Berlin und seine Millionär*innen: Die Stadt der Reichen
Mit seiner Armut hat sich Berlin lange geschmückt – und das Problem Reichtum ignoriert. Den muss aber im Blick haben, wer soziale Gerechtigkeit will.
Wer eine gesellschaftliche Entwicklung, die immer mehr Superreiche hervorbringt und noch viel mehr Menschen in Armut verharren lässt, aus guten Gründen für problematisch erachtet, kommt nicht umhin, darauf zu schauen, wo sich Reichtum ballt. Das gilt umso mehr in dieser Zeit, in der die öffentlichen Kassen durch die Mobilisierung von Coronahilfen strapaziert sind und Steuereinnahmen in den nächsten Jahren deutlich geringer ausfallen werden: einer neuen Krisenepoche.
Will man also zur Abwechslung mal nicht wieder am Sozialstaat sparen und die Mehrheit der Bevölkerung zur Kasse bitten, muss das Tabuthema Reichtum ins Zentrum der politischen Debatte geholt werden. Erst dann kann das Problem im Sinne einer notwendigen Umverteilung von oben nach unten angegangen werden.
Berlin hat sich lange – in völliger Negation der damit verbundenen Probleme – mit seiner Armut geschmückt, aber den Reichtum in der Stadt nie richtig in den Blick genommen – weshalb wir wenig über ihn wissen. Die Villen im Grunewald oder die Luxusgeschäfte am Ku’damm sind Symbole, die den meisten noch einfallen; über das Maß an Reichtum und die ungleiche Verteilung verraten sie fast nichts. Reichtum und Berlin, passt das überhaupt? Wohnen die richtig Reichen nicht woanders, im Bankenzentrum Frankfurt am Main, in Hamburg-Blankenese oder dem Kurort Baden-Baden?
Tatsächlich aber ist Reichtum in Berlin ein Thema, ein Problem, wenn man so will, und das wächst weiter an, oft wenig sichtbar für die Öffentlichkeit. Dabei häufen sich die exklusiven Clubs für Wohlhabende, seit 2001 mit dem Berlin Capital Club am Gendarmenmarkt der erste seiner Art in Berlin eröffnete. Autos, die mehr als 100.000 Euro kosten, sind auf den Straßen keine Seltenheit, genauso wenig wie Restaurants, in denen der Menüpreis die vorgesehene Monatssumme für Lebensmittel von Hartz-IV-Empfänger*innen übersteigt. Auch die Zahl luxuriös ausgestatteter Dachgeschosswohnungen und Lofts, deren Besitzer*innen siebenstellige Summen auf den Tisch legen können, hat sich rapide vermehrt.
Reich oder superreich?
Was aber wissen wir wirklich über den Reichtum in der Stadt? In der Wissenschaft wird zwischen zwei Arten von Reichtum unterschieden. Recht gut ausgeleuchtet ist der Einkommensreichtum. Als relativ reich gelten dabei jene, die mindestens das Doppelte des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung haben. Superreich ist man ab einem Jahreseinkommen von mehr als 500.000 Euro. Wenig ist dagegen über Vermögensreichtum und -verteilung bekannt – denn mit der Abschaffung der Vermögensteuer 1997 ist auch die Vermögensteuerstatistik weggefallen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Unkenntnis über Vermögen auch eine ihrer Bedingungen darstellt.
In Berlin galten laut dem Sozialbericht 2019 des Amtes für Statistik 9,1 Prozent der Bevölkerung gemessen an ihrem Einkommen als relativ reich, sie verdienen also mehr als 200 Prozent des Durchschnittslohns. In solchen Haushalten lebten insgesamt 331.679 Berliner*innen. Die Reichtumsschwelle lag bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.346 Euro für Einpersonenhaushalte. Zum Vergleich: 16,5 Prozent der Berliner*innen gelten mit einem maximalen Monatseinkommen von 1.004 Euro als armutsgefährdet.
Der erste stadtweite Reichtumsbericht, den Charlottenburg-Wilmersdorf auf Antrag der Linken-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung erstellt und im vergangenen Jahr veröffentlicht hat, zeigt die Unterschiede zwischen den Bezirken. Demnach gehörten 2016 in Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf jeweils gut 16 Prozent der Einwohner*innen zu den Einkommensreichen, in Neukölln dagegen nur 3,5 Prozent.
Von den circa 50.000 Personen, die in Charlottenburg-Wilmersdorf als relativ reich gelten, hatten nach einer Kleinen Anfrage des Linken-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg an den Senat im vergangenen Jahr 103 Personen jährliche Einkommen von mehr als einer halben Million Euro; berlinweit waren es 749. Noch 2016 waren es nur 486. Der prozentual höchste Anstieg ist dabei ausgerechnet in Friedrichshain-Kreuzberg zu verzeichnen: Dort sprang die Zahl der – wie es aus D-Mark-Zeiten noch heißt – Einkommensmillionäre von 11 auf 51.
Noch ungleicher als bei den Einkommen ist die Verteilung des Vermögens. Erst kürzlich kam eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu dem Ergebnis, dass die oberen zehn Prozent der deutschen Bevölkerung zwei Drittel des Gesamtvermögens besitzen; 45 Superreiche gar so viel besitzen wie die ärmere Bevölkerungshälfte. Wie viel Vermögen sich in Berlin wirklich ballt, ist unbekannt. Eine Schätzung aus dem Jahr 2014 rechnete mit etwa 20.000 Dollar-Millionär*innen in der Stadt, ihre Anzahl dürfte mittlerweile deutlich gestiegen sein – und nicht weit hinter den 50.000 Millionär*innen in Hamburg zurückliegen.
In der Liste der 500 reichsten Deutschen finden sich 11 Berliner*innen. Die reichsten davon sind die Witwe des Otto-Gründers, die sich zusammen mit ihrem Stiefsohn ein Vermögen von etwa 10 Milliarden Euro teilt. Die Verlegerin Friede Springer kommt auf ein geschätztes Privatvermögen von 4 Milliarden Euro. Beide zusammen besitzen damit fast die Hälfte des Haushaltsvolumens Berlins im laufenden Jahr.
Darüber zu reden – und die Umverteilung zu fordern und durchzusetzen, wie es an diesem Samstag Demos unter anderem in Berlin tun – ist weder anstößig noch hat es mit Neid zu tun. Es ist eine Notwendigkeit, will man den sozialen Frieden erhalten.
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