Koalitionsfähigkeit: Wie geht das, dass noch was geht?
Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es um einen herum. Liberaldemokraten müssen zu Kompromissen bereit sein.
Die vermutlich beliebteste und meistgebrauchte Phrase von unsereins ist: „Das geht ja gar nicht.“ Je nach Persönlichkeit und Stimmung vorgetragen im routinierten Ton der Entrüstung, Verachtung oder auch mal resigniert. Von der im Moment diskutierten Migrationspolitik und den Wahlen dieser Tage über Heinos Wahlwerbung für Donald Trump: Das geht alles gar nicht.
Das Problem ist: Während wir sagen, dass das gar nicht geht, geht es eben doch. Es passiert. Daran ändert die ethisch grundierte Dauerdistanzierung nichts. Der entscheidende Kulturwechsel besteht darin, nicht mehr zu sagen, was alles gar nicht geht, sondern zu fragen, was geht, wie es geht und vor allem, mit wem.
Zugegeben, da sieht es im Moment schlecht aus. Nicht nur sozialökologische Wirtschaftspolitik, sondern jede Form von Zukunftspolitik auf der Grundlage der veränderten Realität wird in verschiedenen Teilen von Politik und Mediengesellschaft geächtet. Es sind nicht nur die nostalgischen Reaktionären (AfD, BSW, Teile der Ost-CDU) illusionistisch, es gibt auch den nostalgischen und fossilen Sozialdemokratismus (der SPD und des Westteils der CDU), und es gibt die nostalgischen Progressiven (dazu gehören Teile der Grünen). Letztere halten an einem Fortschrittskanon fest, für den es in der Spätmoderne keine Grundlage mehr gibt.
Wenn nun gesagt wird, dass die derzeitige Bundesregierung „am Ende“ sei, dann ist das vermutlich nicht falsch, aber die Frage ist doch: Unter welchen Bedingungen könnte die nächste es nach einer Neuwahl besser hinkriegen – und was genau? Es ist eine mediengesellschaftliche Dynamik entstanden, in der alle drei Regierungsparteien früher (FDP) oder später (SPD, Grüne) von Überlebensangst getrieben ihre Rettung in der Distanzierung vom Gemeinsamen suchen könnten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ohne CDU keine liberaldemokratische Mehrheit
Wenn aber nicht mal mehr diese liberaldemokratischen Teile der Gesellschaft sich verständigen können, wird es eng. „In einem solchen Prozess der Erosion des Gemeinsamen wird Demokratie zu einer stolpernden Regierungsform, denn der Streit in ihrem Inneren kann nur produktiv werden, wenn er im Rahmen eines Gemeinsamen stattfindet“, schreibt Harald Welzer in unserem Magazin taz FUTURZWEI.
Eine ethisch begründete Spaltung in Gute (also uns) und andere (Merz, Lindner, kompromisslerische Grüne) innerhalb der liberaldemokratischen Gesellschaft ist keine notwendige „Haltung“, sondern heißt faktisch, das Geschäft von AfD und BSW zu betreiben. Noch fataler wäre, die CDU oder Teile davon mit ethisch begründeter Empörung der AfD zuzutreiben. Das heißt nicht, dass man den migrationspolitischen und sonstigen Opportunismus der inhaltlich leeren Partei unterstützen sollte. Selbstverständlich muss man als Andersdenkender versuchen, die Stimmung gegen Friedrich Merz zu drehen. Es heißt aber, dass man sich immer klarmachen muss, dass es kurz- und mittelfristig ohne die CDU keine liberaldemokratische Mehrheit mehr gibt.
Die Union und die „rechte Mitte“ muss im politisch-kulturellen Spektrum der gemäßigt progressiven bis gemäßigt konservativen Mitte bleiben: pro EU, Nato, Ukraine, Gesellschaftsliberalität und Marktwirtschaft, mit der Option einer sozialökologischen Allianz langfristiger Politik. Ohne demokratische Mehrheit keine Demokratie. Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es um einen herum.
Deshalb „kämpfen“ wir auch nicht gegen „rechts“, sondern streiten miteinander über einen gemeinsamen Weg, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus möglichst kleinzuhalten. Und damit bin ich wieder an dem zukunftsentscheidenden Punkt für dieses Land: Wie geht das, dass was geht? Ich bin ratlos, aber man könnte ja mal Hendrik Wüst und Mona Neubaur fragen.
Leser*innenkommentare
Philippo1000
Die Fragestellung ist angebracht.
Die Ampel hat keine Mehrheit mehr, die "afd" wird stärker und BSW bedient sich aus dem demokratischen Spektrum mit Wählerstimmen im deutlich zweistelligen Bereich.
Das daraus schwierige Regierungsbildungen folgern, sehen wir gerade.
Manche ehemals Linke Grüne biedern sich, überwiegend erfolglos, bei der CDU an. Positionen werden erträumt, nach denen " mit Merz" ein Aussetzen der Schuldenbremse möglich wird.
"Mit Merz" wäre kein Ausstieg aus Atomkraft oder dem Verbrenner möglich gewesen, kein Doppelpass und kein neues Einwanderungsrecht.
Rein rechnerisch ist schwarz grün weit von einer Mehrheit entfernt.
In bereits zweijähriger Tradition meinen viele Alles besser zu wissen, als die AmpelpolitikerInnen.
Dieser Realitätsverlust ist nur durch erhebliche Konsolennutzung erklärbar. Denn absolut betrachtet, arbeitet die Ampel in Krisenzeiten sowohl im Bürgerinteresse (Energiepolitik), als auch im Sinne des Demokratie Erhalts (gegen Rechts).
"Wegschreien" sagt man bei Kindern, die aus einer solchen selbstgewählten Protestform keinen Ausweg finden.
So verhalten sich gerade viele Deutsche: "ALLES falsch"!
Das bringt uns keinen Meter nach vorn!
Mitmachen!
shantivanille
Wüst bringt zumindest einen gewissen Realitätssinn auf die Waage:
WAZ: "Die vorgesehene Pro-Kopf-Pauschale des Bundes von 7500 Euro für jeden Geflüchtetem decke aber die Kosten, die den Städten in NRW durch die Versorgung von Geflüchteten entstünden, „nicht annähernd ab“, kritisierte Wüst. Es müssten 20.000 Euro pro Kopf und Jahr sein."
Wohlgemerkt, das gilt nur für die Städte.
Was anderes bleibt Wüst auch gar nicht übrig, sonst ist er weg vom Fenster.
NRW geht es nicht gut.
www.waz.de/politik...romiss-hadert.html
Marlon22
Puh, wirkt wieder mal wie ein Liberallamento. Auch wenn es der Autor gerne anders sieht, aber Liberalismus und Demokratie sind nicht das gleiche. Ersteres begünstigt massive Ungleichheit und somit populistische bis extreme Strömungen
Nazgul
Man kann auch Kompromisse machen bis nichts mehr geht. Das ist die Rolle in der die Grünen sich gerade wiederfinden, und in die die Linkspartei sich lange gebracht hat, weil sie Wagenknechts Rechtskurs toleriert hat bis die von selbst gegangen ist. In beiden Fällen hat man mitgeholfen, Positionen die im inneren Kern gegen die eigenen Grundsätze verstoßen, erst für Teile der eigenen Klientel akzeptabel zu machen. Auch der jetzige Erfolg der AfD geht leider in weiten Teilen darauf zurück, dass andere versuchen "AfD light" zu sein, rassistische Migrationsdiskurse pushen und damit solche Inhalte erst normalisieren. Wer da aber zuviel und zu lange Kompromisse eingeht riskiert dann irgendwann als Hindenburg 2.0 dazustehen.
Torben Jakowski
„Und damit bin ich wieder an dem zukunftsentscheidenden Punkt für dieses Land: Wie geht das, dass was geht? Ich bin ratlos, aber man könnte ja mal Hendrik Wüst und Mona Neubaur fragen“, schlägt Herr Unfried vor.
Hauptsache raus mit den als unsichere Kantonisten geschmähten Liberalen aus dem bourgeoiren Triumvirat. Lässt die FDP es doch standeswidrig am moralischen Überlegenheitsdünkel missen und hält es im Zweifel mit den Proleten, die Fleich im Discounter kaufen und in Luisa Neubauer nicht mehr als eine tüchtig-grüne Millionärstochter erkennen.
starsheep
Robert Habeck ist ja vor nix fies. Der wird dem Friedrich Merz schon sagen, wo es lang gehen muss.
(Zwei Figuren aus dem Struwwelpeter...)
Lowandorder
@starsheep “…doch wo der Wind sie hingetragen…?
Weiß kein Mensch zu sagen!“
(Hier 🎶 mal a Vivaldi - die The Absurd
Fassung kann ich grad nicht finden - wa!
www.youtube.com/wa...ZW5kZSByb2JlcnQ%3D
Der Fliegende Robert Anne Folger 🍂 ☔️
ps na und den Friederich - den argen Wüterich - aus “Letzter Halt Brilon 🌳🌲 Den hamer ja bis zum Abwinken - Life! Wollnichwoll!
Den Westentaschenknöterich. Normal
Rudi Hamm
Die Wähler wählen weniger nach Faktenlage, als nach gefühlt empfundener Einschätzung der Lage. Und immer mehr Menschen meinen, dass die etablierten Parteien Deutschland nicht so gestalten können, wie sie es sich als Wähler wünschen. Damit könnte man ja noch leben, aber wenn sie deshalb eine AfDummheit oder eine BSWolga wählen, dann wird es für die Demokratie gefährlich. Schon der Gedanke, dass die beiden eigentlich bald alle Parlamente stilllegen könnten graut mir.
Die etablierten Parteien müssen also auch eine emotional viel ansprechendere Politik machen, auf klare mehrheitliche Meinungen des Volkes reagieren, und nicht nur still-scholzen und Lange-rausziehen. Ich fürchte es kommen keine guten Zeiten auf unsere Demokratie zu, vermurkst vom Wähler selbst.
Lowandorder
@Rudi Hamm Nù. Wie heißt es doch im Ruhrgebiet -
“Glaube Liebe Hoffnung!
Und das Geld ist das wichtigste von den dreien! Wollnich“
unterm—-btw but not only
“…vermukst vom Wähler 🗳️ selbst“ ?
Ach was. Wählnmer uns doch ein anderes Volk - oder was?! - 🙀🥳🥴 -
Lowandorder
Drifting man •
“…und es gibt die nostalgischen Progressiven (dazu gehören Teile der Grünen). Letztere halten an einem Fortschrittskanon fest, für den es in der Spätmoderne keine Grundlage mehr gibt.“
Und ab da braucht ma eigentlich erst gar nicht weiterlesen! Gell.
Wessen Geschäft betrieben wird & werden soll - liegt klar auf der Hand! - 🙀🥳😡 -
kurz - Bis zur Kenntlichkeit entstellt! Wollnichwoll
Bedurft hätte es dess für mich aber nicht! Newahr
Na aber Si‘cher dat. Dat wüßt ich ever. Da mähtste nix.
Normal
But. “Niemand werfe seine Flinte ins Korn. Gelle
Es sei denn - er habe eine andere!“
Volkers 👄 & ehra 🧹🧹🧹Kehrwoch Spätzle 🍜 sind’s sicher nicht •
Na Mahlzeit
Christian Lange
@Lowandorder Na, hatten Sie mal wieder ein paar Buchstaben über?
Also, ich finde ja pointierte Kommentare besser, besonders zu so einem wichtigen Thema: Dass es in Zukunft nicht ohne die CDU gehen wird, hat die ja schon lange vor Unfrieds Artikel begriffen. Und jetzt wissens auch die taz-Leser ...
Lowandorder
@Christian Lange 🦆 🦆🦆 ahl Schwaadlapp -
un - Scheunen Sündach ook -
ps Peter Unfried ist mir verläßlich immer ein wahrer Quell ungebremster Heiterkeit! Gellewelle
In der Sache - jedes Wort - lieber gespart