Koalitionsfähigkeit: Wie geht das, dass noch was geht?

Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es um einen herum. Liberaldemokraten müssen zu Kompromissen bereit sein.

Friedrich Merz verschwindet am unteren Bildrand

Oppositionsführer Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz: Ohne die CDU mittelfristig keine liberaldemokratische Mehrheit mehr Foto: Liesa Johanssen/reuters

Die vermutlich beliebteste und meistgebrauchte Phrase von unsereins ist: „Das geht ja gar nicht.“ Je nach Persönlichkeit und Stimmung vorgetragen im routinierten Ton der Entrüstung, Verachtung oder auch mal resigniert. Von der im Moment diskutierten Migrationspolitik und den Wahlen dieser Tage über Heinos Wahlwerbung für Donald Trump: Das geht alles gar nicht.

Das Problem ist: Während wir sagen, dass das gar nicht geht, geht es eben doch. Es passiert. Daran ändert die ethisch grundierte Dauerdistanzierung nichts. Der entscheidende Kulturwechsel besteht darin, nicht mehr zu sagen, was alles gar nicht geht, sondern zu fragen, was geht, wie es geht und vor allem, mit wem.

Zugegeben, da sieht es im Moment schlecht aus. Nicht nur sozialökologische Wirtschaftspolitik, sondern jede Form von Zukunftspolitik auf der Grundlage der veränderten Realität wird in verschiedenen Teilen von Politik und Mediengesellschaft geächtet. Es sind nicht nur die nostalgischen Reaktionären (AfD, BSW, Teile der Ost-CDU) illusionistisch, es gibt auch den nostalgischen und fossilen Sozialdemokratismus (der SPD und des Westteils der CDU), und es gibt die nostalgischen Progressiven (dazu gehören Teile der Grünen). Letztere halten an einem Fortschrittskanon fest, für den es in der Spätmoderne keine Grundlage mehr gibt.

Wenn nun gesagt wird, dass die derzeitige Bundesregierung „am Ende“ sei, dann ist das vermutlich nicht falsch, aber die Frage ist doch: Unter welchen Bedingungen könnte die nächste es nach einer Neuwahl besser hinkriegen – und was genau? Es ist eine mediengesellschaftliche Dynamik entstanden, in der alle drei Regierungsparteien früher (FDP) oder später (SPD, Grüne) von Überlebensangst getrieben ihre Rettung in der Distanzierung vom Gemeinsamen suchen könnten.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ohne CDU keine liberaldemokratische Mehrheit

Wenn aber nicht mal mehr diese liberaldemokratischen Teile der Gesellschaft sich verständigen können, wird es eng. „In einem solchen Prozess der Erosion des Gemeinsamen wird Demokratie zu einer stolpernden Regierungsform, denn der Streit in ihrem Inneren kann nur produktiv werden, wenn er im Rahmen eines Gemeinsamen stattfindet“, schreibt Harald Welzer in unserem Magazin taz FUTURZWEI.

Eine ethisch begründete Spaltung in Gute (also uns) und andere (Merz, Lindner, kom­promisslerische Grüne) innerhalb der liberal­demokratischen Gesellschaft ist keine notwendige „Haltung“, sondern heißt faktisch, das Geschäft von AfD und BSW zu betreiben. Noch fataler wäre, die CDU oder Teile davon mit ethisch begründeter Empörung der AfD zuzutreiben. Das heißt nicht, dass man den migrationspolitischen und sonstigen Opportunismus der inhaltlich leeren Partei unterstützen sollte. Selbstverständlich muss man als Andersdenkender versuchen, die Stimmung gegen Friedrich Merz zu drehen. Es heißt aber, dass man sich immer klarmachen muss, dass es kurz- und mittelfristig ohne die CDU keine liberaldemokratische Mehrheit mehr gibt.

Die Union und die „rechte Mitte“ muss im politisch-kulturellen Spektrum der gemäßigt progressiven bis gemäßigt konservativen Mitte bleiben: pro EU, Nato, Ukraine, Gesellschaftsliberalität und Marktwirtschaft, mit der Option einer sozialökologischen Allianz langfristiger Politik. Ohne demokratische Mehrheit keine Demokratie. Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es um einen herum.

Deshalb „kämpfen“ wir auch nicht gegen „rechts“, sondern streiten miteinander über einen gemeinsamen Weg, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus möglichst kleinzuhalten. Und damit bin ich wieder an dem zukunftsentscheidenden Punkt für dieses Land: Wie geht das, dass was geht? Ich bin ratlos, aber man könnte ja mal Hendrik Wüst und Mona Neubaur fragen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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