Ausgeladen wegen „Unwohlsein“: Kein Auftritt für Eva Illouz
Eva Illouz, Soziologin mit israelischem Pass, darf nicht an einer Rotterdamer Uni sprechen. Ihre Arbeit an einer Hochschule in Israel spreche dagegen.
Seit einem Vierteljahrhundert fast publiziert Eva Illouz meist auch für ein mit der Soziologie nicht vertrautes Publikum gewichtige Bücher und Essays, die um das Emotionale schlechthin sich drehen. Mit „Der Konsum der Romantik“ gab sie 2003 im deutschsprachigen Raum ihr Debüt, eine Schrift, denkerisch irgendwo zwischen Kultur- und Medienwissenschaft, zwischen Psychologie und Gesellschaftsdiagnose angesiedelt.
„Explosive Moderne“ war ihr vorletztes Buch. Ihre These, etwas vergröbert: Alles, was wir an Gefühligem kennen, ob in jedem Einzelnen präsent oder in der gesellschaftlichen Darbietung, ist medial, literarisch, ästhetisch überhaupt vermittelt. So gut wie nichts an Emotionalem gibt es im ahistorisch zu verortenden Naturzustand: Was wir empfinden und wie wir wiederum dieser Gefühle gewärtig werden, folgt diskursiven Regeln.
Ein Spätfreudianerin ist sie somit auch: wissend, dass wir nicht menschliche Wesen im eigenen seelischen „Haus“ sind. Illouz, 1961 in Fès, Marokko, in eine jüdische Familie hineingeboren, aufgewachsen in Frankreich, zählt zu den einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen weltweit. So gut wie keine akademische Adresse prominentester Art fehlt in ihrer Biografie, aktuell lehrt sie an der École des hautes études en sciences sociales in Paris und an der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Absage nach „interner Debatte“
Dass sie Jüdin und Israelin ist, ist ihr nun zur Last gelegt worden, und zwar von einer Einrichtung, die an der Erasmus-Universität im niederländischen Rotterdam angesiedelt ist. Ihren für Ende November geplanten Vortrag im „Erasmus Love Lab“ müsse man leider absagen, „nach interner Debatte“ und „demokratischer Abstimmung“, weil ihre Bedeutung an der israelischen Universität als „sehr unsensibel“ wahrgenommen werde. Man würde sich mit dem Besuch Illouz’ sehr „unwohl“ fühlen. Was dieses Unwohlsein ausmacht, was dieses Buzzword aus einer aktuellen „Verhaltenslehre der Kälte“ konkret bedeuten könnte, wurde offengelassen.
Die Soziologin replizierte sarkastisch auf diese Ausladung: Es sei erfreulich, dass „eine antisemitische Entscheidung“ demokratisch getroffen worden sei. Die Entscheidung gegen den israelisch-französischen Gast fiel offenbar ohne Erwägung von Zweifeln: Zwar hat die niederländische Universität quasi die Kooperation mit israelischen Universitäten gekappt, nicht jedoch damit konkrete WissenschaftlerInnen meinen wollen. Illouz aber fiel unter das Verdikt – was plausiblerweise mit ihrem auch in Deutschland erschienenen Buch „8. Oktober“ zu tun haben könnte.
In diesem Essay hatte sie weniger das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 im israelischen Negev rekapituliert, sondern die globale Linke angeprangert, die zu keinem Mitgefühl mit den ermordeten Opfern in der Lage gewesen sei und vielmehr den Terroranschlag mit einem lapidaren „So was kommt von so was“ beantwortet habe. Das Büchlein ist eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen fundamentalen Enttäuschung ob dieser Schadenfreude an der islamistischen Aktion, denn Illouz zählt selbst zur Linken, seit jeher.
Für Israel wünscht sie sich einen anderen Ministerpräsidenten als Benjamin Netanjahu, sie zählt zu den schärfsten Kritikerinnen der Politik dieses Regierungschefs. In einem Text für den Spiegel schrieb sie: „Statt Israel zu diffamieren, sollte man denen die Hand reichen, die gegen diese Regierung sind, die Frieden wollen. Man sollte ihnen helfen, sie zu stärken. Stattdessen hat die Welt, besonders die Linke, die Opposition innerhalb Israels isoliert und geschwächt.“
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