die erklärung
: Soll man versuchen, die AfD zu verbieten?

Seit ihren jüngsten Erfolgen bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden wieder Forderungen nach einem Parteiverbotsverfahren gegen die AfD laut. Wäre das eine gute Idee?

Eine Demonstration gegen die AfD am 20. Januar 2024 in Frankfurt am Main

Eine Demons­tration gegen die AfD am 20. Januar 2024 in Frankfurt am Main Foto: Fo­to:­ Ferhat Bouda/agence vu/laif

ja,

denn da sind AfD-Funktionäre, die Migranten und Muslime pauschal als „Parasiten“, „Invasoren“ oder „Messermänner“ bezeichnen. Die sie, mehr noch, für eine „millionenfache Remigration“ vorsehen oder „in Anatolien entsorgen“ möchten. Die unablässig von einer „Parteiendiktatur“ und „Volksverrätern“ sprechen, wenn sie demokratische Politiker meinen, oder von der Bundesregierung als „psychisch kranke Deutschlandhasser“. Die NS-Verbrechen kleinreden und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ wollen. Die Widerstand gegen einen „schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung“ einfordern und einen Überlebenskampf predigen. Es sind Äußerungen, die sich durch die ganze AfD ziehen, die längst ihr Wesenskern sind. Es sind Kampfansagen, an Migranten, Muslime, Demokraten.

Was ist damit zu tun? Weghören können wir uns nicht mehr leisten. Und vor allem können es sich die Betroffenen nicht leisten, die dieser Hass trifft.

Natürlich ist mit Parteiverboten nicht leichtfertig umzugehen. Und natürlich gibt es das Risiko, zu scheitern. Aber die Gefahr, dass sich Geschichte wiederholt, dass sich hier eine Radikalisierungsspirale immer weiterdreht und immer mehr Menschen in diesem Land mitreißt, ist größer.

Der Rechtsstaat kann nicht einer Partei zusehen, sie gar noch mitfinanzieren, die von rechtsextremen Motiven getrieben ist, die derart völkische Töne anschlägt, dass es selbst anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa zu weit geht.

Ein Verbotsverfahren hat auch nichts mit politischer Taktiererei zu tun. Es gibt einen gesetzlichen Auftrag, wie mit solchen Parteien umzugehen ist. Er steht in Artikel 21 des Grundgesetzes: Parteien, deren Ziel es ist, die Demokratie zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Und die AfD liefert dafür seit Jahren Belege. Sie finden sich hundertfach in Materialsammlungen des Verfassungsschutzes – und sie sind auf offener Bühne zu hören, wo immer die AfD auftritt. Auf all das nicht zu reagieren, wäre geradezu fahrlässig. Im Gegenteil ist der nächste Schritt – eine Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht, ob die AfD verfassungswidrig ist und damit verbotsreif – folgerichtig.

Dass die Partei inzwischen zu populär für ein Verbot sei, ist hierbei kein Argument: Was zählt, sind ihre Ziele. Das NPD-Verbot scheiterte vor einigen Jahren nicht an den verfassungsfeindlichen Zielen der Partei – die sah das Gericht erwiesen –, sondern daran, dass ihr die Macht fehlte, diese durchzusetzen. Die AfD hat nun diese Macht. Und ihre Ziele sind von denen der NPD kaum mehr zu unterscheiden. Was ein Handeln umso dringlicher macht.

Die hiesige Demokratie hat schon einmal zugesehen, wie sie schrittweise abgeschafft wurde. Den Fehler sollte sie nicht ein zweites Mal tun. Wie lange will man diesmal zusehen?

Ja, ein erfolgreiches Verbot würde den AfD-Anhängern nicht das Gedankengut nehmen. Aber es würde ihnen zeigen, dass der Rechtsstaat Grenzen setzt und die Menschenwürde aller weiter gilt.

Und wenn ein Verbot scheitert? Dann wäre es zumindest ein Warnschuss für die AfD – und für alle anderen bestenfalls Aufklärung, wofür diese Partei steht.

Es ist klar, dass ein Verbotsverfahren allein nicht ausreicht. Es braucht daneben auch eine aktive, demokratische Gesellschaft, es braucht überzeugendere Angebote der anderen Parteien. Ein AfD-Verbotsverfahren aber von vornherein auszuschließen, bewusst auf dieses Ins­trument des Grundgesetzes zu verzichten, das lässt sich vielleicht für einige leicht tun. Aber für diejenigen, die die AfD als Feinde und „Parasiten“ markiert, die sie aus dem Land schaffen will, nicht. Sie darf der Rechtsstaat nicht alleine lassen. Konrad Litschko

nein,

denn der jetzt im Bundestag diskutierte Antrag auf ein AfD-Verbot wäre leider kein Befreiungsschlag, sondern eine Kapitulation.

Ein juristisches Vorgehen gegen politische Konkurrenten ist ein Eingeständnis des Scheiterns. In einer liberalen Demokratie muss das Ziel immer sein, bei freien Wahlen Mehrheiten zu gewinnen. Autoritäre Verbote von Oppositionsparteien dürfen nur das allerletzte Mittel sein, wenn die Grundordnung existenziell bedroht wird. Ob der gesamten AfD entsprechende Bestrebungen nachgewiesen werden können, ist noch nicht sicher. Aber selbst wenn: Ein Verbotsantrag wäre im Moment unklug und riskant.

Ausgerechnet nach den bisher größten Erfolgen der AfD bei Landtagswahlen ein Verbot anzustreben, wirkt wie eine Panikreaktion der Konkurrenz, die es sich nicht mehr zutraut, den Siegeszug der AfD bis hin zur Machtergreifung aufzuhalten. Für Panik aber gibt es keinen Grund, wenn eine Partei in bundesweiten Umfragen bei 17 Prozent liegt. So schrecklich es auch ist, dass so viele Menschen so furchtbare Hetzer wählen – die Verteidiger der Demokratie sollten darauf selbstbewusst reagieren und auf ihre eigene Überzeugungskraft vertrauen.

Die Lage ist besser, als die vielen Verzagten meinen. Seit die AfD vor über zehn Jahren aufgetaucht ist wählen rund 80 Prozent der Deutschen trotz multipler Krisen weiter stabil demokratisch – deutlich stabiler als in vielen anderen Ländern, in denen trotzdem keine Verbote geplant werden. Warum also fatalistisch und fahrlässig herbeireden, dass die AfD bald mehrheitsfähig werden könnte? Das hätte sie gern! Es macht sie nur stärker.

Jetzt ein juristisches Stoppschild aufzustellen, könnte das Gegenteil bewirken. Nicht nur im Worst Case, also einem Scheitern des Verfahrens vor Gericht. Schon der Antrag könnte zu einer stärkeren Solidarisierung mit der AfD führen, erst recht nach einem Verbot. Oder glaubt irgendjemand, dass ihre Sympathisanten dann reumütig ihren Irrtum einsehen und zu den humaner gesinnten Parteien zurückkehren werden?

Wohl kaum. Dass es zu einer Befriedung der Gesellschaft führt, wenn Millionen Menschen nicht mehr wählen dürfen, was sie wollen und ihre Vertreter notfalls von der Polizei aus den Parlamenten entfernt werden, ist eine, nun ja, ziemlich optimistische Vorstellung.

Es stimmt zwar, dass sich die AfD immer schon als armes Opfer des Systems aufspielt. Doch wie jede Verschwörungstheorie würde auch diese deutlich wirkungsvoller, wenn neben all den Lügen etwas Wahres dran wäre. Wenn die AfD heute beklagt, dass man nichts mehr sagen dürfe, kann man leicht antworten: Doch! Hier! Wenn sie aber wirklich verboten wird, könnten auch bisherige Mitte-rechts-Wähler für die Opfererzählungen empfänglich werden.

Ohnehin lässt sich das rechte Gedankengut nicht wegverbieten. Nach einer AfD-Auflösung würden sofort Ersatzparteien gegründet. Und dann? Ein Verbot nach dem anderen? Politische Betätigungsverbote für Tausende Ex-AfD-Politiker und ihre Fans in einer zunehmend digitalen Welt?

Nein, Verbote können das Problem bestenfalls verschieben. Um einen rechten Durchmarsch zu verhindern, müssen die demokratischen Parteien standhaft gegen die Hetze kämpfen, aber vor allem endlich wieder eigene, attraktive Ideen entwickeln, damit sich genug Menschen von ihnen vertreten fühlen – und dann kompromissbereit neue Koalitionen bilden, die besser funktionieren als die Ampel. Wie, daran glauben Sie nicht mehr? Genau da liegt das Problem. Wenn selbst Demokraten nicht mehr an die Selbstheilungskraft der Demokratie glauben, kann man eigentlich einpacken. Und gegen so viel Resignation helfen auch keine Parteiverbote.

Lukas Wallraff