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Die Sinnhaftigkeit von IronieIst Harald Schmidt an allem schuld?

Ironie kann ein privates Leben positiv bewegen, aber keine Gesellschaft.

Wird sich Deutschland von Harald Schmidt erholen? Foto: Frank Augstein/ap

H arald Schmidt war mein Gott, Ironie war mein Lebensstil. Nach dem Ende der großen Religionen (Christentum, Sozialismus) wäre sonst um den Beginn des 21. Jahrhunderts herum nur noch Fußball geblieben, und das war selbst mir zu popelig. Außerdem war der ironische Widerstand ziemlich komfortabel.

Ein weiteres Incentive mag gewesen sein, dass um mich herum Classic-Linke total humorlos gegen unsere Ironie kämpften, die sie – völlig zu Recht – für affirmativ gegenüber den bundesrepublikanischen „Verhältnissen“ (Freiheit und Wohlstand) erklärten.

Letzteres war ein eindeutiges Indiz, dass wir Ironiker richtiglagen. Allerdings kein Beweis, denn das ironische und selbstironische Sprechen und Lachen meint ja den dauerhaften Zweifel und die ständige Suche, sein Denken zu erweitern.

Was Classic-Linke nicht brauchen, schließlich sie sind im Besitz der ganzen Wahrheit. Deshalb fürchten sie das Lachen, wie der etwas verbissene Klosterbibliothekar Jorge von Burgos in „Der Name der Rose“. Weil lachen antiautoritär ist, weil es zumindest für einen kurzen Moment Angstfreiheit schenkt und Autonomie gegenüber dem Dogma der einen Wahrheit.

Was bringt Ironie?

Jedenfalls taucht unter den veränderten politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen im Westen in diesen Tagen wieder die Frage auf, ob der große Nürtinger Ironiker Schmidt nicht doch der falsche Held war und was Ironie bringt, wenn es ernst wird. Der in Kalifornien lebende Schriftsteller Jonathan Franzen hat sich gerade in einem Gespräch mit dem Stern gegen Ironie als Mittel zur gesellschaftlichen Aufklärung und Veränderung ausgesprochen. Er dachte das mal und sagt heute: „Das war eine dumme Idee.“ Ich fragte ihn, warum.

Franzen sieht den großen Nutzen, den Ironie für manch Einzelnen hat, um mit der Welt klarzukommen, und für Mitglieder einer kleinen Gemeinschaft, um sich gegen eine lieblose Welt zu verteidigen. Gleichzeitig attestiert er Ironie eine „soziale Nutzlosigkeit“. Mit ihr erreiche man letztlich nur die, die es eh schon wissen.

Vielleicht kann man das am besten mit Joseph Ratzinger belegen. Bei seiner Wahl zum Pontifex maximus titelte Bild: „Wir sind Papst“. Wir, die taz, titelten: „Oh, mein Gott“. Das eine war lustig-affirmativ und populistisch, das andere ironisch-kritisch und subtil. Unser Titel war tausendmal brillanter, aber der von Kai Diekmann verantwortete Spruch war ungleich erfolgreicher, erreichte Millionen und ging ins kollektive Gedächtnis ein.

Die Schriftstellerin Jagoda Marinić schreibt in der kommenden Ausgabe von taz Futur­zwei: „Manchmal denke ich, das Land wird sich von Harald Schmidt nie mehr erholen.“ Sie reduziert zumindest seine Ironie darauf, einfach alles andere von oben herab abzuwerten, sich selbst aber nicht zu bewegen.

So ein Alle-schlimm-außer-ich-Höhnen wäre wirklich nicht hilfreich, gleiches gilt für eine ausschließlich distanzierende und selbstverliebte Verwendung von hochmoralischem Sprechen. Ich weiß nicht, ob Marinić damit Schmidts Wirken zu hoch oder zu negativ einschätzt; dem Glücks- und Aufklärungspotenzial gelingender Ironie für einen Menschen, gerade in ernsten Zeiten, wird sie damit jedenfalls nicht gerecht.

Grundsätzlich denke ich aber (im Moment), dass Jonathan Franzen richtigliegt. Ironie kann ein privates Leben positiv bewegen, aber keine Gesellschaft. Mehr noch: Je tiefer, subtiler und im Sinne Richard Rortys utopischer die Ironie, desto weniger Leute erreicht sie. Nach außen gilt daher: Klartext.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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55 Kommentare

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  • Noch was - für gut pointierte Ironie hätte H.S. auch mal beim 🌜🐑 inne Schule gegangen sein können...

  • Schmidt ist kein besonders begabter Schauspieler, hat aber das Wesentliche im Theaterbereich gelernt, nämlich Äußerlichkeiten seiner Mitmenschen genau zu beobachten und als Material zu benutzen. Diese Fähigkeit hat er im klassischen Kabarett vertiefen und ausbauen können. Hinzu kommen bei ihm ein fulminantes kulturelles Wissen, Schlagfertigkeit und eine immense rhetorische Begabung.

    Schmidts stetig wiederholte Aussage, dass ihn Inhalte nicht interessieren, muss man ernst nehmen, auch und gerade, weil sie natürlich hinten und vorne nicht stimmt.

    Schmidt ist ein Meister darin, Haltungen jedweder Couleur zu dekonstruieren, indem er die Aufmerksamkeit auf das total Nebensächliche lenkt. Er führt Außerministerin und Völkerrechtlerin Annalena Baerbock vor, indem er auf Ray-Ban-Brille und Pudelmütze eingeht. Mit einer linkischen Bewegung des Unterarms demontiert er Roger Willemsen. Mit zwei dialektal gefärbten Sätzen zieht er über seine schwäbischen Landsleute her. Damit öffnet er Räume für moralisches Raisonnement, ohne die Dinge direkt beim Namen zu nennen.

    Das ist in Summe mehr als bloße Ironie.

  • Naja, Harald Schmidt hat ja nicht wirklich wehgetan, sondern war manchmal richtig frech – und hat (mich jedenfalls) im Laufe der Zeit dann doch genervt.



    Aber wie steht´s mit jemandem wie Dieter Nuhr? Der trifft mit seinen Pfeilen oft genug in mein linksgrünes Herzchen – und bringt mich mehr zum Nachdenken als jemand, mit dem ich mich "irgendwie" auf einer Linie fühle. ... und das umso mehr, als er in unserer an Unterscheidungsvermögen nicht immer reiche linke Szene in eine rechte Ecke gestellt wird, was dann schon genügt, um ihn gleich ganz abzumelden.



    Ich hoffe, unsere Hofnarren bleiben frech und ärgerlich, auch wenn´s mich im Einzelfall richtig nervt.



    Die Grenze liegt bei mir, wo Menschen wegen ihres Andersseins verunglimpft werden.



    Das kann auch die Linke gut,



    voll wackerem Mut



    alles unter den rechten Hut



    natürlich mit aufrechter Wut.

  • Schmidt hat sich früh eine Welt geschaffen in der es sich viele bequem machen konnten - mich eingeschlossen. Ich brauchte allerdings meine Zeit, da mir Naivität und ein Mangel an Selbstbezogenheit im Wege standen.



    Zudem fehlte das Bildungsniveau um sich ausreichend genug drüberstellen zu können.



    Schmidts Lebensmodell finde ich mittlerweile fade, weil zu selbstgerecht und in Deutungshoheit verhaftet. Selbst seine Traumschifftrottelei spricht er mehr Sinnhaftigkeit zu als bloße Gier nach gebührenbezahlter Eitelkeit.



    Komisch bzw. ironisch ist daran gar nichts - nur zynisch und deppert dilettantisch.



    Er sitzt in seiner Blase der Unangreifbarkeit fest und ich schau mir das leider nicht mehr gern an. Es langweilt. Trotzdem hinterlässt er eine Lücke, die m.E. bisher noch niemand füllen konnte. Dafür meinen Respekt! Dennoch, Feuerstein war viel radikaler und rebellischer. Das schwäbische Cleverle wußte genau wie er ihn benutzen konnte um zu glänzen und wußte um den Moment der Abstoßung um mit anderen willfährigeren Gehilf:innen den Nimbus gefahrlos zu mehren. Dafür meinen Undank.

  • Ich würde es genau anders herum sehen (Privat/Öffentlich)

    In der öffentlich-gesellschaftlichen Debatte ist Ironie ein nicht wegzudenkenes, überaus wichtiges Stilmittel. Katastrophe, gäbe es sie nicht mehr.

    Im Privaten dagegen kann die andauernde Ironie, sollte sie zum destruktiven Zynismus mutieren eine ganze Menge anrichten. Beziehungen zerstören, Charaktere deformieren und Depressionen fördern.

    Ich denke an den Typus des intellektuellen Stinkstiefels, der früher mal ganz hehre Ziele hatte und nun seine durch Zynismus als schleichendes Gift verursachte Depression arrogant als Intelligenzbeweis sieht, weil ja nur er/sie die Welt durchschaut. Während die anderen natürlich nur ganz oberflächliche Menschen sind - schon klar.

    In einer Grundschule las ich einmal an der Wand den Satz



    "Humor ist der Schwimmgürtel des Lebens" eine damalige Freundin ergänzte "Und Zynismus ist der Bleigürtel".



    Genauso ist es.

    Was Harald Schmidt angeht:

    Er hat gemeinsam mit Typen wie Stefan Raab die Häme, Bloßstellen und Mobbing in der Gesellschaft salonfähig gemacht. Mehrwert?

    Schmidt zwar mit dem Florett, da intellektuell Raab weit überlegen, aber Intellektualismus ist kein Wert an sich.

  • Ironie bleibt häufig genug elitär selbstbezogen: Der Ironiker zwinkert Jenen zu, die die "Wahrheit" kennen und daher auch mitbekommen, dass er sie gerade geistreich verdreht. Sowas geht aber so meilenweit daran vorbei, auch Jene intellektuell zu packen, die des Ironikers Vorstellung von der "Wahrheit" nicht teilen, dass man eine heilende Außenwirkung wohl recht sicher ausschließen kann.

    In ihren guten Momenten hingegen ist Ironie ein Augenöffner, wenn sie die Absurditäten menschlichen Daseins verbal erfahrbar macht, auch wenn man es sichin ihnen eigentlich schön bewuem gemacht hatte. Dafür bedarf es freilich manchmal einer weniger feingeistigen rhetorischen Dampframme: Selbst "Wir sind Papst!" dürfte für etliche Leser schon zu subtil gewesen sein - von "Oh, mein Gott!" ganz zu schweigen (weshalb ich auch die Brillianz-Diagnose zu letzterer Schlagzeile höflich anzweifeln würde und mich frage, wie ironisch Herr Unfried da gerade wieder war...).

  • Manchmal lässt sich die Welt nur mit Ironie ertragen. Manchmal ist Ironie die einzige tröstliche Alternative zu den Zurichtungen eine exklusiv-autoritären Mehrheitsgesellschaft, manchmal hilft einem Ironie zu Lachen, wo's nix mehr zu lachen gibt. Es tut auch gut, dass Ironie von den wenigsten verstanden wird. Mehr ist nicht? Mir reicht's.

  • Und Mario Barth war der Vorzeigekomiker für progressiven Humor?

    Da redet sich aber seine Vergangenheit schön. Schmidt war für Mainstreamlacher um Zuschauerzahlen zu steigern. Gute 'Ironiker' fand man woanders, Engelke und Pastewka wären ein zumindest besseres Beispiel.

  • Ich vermute, dass es nicht die Ironie ist, die sich politisch positionierende Menschen nachträglich von Harald Schmidt abwenden lässt, sondern seine offensive Weigerung, einen Standpunkt, gar eine Haltung einzunehmen. In der "Silence-is-violence"-Gesellschaft gilt das nicht als tragbar.

    Ironie ist ja herzlich willkommen, wenn sie im Gewand von Böhmermann, heute-show und Extra 3 als Stilmittel genutzt wird, den politischen Gegner ins Lächerliche zu ziehen und die eigenen Botschaften zu unterstreichen.

  • Das Problem ist doch offensichtlich, dass enorm viele Menschen Stilmittel und Begrifflichkeiten wie Ironie, Sarkasmus, Zynismus, Polemik, Spott und Satire nicht unterscheiden können oder es aufgrund einer generellen Humorlosigkeit nicht wollen. Dass sie kein Gespür dafür haben, wann was davon angebracht ist.



    Ironie ist schlicht ein rhetorisches Stilmittel, dass man sowohl positiv als auch negativ einsetzen kann.



    Es gibt auch viele Menschen die Metaphern nicht verstehen, völlig falsch interpretien oder benutzen. Sollte man dehalb im öffentlichen Diskurs darauf verzichten?



    Dass jemand Harald Schmidt auf "Verhöhnung von oben herab" reduziert, wundert mich im doch ziemlich humorverkorksten Deutschland allerdings kaum. Die Behauptung, Ironie hätte keinen sozialen Nutzen qualifiziert allerdings sämtlichen politischen Humor, vom Kabarett bis zum Satiremagazin, als unbrauchbaren Nonsens ab. Was könnte mehr "von oben herab" sein?

  • Ironie bringt der Gesellschaft nichts? Affirmativ, um ein Lieblingswort des Autoren zu gebrauchen, liegt dieser Aussage die Halbwertszeit des Vergessens zugrunde.

    Als Boomer wie Harald Schmidt mag man Peter Unfried nicht zugute halten, dass die Ära des guten Leonid, genannt Breschnew, an ihm vorrübergegangen ist: Es war die Hochzeit der Diktatur, die Zeit der Sprach- und Schreibverbote, von denen heute Querdenker, Pegidisten und AfDler mit und in ihrer Blase faseln, es gab sie wirklich. Und es gab tausende Harald Schmidts, sie machten graue Literatur, der sogenannte Samisdat. Und weil man nicht schreiben konnte, was ist, schrieb man was nicht ist. Das konnte man. Kritik versteckte man hinter Lachen, auf dass es im Hals stecken bliebe. Das Leben ist schön… der Sarkast Harald Schmidt weiß wohl, warum er diese Benigni-Grenze nie gerissen hat.

    Wohin das führt, lieber Peter Unfried? Zu Vaclav Havel und Wenedikt Jerofejew und seiner Reise nach Petuschki. Die Fahrt ist eine Irrfahrt. Sie tritt auf der Stelle, sie kommt nie los oder bildet sind das nur ein.

    Sehr bezeichnend heißt dieser Ort der großen Vernebelung Kursker Bahnhof.



    Oder wie der Held Wenja sehr oft sagt: "Also trank ich."

  • Ersetze Ironie durch Humor, dann kann ich zustimmen … Ironie hat auch die Tendenz, ins Zynische und damit ins Inhumane zu schwappen. Die zynische Spielart der Ironie saugt Lebensfreude ab, die wir in heutigen, schwierigen Zeiten dringend benötigen.



    Außerdem kann Ironis feige und verantwortungslos sein, dort, wo unzweideutige Klarheit angesagt wäre … und sie ist unfair gegenüber denen, die sie nicht verstehen. (Nein, das ist NICHT alleine das Problem der vermeintlich Dummen, wenn der Ironiker voller Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude - Ironie eben! - auf deren Nicht-Verstehen verweist).

    • @Abdurchdiemitte:

      Vorsicht: Ironie ist kein foobar für Sarkasmus oder gar Zynismus. Zwischen diesen drei Spielarten des Humorvollen oder auch Abschätzigen gibt es feine, aber sehr wichtige Trennlinien.

  • Vielen Dank für diesen Artikel! Ich fühlte mich intellektuell und emotional angesprochen und konnte lachen - und das meine ich nicht mal ironisch.



    Auch wenn ich eigentlich gar nicht mit der Schlussfolgerung übereinstimme. Denn Ironie kann sehr wohl für eine Gesellschaft sehr wichtig sein - und Harald Schmidt war das zu seiner Zeit auch außerordentlich. Denn Ironie macht Aussagen, die falsch oder richtig sein können, die aber nicht rational diskutiert werden müssen und können - eben weil man darüber lachen kann. Und deshalb, weil Ironie es ermöglicht über gesellschaftlich ernste Themen Aussagen zu machen, über die gelacht werden kann, stehen diese Aussagen für sich, können gesellschaftlich wirken oder verworfen werden, ohne Wahrheit beanspruchen zu müssen.



    Und für eine solche entspannte gesellschaftliche Auseinandersetzung zu wichtigen Themen in Deutschland sollten wir Harald Schmidt noch immer dankbar sein - und Ihnen für diesen Artikel.

  • Ironie ist die Würze in einem Gericht, manchmal Schampus dazu. Aber irgendjemand muss immer noch das Gericht kochen.

    Ich habe während Trump und Corona für eine längere Zeit meine ganzen Nachrichten aus der heute show, der Daily Show und von Stephe Colbert bezogen, um die Welt überhaupt ertragen zu können.

    Trotzdem habe mich dann irgendwann nach der humorfreien Tagesschau zurückgesehnt, die zwar keinen Spaß macht, aber wenigstens früher mal das Zeug dazu hatte, in der Gesellschaft einen Common Ground zu etablieren. Die, die wir verspotten, gehören halt auch dazu. Lieber ab und zu mal Cringe als irgendwann Bürgerkrieg.

  • Ironie zu verstehen, erfordert die Bereitschaft zum Denken und eine gewisse Flexibilität und auch Komplexität der Gedanken.

    Komplexität ist Radikalen, Ideologen, Gläubigen, (Irgendetwas)-Leugnern verhasst. Solche Leute fallen auf gröbsten Satire-Unfug herein. In radikalen Blasen wird regelmäßig "Der Postillion" als Nachrichtenquelle zitiert.

    Welchen Platz hat da noch die Ironie?

  • Ironiefähigkeit unterscheidet die Erwachsenen von den Kindern. Das macht sie so unbeliebt bei den Junggebliebenen.

  • Schmidts bzw. Feuersteins Ironie war zunächst mal denkfördernd.



    Dann wurde es zur Geldverdienmasche, trat von oben gegen Minderheiten und engagierte Menschen. Springerpresse für Ex-Intellektuelle.



    Harald Schmidt hat nun sein Haus im Villenviertel, doch wo ist der ehemalige auch politische Kabarettist Schmidt hin?

    Ironiesauce kann den Geschmack eines unguten Zynismus' eben auch nicht völlig verdecken. Auch in diesem Artikel womöglich nicht.

  • Es gibt einen Mitschnitt aus den Auschwitzprozessen. Ein Überlebender sagt als Zeuge, "der kleine Absalom, der mit seinen 16 Jahren ankam, der wusste, was in Auschwitz loswar!" sich den angeklagten SS Schergen zuwendend: "Aber diese Herren nicht."

    Ironie kann der Welt das Herz zerfleischen.

  • "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die nächste Bundesregierung die sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend voranbringen muss."

    "Delenda Carthago!", Cato der Ältere im Jahre 2024. Klartext und Ironie in einem Zug.

    +1

  • Ironie verstehen viel zu wenige und die meisten verstehen sie falsch. Dass man die Gesellschaft mit Ironie bewegen könnte, ist deshalb schon der falsche Ansatz.



    Ob Klartext hingegen hilft? Das wäre wahrscheinlich zu aggressiv. Zumindest im liberal-grün-konservativen Lattemachiatomillieu wird man damit sehr schnell über die Hürde "gewaltfreie Kommunikation" stolpern. 😉

    • @Nansen:

      Wieso sollten "liberal-grün-konservativen" nicht gewaltfrei sein?

      Demokratie lebt davon!



      Es stören eigentlich nur die Selbstjustitzler und andere Wutbürger. Aber vielleicht kommt man sich mit Schaum vor dem Mund ja größer vor. 🤓

      • @Rudolf Fissner:

        Sie haben es nicht verstanden oder verstehen wollen. Erstens setzen sie gewaltfreie Kommunikation mit gewaltfrei gleich - doch das funktioniert weder in die eine noch die andere Richtung 100%ig.



        Dann missverstehen sie, dass der Modus der klaren Worte auch eine urdemokratisch Tugend ist, weil Verständni der Standpunkte, des Wollens Wahrhaftigkeit voraussetzt. Wenn man Verständlichkeit nicht liefert sondern eigene Gedanken einzwängt oder andere einzuzwängen versucht, kann man politisch ganz schwer Austausch erzeugen udn ganz schwer überzeugen. Es ist sogar schädlicher immerzu zu changieren oder ironisieren, weil Politik Regelung des Zusammenlebens bedeutet und wenn man nicht mal klar sprechen kann, was man will aber gleichzeitig denen, die es tun vorwirft, dass sie es tun, ist man der Zersetzer des demokratischen Diskurses. Auch wird hier deutlich, warum Ironie politisch nur in sanften Dosen Sinn macht: Vielleicht genügt sie zum Lächerlichmachen und Gutfühlen, aber sie beschädigt die ernste Sache: Regelung des Gesellschaftlichen Zusammenlebens.

  • Wo keine Ironie/Humor mehr möglich sind, wird die Welt wieder zu einer Scheibe.

  • Ironie ist inzwischen nicht mehr Mittel zur gesellschaftlichen Aufklärung und Veränderung sondern richtig sich gegen die alternativlose Zivilgesellschaft.

    • @Wee:

      ...oder deren Gegner (die es trotz vielbeschriehener Alternativlosigkeit ja durchaus zu geben scheint). Kommt nur darauf an, WER gerade ironisiert. Ironie ist nicht denknotwendig subversiv.

      In diesem Sinne: Man könnte eigentlich meinen, dass einem kommunikativen Mittel gegen die "alternativlose Zivilgesellschaft" ein zetrales "gesellschaftlich aufklärerisches" Element nicht so ganz schlecht zu Gesicht stünde...

  • Wie sagte mein alter Relilehrer :



    " es passt nicht immer Alles zu Allem "!



    So passt auch Ironie nicht immer, in manchen Gegenden wird die auch kaum verstanden.



    Da hilft tatsächlich nur : klare Kante!



    Das große Problem scheint mir weniger der Weg zur Erkenntnis, der auf amüsante Art, meiner Meinung nach, besser haften bleibt, sondern ein Mangel an Erkenntnis.



    Erkenntnisgewinn wurde durch Dogmatismus, Diskussion durch Rechthaberei ersetzt.



    Eine Diskussion scheint nicht mehr ergebnisoffen, sondern der selbstgewählte Standpunkt wird bis auf's



    i - Tüpfelchen verteidigt.



    Das Wort " Kompromiss" wird selten ohne das Wort "faul " genannt.



    Was sagt das über den Zustand unserer Demokratie aus?



    Mir scheint, da wurde unbemerkt schon viel Autoritäres aus dem rechten Sprachgebrauch übernommen.



    Es ist ebenfalls erschreckend, mit wie wenig Respekt heutzutage PolitikerInnen begegnet wird.



    Menschen, die für unsere Gesellschaft vielleicht noch nie einen Finger krumm gemacht haben, meinen Zusammenhänge, aus dem Tal der Ahnungslosen heraus, bewerten zu können. Dass dies das Erodieren unserer Demokratie beschleunigt, wird nicht erkannt.



    Schuld daran sind doch wohl die Rechten.

  • Sehr schöner Artikel, Herr Unfried. Danke.

    Bei Ihrer Begeisterung für Harald Schmidt bin ich total dabei.

    "Ironie als Mittel zur gesellschaftlichen Aufklärung und Veränderung"

    Da ist Ironie etwas eng geschnallt.

    Ich würde mich nicht allein an Ironie festmachen, sondern an einem wunderbaren Humor, der dem Leben eine köstliche Note gibt und so viele ernste, festgefahrene Situationen so leicht und elegant knacken lässt.

    Ironie und Humor um ihrer selbst willen.

    "Deshalb fürchten sie das Lachen, wie der etwas verbissene Klosterbibliothekar Jorge von Burgos in „Der Name der Rose“. Weil lachen antiautoritär ist, weil es zumindest für einen kurzen Moment Angstfreiheit schenkt und Autonomie gegenüber dem Dogma der einen Wahrheit."

    Ein phantastischer Satz.

    Lachen kann einen aus dem Mind bringen und ist daher eine großartige Meditation.

    Next Step: Satori.

  • Ja, das musste mal gesagt werden … ich hab schon damals nicht verstanden, warum seine Show Kult ist.



    Witze auf Kosten anderer sind nicht lustig.

    • @Kay Brockmann:

      Witze sind immer auf Kosten anderer.

      • @Harry Rehm:

        Nun, man kann jemanden mit einer Herzlichkeit aufziehen (und trotzdem die Wahrheit sagen), oder das destruktive Fertigmachen als angeblich aufklärerische Tugend fehlinterpretieren.

        Was die politische Ironie angeht, so kann es aber schon mal etwas rauer sein, da diejenigen die austeilen eben auch einstecken müssen (aber selbst da, sollte immer noch menschlich miteinander umgegangen werden).

  • Ironie ist, wenn man trotzdem lacht. Auch wenn man sie nicht verstanden hat.

  • Derweil Harald Schmidt nicht immer viel zu sagen hatte, hat er wenigstens seine nichtssagende "Shows" mit professioneller Mucke von Helmut Zerlett und Companie garniert.



    Ironie hört man da auch weniger deutlich...

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      So isset - anschließe mich

  • Ironie ist verharmloste Aggression vom feinsten und ironische Menschen sind abstoßend. Meine Meinung.

    • @Linkerhand:

      ... und das soll jetzt sicher ganz und gar nicht aggressiv 'gelesen' werden ... ironie ist ein wunderbarer spiegel ;-)

    • @Linkerhand:

      Ich kann mich auch nicht leiden.

    • @Linkerhand:

      ... und das ist jetzt bestimmt überhaupt nicht aggressiv gemeint ...

  • Der ironische Rückgriff auf Cato, quasi zur Selbstidentifizierung als Gymnasiast alter Schule, kann leider nicht verschleiern, dass retrospektiv die wahre Ironie darin liegt, dass die angesäuerten Altlinken mit ihrer Forderung "die Dinge jetzt doch mal endlich ernst zu nehmen" leider goldrichtig lagen und der eigene Spott und Wortwitz von damals sich schlussendlich als feiges Feigenblatt entlarven, um sich nicht mit dieser unangenehmen Angelegenheit des Machens befassen zu müssen. Jetzt haben wir den Feigenblattsalat und das Kind ist so tief in den Schacht gestürzt, dass kein Seil mehr herunter reicht. Im Stil des Gymnasiasten alter Schule bleibt da nur ironisch zu kommentieren: "Wir ham's euch ja gesagt..."

  • Danke für ehra Ehrlichkeit. Das ist wahrlich selten! Gell



    “Harald Schmidt war mein Gott, Ironie war mein Lebensstil.“



    Als ich verschärft kabaretistisch unterwegs war!



    Gab Harald Schmidt im Atelier-Theater Roonstraße in Kölle von Mehmet Fistik.



    In gewisser Weise - seinen Abschied in die 📺 Welt.



    Da ließ der Profi es aufblitzen - da saß jeder Handgriff - jede Pointe!



    Und klar - jeder Lacher im hautnah 100 Plätze intim.



    Der Beifall verrauschte - ich schüttelte mir die Ohren aus.



    Und sagte: “Ja - klar. Ok. Aber was hat er eigentlich gesagt?



    Nichts!“ Allgemeines Nicken im Mitstreiteraround.

    So geht das ©️ Kurt Vonnegut



    Ironie? “Reife ist eine bittere Enttäuschung,



    für die es kein Heilmittel gibt, es sei denn,



    Lachen könnte als Heilmittel betrachtet werden.“



    Was ich aus nachvollziehbaren Gründen gerade bei Journalisten immer wieder beobachten kann: Selbstbild und Fremdbild kann durchaus zum Handicap werden! Gellewelle

    • @Lowandorder:

      Lachen = ALLHEILMITTEL!



      Tröööt 🥳🎶🎷🎵🪘

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch schlenzt ein

      “Jaja. Gelernt ist gelernt. (Kommödchen). Aber dann TV-Welt war Springer-Welt. Da gings ihm wohl um Geld.



      Glückliche Fügung, dass Lore und Kay Lorentz den weiteren "Werdegang" des H.S. nicht mehr erleben mussten.“

      anschließe mich - Mehmet der alte 🦊



      Sah‘s voraus - de harr dat alllens schonn gewuss! Wie erfreulich dann - was später Georg Schramm - der mit dem Tennisàmm🦾 - “lieber arm dran - als



      🤯 ab! Volkers 👄 - auch hier tut wieder Wahrheit kund! - 🙀🥳👏 -

      ps“ „charakterliche(r) Nichteignung“ beim Offizierslehrgang“ traf backstage auf “wg politischer Unzuverlässigkeit nicht zum Fähnrich befördert.“ - 🫢 - 🍻



      Tja - Schweinchen erkennste halt immer am Ringelschwänzchen! Gelle 🪖🤣 -🍺🍺 •

  • Ironie ist ein hervorragendes Stilmittel, um harte Kritik weich zu verpacken und kann damit auch dazu beitragen, eine Gesellschaft von unten zu veraendern. Nach 30 Jahren sind manche nur nicht mehr unten und eher Ziel von Ironie, da kann sich die Einstellung ihr gegenueber schon mal aendern.

  • "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die nächste Bundesregierung die sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend voranbringen muss."

    und das ist sicher völlig ironiefrei. Ja mei.

  • Ironie (Spott) sind die Mittel der Machtlosen gegen die Obrigkeit. In einer Demokratie kann sie daher vielleicht im „Privaten“ funktionieren, wenn Kinder sich gegen patriarchale Sprüchen der Eltern auflehnen oder gegen eine:n Vorgesetzte:n, d:ie „Stress abbaut“ auf meine Kosten.



    Aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus wird sie zu Hohn, dem Markenzeichen des schlechten Gewinners, und auch genauso verstanden.

  • " Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die nächste Bundesregierung die sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend voranbringen muss. ..."



    Dieser Meinung sind seit Jahrzehnten schon sehr viele Menschen, auch ich. Leider werden wir immer wieder aufs neue enttäuscht.



    Mittlerweile kann man sich nur noch mit Sarkasmus über den Tag (und die Legislaturperiode) retten.

    • @Axel Schäfer:

      So ist die Situation.

    • @Axel Schäfer:

      ... einerseits. Andererseits: Karthago wurde letztendlich zerstört!

      Natürlich kann Ironie nach außen getragen leicht ärgerlich und destruktiv wirken. Aber nach innen kann sie den Status eines "Lebenserhaltenden Systems" erreichen - wie die Sauerstoffflasche für den Taucher. Im letzten Satz von Unfried ist sie einfach nur subtil.

    • @Axel Schäfer:

      Ceterum censeo...

  • "Unser Titel war tausendmal brillanter, aber der von Kai Diekmann verantwortete Spruch war ungleich erfolgreicher, erreichte Millionen und ging ins kollektive Gedächtnis ein."

    --> Sorry, aber der taz Titel ist weder auf den ersten, noch auf den 15. Blick besser, geschweige denn brillianter.

    Selbst wenn ich eine agnostische Sichtweise einnehme und den satirisch-doppelten Boden mit einbeziehe, muss man einfach sagen: Diekmann Titel schlägt den der taz um Längen.

    Nicht falsch verstehen, der Titel der taz ist gut, aber "Wir sind Papst" ist ein Geniestreich. Auch hier gibt es diesen doppelten Boden, weil jede individuelle Errungenschaft in der Presse mit "Wir sind abgefeiert wird.

  • Ich mag die Ironie des letzten Absatzes über die Merz-Regierung, die die sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend voranbringen muss.

  • 6G
    619501 (Profil gelöscht)

    Ironie, überhaupt Humor, funktioniert selbstverständlich am besten gegen die herrschende Ideologie. Und nur die gibt das Material her.



    Ironie ist im Wesen destruktiv und legt Probleme offen. Und genau das ist das Problem, was jedwede Herrschaft nicht ausstehen kann. Weil sie selbst das Material dazu liefert.



    Ansonsten funktioniert es ja nicht.

    Es gibt keine Pflicht für einen Menschen, „konstruktiv“ an irgendetwas gewünschtem mitzuwirken. Wir verdanken ( und im übrigen sind die Ironiker in der Überlieferung gegenüber den staatstragenden TUIs weit überlegen) gerade den FingeraufWundeLegern den Fortschritt.

    Ein Mark Twain, ein Oscar Wilde oder auch ein Karl Krauss leben heute noch. Ihre zeitgeistigen affirmativen Pedants a la Marinić kennt niemand mehr.

  • Ironie ist an sich ein substanzloser Zeiger, der auf eine vermeintlich offensichtliche Sinnlosigkeit hinweist, selbst also implizit besser ist und das sogar ohne ein Selbst zeigen zu müssen. Ein ungesehenes Schießen von hinten ein feiges zuschlagen fast schon perfekt für den deutschen Schlauberger der zwar besser ist als der ganze Quatsch, aber aus Angst einer echten Auseinandersetzung keinerlei Position beziehen möchte, um jegliche Angriffsfläche zu umschippern. Rückratlos aber scheinbar elegant ist sie ja diese Strategie, leider aber kann ein Feigling nie wirklich Eleganz ausstrahlen.

  • Ironie nervt einfach, auch Harald Schmidt, den ich zu „Schmidteinander“-Zeiten als wahnsinnig lustigen und im Kontext mit irrwitzigen Mastermind Herbert Feuerstein als kongeniales Genie gesehen habe wurde im dröger, immer mehr FC-Bayern, immer mehr Olli Pocher. Einfach langweilig.



    Die Ironie nutzt sich ab, lässt sich auf nichts ein, erhebt sich über alles, sollte nur in begrenzten Dosen eingesetzt werden. Am Ende kann sie natürlich auch von jedermann mißbraucht werden, wer YouTube durchsucht sieht viele Videos rechtspopulistischer AfD-Blubberer, nicht selten beruft man sich auf das ach so relevante Zeugnis eines Harald Schmidt, ebenso wie auf Dieter Nuhr. Die sagen jeden Menge Ironisches über die Grünen, über die Wokeness, über die Ampel und alle anderen Übel dieser Welt, vielleicht gar nicht mal immer zu unrecht. Das ist natürlich 1a Futter für die Aus-dem-Zusammenhang-Reißer aus den braunen Gehirnwäsche-Fabriken.

    • @Bambus05:

      Über Geschmack kann man ja nur schlecht streiten aber "Schmidteinander" war, trotz aller Brillianz, nie einzigartig und hat auch Schmidts Talent nicht wirklich ausgereizt. Stefan Raab und andere haben später ähnlich absurd-anarchisches abgeliefert.

      So was wie die Harald Schmidt-Show ca. 2000-2002 (also lange vor Pocher) gab es weder davor noch danach.