Bernd Riexinger über „Aufstehen“: „Ich bin schon eingesammelt“
Linken-Chef Bernd Riexinger kritisiert die „Aufstehen“-Bewegung um Sahra Wagenknecht. Er warnt davor, eine Konkurrenz zur eigenen Partei aufzubauen.
taz: Herr Riexinger, für den E-Mail-Verteiler der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ hatten sich nach einer Woche schon 60.000 Menschen angemeldet. Sie auch?
Bernd Riexinger: Nein, ich brauche keine Sammlungsbewegung, ich bin ja schon eingesammelt – von der Partei Die Linke. Ich werde meine ganze Energie und Ressourcen in den nächsten Jahren dafür einsetzen, unsere Partei stärker zu machen.
Sie würden Parteifreunden also davon abraten, bei „Aufstehen“ mitzumachen?
Das ist ein Projekt von Einzelpersonen, die Forderungen aufstellen, die irgendwo zwischen SPD und Linken liegen und die wir schon seit Jahren massiv vertreten. Es ergibt keinen Sinn, dafür auch noch Menschen einzusammeln, die ohnehin schon in einer ähnlichen Richtung Politik machen. Wenn die Initiative einen Sinn ergibt, dann, um enttäusche Sozialdemokraten und Grüne einzusammeln.
Sie klingen gelassen. Dabei hat „Aufstehen“ jetzt schon ähnlich viele Interessenten wie Ihre Partei Mitglieder. Könnte Ihnen die Initiative nicht gefährlich werden?
Mitglied einer Partei zu werden heißt, sich für einen politischen Weg zu entscheiden und für viele auch, vor Ort aktiv zu sein. Das kann man nicht mit einer Internet-Initiative vergleichen, bei der man sich einfach einklickt. Ich will das nicht kleinreden, das Interesse ist natürlich am Anfang groß. Aber es ist nicht gesagt, dass sich diese Leute auch mit Engagement einbringen. Übrigens klicken jeden Monat Hunderttausende Menschen unsere Seiten im Internet an. Die Linke wächst langsam, aber stetig, vor allem Menschen aus sozialen Berufen engagieren sich verstärkt bei uns. Wir haben tausende KommunalvertreterInnen, sind in drei Landesregierungen, stellen einen Ministerpräsidenten. Wir brauchen uns nicht kleinmachen.
Bernd Riexinger, 62, ist seit sechs Jahren Vorsitzender der Linkspartei.
Im Bund ist eine linke Mehrheit trotzdem nicht in Sicht. Ist es da nicht richtig, nach neuen Wegen zu suchen – so wie Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter?
Das wird man sehen. Ihr vorgegebenes Ziel ist es ja, Druck auf SPD und Grüne auszuüben, damit die eine andere Politik machen. Das klappt aber am besten, in dem man Die Linke stärkt. Oder durch breit angelegte Kampagnen mit den außerparlamentarischen Bewegungen, die es in der Gesellschaft ja schon gibt. Wir haben vor zwei Jahren mit Gewerkschaften und Organisationen eine Kampagne gegen den Pflegenotstand gestartet und haben jetzt tatsächlich erste Erfolge. Im September machen wir weiter mit einer Mietenkampagne. Ziel ist, eine gesellschaftlich wahrnehmbare MieterInnenbewegung auf die Füße zu stellen.
Könnten Sie sich vorstellen, bei Kampagnen mit „Aufstehen“ zusammenzuarbeiten?
Um gesellschaftlichen Druck aufzubauen, reicht es nicht aus, wenn man sich im Netz betätigt. Dafür muss man auf die Straße gehen und demonstrieren, aktiv Streiks unterstützen, politische Bildungsarbeit machen, in die Viertel gehen, in denen keiner mehr was von Parteien wissen will. Wenn die Sammlungsbewegung das machen will, ist sie willkommen.
Haben Sie schon mal mit Sahra Wagenknecht darüber gesprochen?
Sie hat sich leider bisher nicht zu einer Debatte im Parteivorstand durchringen können. Ich bedauere das.
Haben Sie sie dazu eingeladen?
Wir haben sie mehrmals dazu eingeladen.
Was hätten Sie gerne mit ihr besprochen?
Ich halte es für selbstverständlich, dass man Projekte mit der Partei, für die man Fraktionsvorsitzende ist, umfassend diskutiert. Angefangen hat es ja mit der Rede von einer neuen Partei, jetzt soll es eine Bewegung sein. Wir wissen nicht, was die nächsten Schritte sind.
Wird „Aufstehen“ ein Erfolg, wird Wagenknecht im innerparteilichen Machtkampf gestärkt. In der Märkischen Oderzeitung kündigte ihre Mitstreiterin Sevim Dağdelen an, die Partei „umkrempeln“ zu wollen. Macht Ihnen das Sorgen?
Das wäre ein bedenklicher Ansatz und als Ziel inakzeptabel. Ich verstehe schon, dass man überparteiliche Initiativen macht und damit auch Parteien verändern möchte. Einen Umweg wählen und von außen rumzukritisieren finde ich schräg – wieso nicht einfach als Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete das tun, was naheliegt? Für die eigene Position in der Partei werben, bei der Basis, auf Parteitagen?
Gibt es rote Linien, ab denen Wagenknecht und anderen Konsequenzen drohen?
Ich nehme die Beteuerungen ernst, dass es nicht darum gehe, eine neue Partei zu gründen oder Parteinebenstrukturen aufzubauen. Das wäre ganz klar eine Grenzüberschreitung.
Hinter der Diskussion steckt auch ein inhaltlicher Streit: Manche in Ihrer Partei setzen auf nationale Lösungen und wollen zum Beispiel die Migration begrenzen, andere setzen auf Internationalismus und offene Grenzen. Geht das auf Dauer zusammen?
Wir haben auf dem Parteitag eine Entscheidung getroffen. Wir haben die Haltung der Partei in der Flüchtlingsfrage bestärkt und darüber bin ich sehr froh: Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen. Und wir brauchen eine soziale Offensive für alle. Grenzzäune, Stacheldraht und der Abschiebewahn von Seehofer & Co sind weder internationalistisch noch mit dem Menschenrecht vereinbar.
Ein anderer Streitpunkt ist die Arbeitsmigration. Wagenknecht hat in der FAZ kritisiert, dass die Regierung „Fachkräfte aus armen Ländern“ holen wolle, statt hier ausreichend Studienplätze anzubieten.
Das Abwerben von Fachkräften aus anderen Ländern, der „brain drain“, ist in den Herkunftsländern ein Problem, ja. Arbeitsmigranten überweisen aber mehr Geld in ihre Länder als die offizielle Entwicklungshilfe. Die Linke hat die Frage der Arbeitsmigration nie so diskutiert, als ob das Konkurrenten oder Belastungen wären. Die Antwort war immer: Gesetzlicher Mindestlohn für alle, Sozialsysteme und Tarifbindung ausbauen und gemeinsam mit den migrantischen KollegInnen für bessere Bedingungen kämpfen. Wir haben beim Parteitag vereinbart, über dieses Thema demnächst auf einer Klausurtagung mit Fraktion und Parteivorstand zu reden.
Wann soll das sein?
Im November.
Ist Sahra Wagenknecht dann noch dabei?
Davon gehe ich aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels