen produziert – keiner wohl würde es merken. „Ich glaub’, du muss’ dich jetzt da hinstellen“, sagte Steinmeier im Dezember bei der Kanzlervereidigung seines alten Buddys Olaf Scholz, da war das Mikro schon angeschaltet – um kurz darauf wieder in die staatstragende Pose („Herr Bundeskanzler“) zurückzukehren. Man weiß nie, ob er diese Rolle nur spielt, weil er glaubt, dass sie von ihm erwartet wird. In seinem Kanzlerkandidaten-Wahlkampf 2009 spielte er eine andere Rolle, da versuchte er Gerhard Schröder zu imitieren, indem er über die Marktplätze brüllte. Sein Wahlkampf scheiterte kläglich.
Irgendjemand musste ja Gesetze unterzeichnen
Deutschland braucht keine Onkel- oder Großvaterfiguren, die das Land irgendwie symbolisch zusammenhalten sollen, wie es in den Anfangsjahrzehnten vielleicht noch nötig war. Das Bundespräsidentenamt sollte per Grundgesetzänderung abgeschafft werden. Denn die Idee, dass es da oben an der Spitze einen klugen Vordenker oder eine Vordenkerin gibt, ist zwar eine charmante Vorstellung, nur ist das statistisch gesehen sehr selten der Fall: ungefähr alle 20 Jahre. Dafür so ein Amt aufrechtzuerhalten, lohnt sich nicht.
Sicher, die Vorstellung eines fast machtlosen Oberhaupts in Deutschland war eine sympathische Vorsichtsmaßnahme. Aus bekannten Gründen hatte man 1949 auf den starken Typen verzichtet, der nach Belieben das Parlament auflösen oder mit festem Blick in die Kamera Kriege erklären kann, so wie es in den USA George Bush 2003 gegen den Irak oder Emmanuel Macron 2020 gegen Corona („Nous sommes en guerre“) machten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik gab es die Großvater-Typen, die zum Amt und zu der Zeit passten. Weder Theodor Heuss noch Heinrich Lübke haben in diesem Amt groß gestört oder sich aufgespielt, aber irgendjemand musste ja Gesetze unterzeichnen und am Flughafen stehen, wenn die Queen zu Besuch kam.
Das Amt als Aufgabe sehen, nicht als Karrierestation
Doch dann fand sich auch mal jemand wie Gustav Heinemann. 1969 gewählt, war er ein Glücksfall, ein radikaldemokratischer und freier Geist, der es sich nicht nehmen ließ, Ulrike Meinhof Briefe zu schreiben und Kontakt zu Rudi Dutschke zu halten, nachdem auf ihn geschossen wurde.
Schon lange vor Willy Brandt redete Heinemann gegen den Obrigkeitsstaat an und forderte mehr Demokratie ein. Heinemann sah das Amt als Aufgabe, nicht als Karrierestation. Er hielt den Deutschen den Spiegel vor, wenn es darauf ankam, und käute nicht nur wieder, was sowieso politischer Konsens war.
Dann setzte natürlich noch Richard von Weizsäcker ein Zeichen mit seiner Rede zum 8. Mai 1945 und zur deutschen Schuld. Sein Nachfolger Roman Herzog führte den Holocaust-Gedenktag ein.
Irgendwann aber setzte der politische Bedeutungsverlust des Amtes ein, was viel damit zu tun hat, wie ein Bundespräsident gemacht wird. Generationen von SchülerInnen lernen, dass eine ominöse Bundesversammlung den Präsidenten wählt – das ist natürlich gelogen. Ausgewählt wird er vorab nach zunehmend kleinkarierten, taktischen Überlegungen in kleinsten Runden von SpitzenpolitikerInnen, die gerade die Mehrheit kontrollieren.
Angela Merkel und Guido Westerwelle suchten sich Horst Köhler aus, um ihre damals neoliberale Agenda im Bundespräsidialamt zu platzieren. Das tat Köhler anfangs wie geplant, später nervte er alle, weil er sich ständig in die Tagespolitik einmischte. Er trat zurück, weil er sich in einem unbeholfenen Interview dafür aussprach, deutsche Handelswege mit militärischen Mitteln zu sichern.
Christian Wulff wurde Präsident, weil Merkel nicht Wolfgang Schäuble haben wollte. Keine zwei Jahre später trat auch er zurück. Joachim Gauck wurde vom alten Taktiker Jürgen Trittin ins Spiel gebracht, um die Konservativen zu ärgern, weil sie Gauck (Haupt- und eigentlich einziges Thema: Freiheit) schlecht ablehnen konnten. Beim ersten Mal klappte es nicht, beim zweiten Mal schon. Zwischendurch lobte Gauck Thilo Sarrazins rassistisches Buch und dessen „Mut“, das Buch zu schreiben. Das schadete ihm aber nicht bei seiner Wahl. Frank-Walter Steinmeier kam ins Schloss Bellevue, weil ihn Sigmar Gabriel in der damaligen Großen Koalition durchsetzte und die CDU es versäumt hatte, sich rechtzeitig in den eigenen Reihen umzugucken.
Die Auswahlkriterien sind veränderungsresistent
Diese Art, wie sich Bundespräsidenten ausgeguckt wurden, hat zur Banalisierung des Amtes beigetragen. Und diese Auswahlkriterien sind offenbar veränderungsresistent: Auch nach bald 73 Jahren wurde von den Entscheidungszirkeln kein einziges Mal eine Frau in ein aussichtsreiches Rennen geschickt. Auch nicht im Jahr 2022.
Zwei Mal übrigens haben Bundesratspräsidenten schon ersatzweise die Geschäfte als Staatsoberhaupt geführt: der nette, stille Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen nach dem Rücktritt von Horst Köhler und Horst Seehofer nach selbigem von Christian Wulff. Sie haben es zurückhaltend gut gemacht und gar nicht erst unrealistische Erwartungen geweckt, dass sie etwa sagen könnten, wo es langgeht.
Es spricht also nichts dagegen, dass der jährlich wechselnde Bundesratspräsident – der jeweilige Ministerpräsident oder die jeweilige Ministerpräsidentin an der Spitze des Bundesrats – den Job des Staatsoberhaupts übernimmt. Damit würde auch die Tatsache, dass dieses Land ein föderaler Staat ist, mehr Gewicht bekommen. Und es wäre ehrlicher: Im Grunde ist es egal, wer nachdenkliche, aber schnell vergessene Reden zu irgendwelchen Jahrestagen hält und die Siegerurkunden für die Bundesjugendspiele unterschreibt.
Und dass dann womöglich auch ein Markus Söder mal für ein Jahr dran sein sollte, das wird das Land auch noch überstehen.
Die These: Weg mit dem Bundespräsidenten!
Man könnte im Schloss Bellevue genauso gut einen Algorithmus installieren. Schafft das Amt endlich ab.
Die Schuhe des Bundespräsidenten während einer Pressekonferenz im Hotel Bellevue 2018 Foto: Christian Spicker/Imago
Sie kennen es vielleicht: Sie sitzen im Ausland bei Freunden, und dann kommt diese für Sie immer etwas peinliche Frage, wer denn gerade das Staatsoberhaupt ist in Deutschland. Dann nennt man den gerade aktuellen, sperrigen und sehr deutschen Namen – Gauck oder Köhler oder Wulff oder Steinmeier –, um dann sofort hinterherzuschieben, dass der Bundespräsident fast nur ceremonial ist, weil man nach der Nazi time keinen neuen Hindenbörg haben wollte. Leider fällt einem dann nie das englische Wort für Steigbügelhalter ein, was nicht weiter schlimm ist, denn dann geht es meistens sofort um das explodierte gleichnamige Luftschiff, was auch irgendwie spannender ist.
Es ist eine Qual. Erstaunlich zahlreiche, tadellose Demokratien halten sich noch einen König oder eine Königin mit mal keiner (Schweden) oder ein bisschen Macht (Niederlande). Das hat den Vorteil, dass man sich Name und Gesicht gut merken kann, weil der oder die Gekrönte meistens über Jahrzehnte im Amt ist. Verständlicherweise ist das Thema in Deutschland erledigt.
Dann gibt es Demokratien, bei denen der Präsident gleichzeitig auch Regierungschef oder der mächtigste Mann ist (USA und Frankreich – ja, es waren dort bislang nur Männer). Oder es amtieren direkt gewählte Präsidenten wie in Österreich, Polen oder Finnland, die mehr Macht haben als der deutsche Bundespräsident und den Gegenpart zur Regierung geben.
Anders in Deutschland. Jetzt werden wir also weitere fünf Jahre den ewigen Mahner Frank-Walter Steinmeier im Amt haben, der immer etwas wie ein evangelischer Pastor klingt – die aktuelle Zahl der Google-Einträge zu „Steinmeier mahnt“ ist übrigens 23.000. Man könnte im Präsidialamt genauso gut einen Algorithmus installieren, der die Steinmeier’schen Worthülsen produziert – keiner wohl würde es merken. „Ich glaub’, du muss’ dich jetzt da hinstellen“, sagte Steinmeier im Dezember bei der Kanzlervereidigung seines alten Buddys Olaf Scholz, da war das Mikro schon angeschaltet – um kurz darauf wieder in die staatstragende Pose („Herr Bundeskanzler“) zurückzukehren. Man weiß nie, ob er diese Rolle nur spielt, weil er glaubt, dass sie von ihm erwartet wird. In seinem Kanzlerkandidaten-Wahlkampf 2009 spielte er eine andere Rolle, da versuchte er Gerhard Schröder zu imitieren, indem er über die Marktplätze brüllte. Sein Wahlkampf scheiterte kläglich.
Irgendjemand musste ja Gesetze unterzeichnen
Deutschland braucht keine Onkel- oder Großvaterfiguren, die das Land irgendwie symbolisch zusammenhalten sollen, wie es in den Anfangsjahrzehnten vielleicht noch nötig war. Das Bundespräsidentenamt sollte per Grundgesetzänderung abgeschafft werden. Denn die Idee, dass es da oben an der Spitze einen klugen Vordenker oder eine Vordenkerin gibt, ist zwar eine charmante Vorstellung, nur ist das statistisch gesehen sehr selten der Fall: ungefähr alle 20 Jahre. Dafür so ein Amt aufrechtzuerhalten, lohnt sich nicht.
Sicher, die Vorstellung eines fast machtlosen Oberhaupts in Deutschland war eine sympathische Vorsichtsmaßnahme. Aus bekannten Gründen hatte man 1949 auf den starken Typen verzichtet, der nach Belieben das Parlament auflösen oder mit festem Blick in die Kamera Kriege erklären kann, so wie es in den USA George Bush 2003 gegen den Irak oder Emmanuel Macron 2020 gegen Corona („Nous sommes en guerre“) machten.
taz am wochenende
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik gab es die Großvater-Typen, die zum Amt und zu der Zeit passten. Weder Theodor Heuss noch Heinrich Lübke haben in diesem Amt groß gestört oder sich aufgespielt, aber irgendjemand musste ja Gesetze unterzeichnen und am Flughafen stehen, wenn die Queen zu Besuch kam.
Das Amt als Aufgabe sehen, nicht als Karrierestation
Doch dann fand sich auch mal jemand wie Gustav Heinemann. 1969 gewählt, war er ein Glücksfall, ein radikaldemokratischer und freier Geist, der es sich nicht nehmen ließ, Ulrike Meinhof Briefe zu schreiben und Kontakt zu Rudi Dutschke zu halten, nachdem auf ihn geschossen wurde.
Schon lange vor Willy Brandt redete Heinemann gegen den Obrigkeitsstaat an und forderte mehr Demokratie ein. Heinemann sah das Amt als Aufgabe, nicht als Karrierestation. Er hielt den Deutschen den Spiegel vor, wenn es darauf ankam, und käute nicht nur wieder, was sowieso politischer Konsens war.
Dann setzte natürlich noch Richard von Weizsäcker ein Zeichen mit seiner Rede zum 8. Mai 1945 und zur deutschen Schuld. Sein Nachfolger Roman Herzog führte den Holocaust-Gedenktag ein.
Irgendwann aber setzte der politische Bedeutungsverlust des Amtes ein, was viel damit zu tun hat, wie ein Bundespräsident gemacht wird. Generationen von SchülerInnen lernen, dass eine ominöse Bundesversammlung den Präsidenten wählt – das ist natürlich gelogen. Ausgewählt wird er vorab nach zunehmend kleinkarierten, taktischen Überlegungen in kleinsten Runden von SpitzenpolitikerInnen, die gerade die Mehrheit kontrollieren.
Angela Merkel und Guido Westerwelle suchten sich Horst Köhler aus, um ihre damals neoliberale Agenda im Bundespräsidialamt zu platzieren. Das tat Köhler anfangs wie geplant, später nervte er alle, weil er sich ständig in die Tagespolitik einmischte. Er trat zurück, weil er sich in einem unbeholfenen Interview dafür aussprach, deutsche Handelswege mit militärischen Mitteln zu sichern.
Christian Wulff wurde Präsident, weil Merkel nicht Wolfgang Schäuble haben wollte. Keine zwei Jahre später trat auch er zurück. Joachim Gauck wurde vom alten Taktiker Jürgen Trittin ins Spiel gebracht, um die Konservativen zu ärgern, weil sie Gauck (Haupt- und eigentlich einziges Thema: Freiheit) schlecht ablehnen konnten. Beim ersten Mal klappte es nicht, beim zweiten Mal schon. Zwischendurch lobte Gauck Thilo Sarrazins rassistisches Buch und dessen „Mut“, das Buch zu schreiben. Das schadete ihm aber nicht bei seiner Wahl. Frank-Walter Steinmeier kam ins Schloss Bellevue, weil ihn Sigmar Gabriel in der damaligen Großen Koalition durchsetzte und die CDU es versäumt hatte, sich rechtzeitig in den eigenen Reihen umzugucken.
Die Auswahlkriterien sind veränderungsresistent
Diese Art, wie sich Bundespräsidenten ausgeguckt wurden, hat zur Banalisierung des Amtes beigetragen. Und diese Auswahlkriterien sind offenbar veränderungsresistent: Auch nach bald 73 Jahren wurde von den Entscheidungszirkeln kein einziges Mal eine Frau in ein aussichtsreiches Rennen geschickt. Auch nicht im Jahr 2022.
Zwei Mal übrigens haben Bundesratspräsidenten schon ersatzweise die Geschäfte als Staatsoberhaupt geführt: der nette, stille Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen nach dem Rücktritt von Horst Köhler und Horst Seehofer nach selbigem von Christian Wulff. Sie haben es zurückhaltend gut gemacht und gar nicht erst unrealistische Erwartungen geweckt, dass sie etwa sagen könnten, wo es langgeht.
Es spricht also nichts dagegen, dass der jährlich wechselnde Bundesratspräsident – der jeweilige Ministerpräsident oder die jeweilige Ministerpräsidentin an der Spitze des Bundesrats – den Job des Staatsoberhaupts übernimmt. Damit würde auch die Tatsache, dass dieses Land ein föderaler Staat ist, mehr Gewicht bekommen. Und es wäre ehrlicher: Im Grunde ist es egal, wer nachdenkliche, aber schnell vergessene Reden zu irgendwelchen Jahrestagen hält und die Siegerurkunden für die Bundesjugendspiele unterschreibt.
Und dass dann womöglich auch ein Markus Söder mal für ein Jahr dran sein sollte, das wird das Land auch noch überstehen.
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Kommentar von
Gunnar Hinck
Autor
ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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