Bernd Riexinger über rechte Sozialpolitik: „Ein widerlicher Versuch“
Arbeiter und Flüchtlinge haben dieselben Interessen, sagt Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Wie passt das zum parteiinternen Streit über Zuwanderung?
taz: Herr Riexinger, haben Sie in letzter Zeit mal wieder einen Krimi gelesen?
Bernd Riexinger: Ich lese ja gerne Krimis. Am besten finde ich gerade die Krimis von Christian von Ditfurth mit diesem Kommissar in Berlin, der verliebt ist in seine Stellvertreterin.
Erkennen Sie sich wieder?
Nein. Aber das sind richtig gute Politkrimis.
Sie haben mal gesagt, Sie lesen immer dann Krimis, wenn es richtig stressig wird.
Stimmt.
Zurzeit ist es also richtig stressig?
Ich habe überwiegend in der Weihnachtszeit, als ich völlig kaputt war, Krimis gelesen. Es gab einfach keine Pause. Wahlkämpfe sind nun einmal stressig. Und nach der Wahl ging es weiter.
Sie meinen die Auseinandersetzung, die zwischen den Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch auf der einen Seite und Ihnen und Katja Kipping auf der anderen Seite tobte?
Ja, genau. So was geht ja nicht spurlos an einem vorbei.
Ist der Konflikt gelöst?
Hinter dem Ganzen stecken inhaltliche Differenzen. Da brauchen wir Klarheit in der Sache. Sicher werden wir auch auf dem Parteitag darüber diskutieren.
organisierte schon in den 80ern Streiks und Kampagnen als Betriebsrat und Gewerkschafter. 2012 wurde Riexinger zusammen mit Katja Kipping zum Parteivorsitzenden der Linken gewählt. Die Doppelspitze ist gegen Änderungen an den flüchtlingspolitischen Grundsätzen der Linkspartei, wie sie etwa Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fordert.
Welche Differenzen denn?
Die erste Frage ist die Flüchtlingspolitik. Da bin ich persönlich der Meinung, dass wir unsere Haltung – offene Grenzen für Menschen in Not – nicht aufweichen dürfen. Und darin steckt natürlich auch die zweite Frage: Wie bekämpfen wir den Rechtsruck? Ich denke, wir müssen klar dagegenhalten, wenn rassistische oder nationalistische Gedanken verbreitet werden, und auch im positiven Sinne Aufklärung leisten, indem wir mit den Leuten reden: an den Stammtischen, in den Betrieben, in den Stadtteilen. Die dritte Frage ist die Milieufrage. Die Linke hat in jungen, urbanen Milieus, in den Großstädten gewonnen und bei Erwerbslosen und Arbeitern verloren. Bei uns gibt es eine Debatte, ob wir quasi so eine Ersatz-Grünen-Partei werden und die Arbeiterklasse verloren haben. Und ich halte diese Debatte für falsch.
Warum denn das?
Weil es keine Entweder-oder-Frage ist. Die neuen Mitglieder, die zu uns kommen, haben ganz unterschiedliche Jobs – viele von ihnen sind in sozialen Berufen wie der Pflege unterwegs, andere sind Koch oder Verkäuferin. Letztens hat mir unser Mitarbeiter, der die Mitglieder betreut, erzählt, dass wir neuerdings richtig viele Informatikerinnen und Informatiker bei uns in der Partei haben. Zugleich machen wir aber auch Politik für Menschen, die erwerbslos sind, die in sozialen Brennpunkten leben oder die als Arbeiter malochen. Es geht darum, wie wir die Milieus verbinden, indem wir ihre gemeinsamen Interessen vertreten, beispielsweise leidet eine Studentin genauso unter den hohen Mieten wie jemand ohne Job.
Aber die Linke hat, wie Sie ja selbst sagen, bei Arbeitern, prekär Beschäftigten und Arbeitslosen Stimmen verloren. Was machen Sie falsch?
Vor Jahren, als die Linke gegründet wurde und stark im Erwerbslosen- und im Arbeitermilieu war, gab es keine andere Partei, mit der du protestieren konntest. Momentan gilt für manche die AfD als Protestpartei. Aber wir haben damit nicht die Lohnabhängigen verloren. Zum Beispiel wählen 14 Prozent der Frauen, die gewerkschaftlich organisiert sind, die Linke. Das ist neu.
Die AfD wendet sich gezielt an die deutschen Arbeiter_innen. Die Linke will Arbeitnehmerinteressen verteidigen und offene Grenzen und Freizügigkeit. Das passt doch gar nicht zusammen?
Doch. Im Kern haben Deutsche und Migranten die gleichen Interessen wie Lohnabhängige. Nehmen Sie die Fabrik: Ein Daimler-Arbeiter in der Logistik, der vor 2001 eingestellt wurde, hat 4.400 Euro brutto verdient, der Leiharbeiter hatte dann 3.200 Euro und der Werkverträgler von heute, der hat noch 1.700 Euro. Das heißt, durch die Prekarisierung der Arbeit haben wir einen Lohnverfall von fast zwei Dritteln. Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Kernarbeiter, der tariflich noch gut bezahlt wird, grenzt sich von dem Werkverträgler ab. Oder er sieht, dass sie eigentlich gleiche Interessen haben. Und sie kämpfen zusammen für bessere Arbeitsbedingungen, für höhere Löhne und gegen die Aufspaltung der Beschäftigten in prekäre und Kernbeschäftigte. Und das ist eine Aufgabe der Linken, die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund zu stellen, sie auch politisch zu formulieren und der Spaltung und Fragmentierung praktisch entgegenzuarbeiten. Der gleiche Mechanismus greift auch bei Flüchtlingen, da betreibt man die Abgrenzung nach außen.
Der Björn-Höcke-Flügel der AfD setzt jetzt stark auf Sozialpopulismus, wettert gegen Neoliberalismus und fordert mehr Solidarität. Wird die AfD die härteste Konkurrentin der Linkspartei?
Höcke und Co. betreiben nationalistische Hetze. Das ist ein widerlicher Versuch, die Leute gegeneinander auszuspielen. Dem kann man nur offensiv begegnen, indem man das deutlich macht. Nehmen Sie die Verkäuferinnen bei H&M. 60 Prozent der Beschäftigten haben einen Migrationshintergrund. Es ist lächerlich, hier in Deutsche und Nichtdeutsche zu unterteilen.
Sie sagen, das sei lächerlich. Aber sehen Sie deshalb die Aktivitäten der AfD mit Gelassenheit?
Nein, gelassen bin ich nicht. Nationalismus ist gefährlich und menschenverachtend. Wir zeigen klare Kante gegen rechte Hetze. Die AfD macht einen Konflikt auf zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund, zwischen Nationalstaat und internationaler Politik. Und das ist genau der verkehrte Konflikt. Wir müssen deutlich machen: Das stärkt nicht die Position der Beschäftigten, sondern schwächt sie. Denn das Hauptaugenmerk wird nicht auf die Verursacher des Problems gelenkt, darauf, dass das Kapital ganz großes Interesse an Prekarisierung, an Spaltung, an geringen Löhnen hat.
Diesen Konflikt gibt es doch auch in Ihrer eigenen Partei. Sahra Wagenknecht meint, wirtschaftlich motivierte Einwanderung sei falsch, die Linke müsse die Interessen der Leute hier vor Ort vertreten, also nationale Interessen.
Die Interessen der Beschäftigten werden nicht geschützt, indem wir die Zuwanderung beschränken. Das ist im Übrigen gar nicht machbar. In einer Welt, wie wir sie heute haben, können Sie keine Mauern um das eigene Wohnzimmer bauen. Die Flüchtlinge von heute sind die Arbeiter von morgen. Das Kapital hat großes Interesse, Billiglöhner in prekären Jobs auszunutzen. Die werden in der Küche arbeiten, bei Amazon im Lager, in Schlachthöfen oder Putzkolonnen. Es geht darum, sie zu organisieren. Die Gewerkschaften haben das mit der ersten Generation der sogenannten Gastarbeiter ganz gut hinbekommen. Sie haben sie organisiert, sind Ausländerfeindlichkeit entgegengetreten. Das waren zum Teil kämpferische Truppen, die wilden Streiks Anfang der 70er Jahre haben hauptsächlich Migranten geprägt.
Sie waren diese Woche beim Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds eingeladen. Der DGB hat ja vehement dafür geworben, dass die SPD in die Große Koalition geht. Haben Sie verstanden, warum?
Das habe ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden. All das, worüber wir jetzt geredet haben, über prekäre Arbeit, Leiharbeit, Werkverträge, sachgrundlose Befristungen – da ist vonseiten der Groko keine Verbesserung in Sicht. Im Gegenteil, es gibt Öffnungsklauseln zur Arbeitszeit, was die Tarifbindung eher weiter zerfleddert. Man kann höchstens sagen, die Große Koalition ist ein bisschen besser als Jamaika.
Anstatt also die SPD in die Groko zu treiben, hätten die Gewerkschaften eher sagen müssen: Stopp, macht das nicht?
Ich finde, die Gewerkschaften müssen deutlich machen, dass ihnen das zu wenig ist. Und wenn es zu einer großen Koalition kommt, müssen sie in der Lage sein, auch auf die Große Koalition Druck auszuüben und nicht quasi hinterherzuscharwenzeln und sich viel zu stark an die SPD zu binden.
Ihre Kovorsitzende Katja Kipping hat ja jetzt die Parole „Projekt 15 Prozent“ für die Linke ausgegeben. Die SPD ist auch auf dem Weg dahin. Sieht so die Annäherung beider Parteien aus?
Knapp die Hälfte aller SPD-Wähler will keine Groko. Die spannende Frage ist: Was machen die? Gehen sie nach links, gehen sie in den Nichtwählerbereich oder gehen sie gar nach rechts. Ich kann aber sagen: Seht mal her, die Linke ist die bessere Wahl.
Aber steckt die Linke nicht in einem Dilemma? Einerseits wollen Sie davon profitieren, wenn die SPD noch schwächer wird, aber andererseits gibt es mit einer derart geschwächten SPD für längere Zeit keine Option mehr auf ein rot-rot-grünes Bündnis.
Die Groko löst ja die Probleme nicht. Wir machen Angebote an die Anhänger der SPD, mit uns gemeinsam Druck zu machen für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Personal in Bildung und Pflege, für bezahlbare Wohnungen zum Beispiel.
Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit. Sahra Wagenknecht will eine neue linke Volkspartei gründen, mit Teilen von SPD und Grünen.
Ich halte den Ansatz für falsch. Ich sehe nicht, wo da abtrünnige SPD-Flügel oder Grüne wären, die nur drauf warten, dass Sahra Wagenknecht sie einsammelt. Es geht darum, die Linke weiter zu stärken. Wenn wir über neue Formationen diskutieren, ist das eher hinderlich.
Wie sehr braucht die Linke Sahra Wagenknecht?
Es bringt jetzt nichts, wenn wir immer über Sahra Wagenknecht diskutieren. Es ist die Entscheidung von Sahra Wagenknecht, was sie da machen will. Außerdem hat sie bisher nicht auf den Tisch gelegt, was sie eigentlich will. Die Mehrheit unserer Mitglieder will keine neue Partei gründen, schon gar nicht wichtige Kerne unseres linken Profils aufgeben. Sie wollen, dass die Partei Die Linke stärker wird.
Sahra Wagenknecht kommt ja nicht mehr in den Parteivorstand. Da werde sie immer kritisiert.
Die Fraktion ist ja kein separater Klub. Alle Mitglieder haben ihre Mandate der Partei zu verdanken. Ich halte es für selbstverständlich, dass das Spitzenpersonal im Parteivorstand auftaucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert