Aus für Berliner Mietendeckel: Bye-bye, schönes Leben!

Der Berliner Mietendeckel wurde vom Verfassungsgericht gekippt. Nun beginnt das Fehlersuchen, das Wundenlecken, das Hämeaushalten.

Eine Hand mit orangefarbener tranparenter Schablone vor der grauen Berliner Skyline

Das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel für „insgesamt nichtig“ erklärt Foto: Dirk Sattler/imago

Was ich mit dem gesparten Geld anstelle, dafür hatte ich schon Pläne. Endlich mal ­wieder richtig Urlaub machen, sobald die Pandemie es erlaubt. Etwas zurücklegen für die nächste Waschmaschine oder die nächste Laptop­reparatur. Ach, und vielleicht das erste Mal im Leben zur Feier des Tages einen Champagner? Am Donnerstagvormittag kurz vor halb zehn war’s das dann mit meinen Plänen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt. Das zurückgelegte Geld geht an meinen Vermieter, einen Immobilienerben aus Baden-Württemberg.

Da ich erst im Oktober in eine mietengedeckelte Wohnung gezogen bin, sind das in meinem Fall 2.281,51 Euro – plus fast eine Verdopplung meiner Kaution, die ich nun hinterlegen muss. Und künftig über 300 Euro mehr im Monat Miete. Bye-bye, schönes Leben! Was nach der Entscheidung des Karlsruher Gerichts bleibt, ist Enttäuschung. Dabei ist meine Situation vergleichsweise privilegiert. Meine Festanstellung als Redakteurin, die in der Pandemie nicht bedroht war und ist, hat es mir erlaubt, das Geld für den nun eingetretenen Fall der Nachzahlung zur Seite zu legen. Das sieht bei vielen Ber­li­ne­r:in­nen anders aus.

Student:innen, Alleinerziehende, Familien, Angestellte, Selbstständige, Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen müssen in der Krise ohnehin schon mit deutlich weniger Geld klarkommen. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ber­li­ne­r:in­nen ist im Coronajahr um ein Drittel gestiegen. Zehntausende Menschen sind seit Monaten in Kurzarbeit, viele Selbstständige müssen um Aufträge bangen. Für sie wird eine Nachzahlung schmerzhaft, es war der finanzielle Puffer, der ihnen in den letzten Monaten das Überleben gesichert hat. Das Geld, das sie nun nachzahlen und künftig wieder mehr an Miete zahlen, müssen sie an anderen lebensnotwendigen Stellen einsparen. Alleine ihnen wäre man mehr schuldig gewesen als das Feststellen der Formsache.

Politische Desillusionierung

Aber auch vor der Pandemie konnten sich Menschen mit niedrigen Gehältern das Wohnen in der Mieterhauptstadt kaum noch leisten. Die Mieten bei Neuvermietungen steigen seit Jahren rapide, während die Normaleinkommen sich kaum erhöhen. Zugleich machen sich die Menschen in den Städten immer kleiner. Während im gesamtdeutschen Schnitt die Wohnfläche pro Person seit Jahren steigt und bei knapp 50 Quadratmetern liegt, sinkt sie in den Großstädten und liegt in den meisten Berliner Bezirken unter 40.

Während die Mie­te­r:in­nen nun rechnen, zählen und verzweifeln, gibt es großen Jubel auf der anderen Seite. Die Aktienkurse der börsennotierten Wohnungsunternehmen wie der Deutsche Wohnen stiegen am Donnerstag deutlich an. Und auch bei einigen privaten Im­mo­bi­li­en­be­sit­ze­r:in­nen knallten am Donnerstag wohl die Korken von dem Champagner, den ich mir jetzt nicht mehr gönne.

Und meine Enttäuschung verwandelt sich in politische Desillusionierung. Der Entscheid des Verfassungsgericht beweist, wessen Interessen in diesem Land durch die geltende Rechtsordnung geschützt werden. Was bleibt, ist also die Wut. Die Wut auf das Verfassungsgericht, das den Deckel aus formalen Gründen gekippt und eine inhaltliche Prüfung einfach ausgelassen hat.

Wut auf die 284 Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und FDP, die den Antrag auf eine ab­strak­te Normenkontrolle gegen den Mietendeckel eingereicht hatten. Wut über Haus- und Wohnungsbesitzer:innen, die mit ihrem Jubel über den Entscheid auf Mie­te­r:in­nen spucken und denen oft nicht bewusst zu sein scheint, wie desaströs die Lage für viele ist.

Kein Schutz der Mie­te­r:in­nen

Und Wut auf die Zustände in unserem Land, die es erlauben, dass Menschen wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Kauf ihrer Villa wohl von der Sparkasse mit Krediten vollfinanzieren lassen, während Millionen Menschen mit mon­strö­sen monatlichen Mieten kämpfen; Wut auf Menschen wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der die Schuld für das Leid der Mie­te­r:in­nen dem rot-rot-grünen Senat in die Schuhe schieben möchte – obwohl die CDU selbst kaum etwas für den Schutz der Mie­te­r:in­nen tut.

Seit Jahren sind alle gut darin aufzuzeigen, inwiefern der Mietendeckel angeblich fehlerhaft, unsinnig oder naiv ist – aber ein ernsthaftes politisches Programm gegen die Wohnungskrise sucht man weit und breit vergebens.

Natürlich war die Idee des Berliner Senats riskant, die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre einzufrieren und überhöhte Mieten abzusenken. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hatte den Mie­te­r:in­nen von Beginn an empfohlen, die Beiträge zu sparen für den Fall einer Rückzahlung. Die Berliner Regierung wollte zeigen, dass linke und sozialdemokratische Politik in diesem Land möglich ist. Sie wollte einen Markt regulieren, unter dem viele leiden und von dem einige wenige enorm profitieren. Sie wollte umverteilen – von den Immobilienkonzernen zu den Mieter:innen, wenn auch nur ein bisschen. Doch die bestehende Rechtsordnung hat all das verhindert.

Es bleibt also erst einmal Resignation. Klar, es wäre schön, wenn diese Wut einen Push gäbe zum Weiterkämpfen und Radikalisieren. Für den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, über den vermutlich am 26. September abgestimmt wird. Klartext vor der anstehenden Bundestagswahl: Welchen Parteien liegt die Mieten- und damit auch die Klassenfrage wirklich am Herzen? Und dass mehr Menschen verstehen, dass „der Markt“ eben nichts regelt.

Viel eher befürchte ich, dass aus der Enttäuschung über das Kippen des Mietendeckels eine Politikverdrossenheit entsteht. Dass Politik eben doch nichts bewegen kann. Das Einzige, was mir heute bleibt, ist der Wunsch, dass ich mich irre.

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