Bündnis Sahra Wagenknecht: Italienisierung des Parteiensystems
Die Wagenknecht-Partei ist kein neoautoritäres Gespenst der deutschen Geschichte. Sondern ein Vorbote dessen, was nach den Volksparteien kommt.
D as Bündnis Sahra Wagenknecht ist noch neu. Doch es gibt schon ein paar erstaunlich ausgehärtete Deutungen, was es mit der Partei auf sich hat. Eine lautet: Das BSW ist das Resultat des autoritären Defektes im Osten. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hält das BSW für Ausdruck einer typisch ostigen „Sehnsucht nach einem autoritären Staatsgebilde, einer homogenen Gesellschaft und einer ‚Diktatur der Mehrheit‘“. Wagenknecht sei eine „leninistische Ideologin“, die einen Frontalangriff auf den freiheitlichen Westen im Schilde führt, so Kowalczuk. Also: Diktatur gegen Freiheit. Wie im Kalten Krieg.
Eine Handvoll früherer BürgerrechtlerInnen haben Wagenknecht attestiert, einen „nationalen Sozialismus“ anzustreben. Das BSW ist somit eine Art Wiedergängerin der totalitären deutschen Vergangenheiten. Daher warnen die AutorInnen, die CDU in Erfurt oder Dresden dürfe keinesfalls mit den BSW-Putin-Fans zusammenarbeiten.
Wagenknecht als Gespenst der deutschen Diktaturgeschichte zu entlarven, sorgt für eine übersichtliche Gut-böse-Front, die übrigens Wagenknechts Schwarzweißrhetorik umgekehrt spiegelt. Diese Geisterbeschwörungen bringen wenig. Das BSW ist kein Monster der Geschichte, sondern eine gegenwärtige Projektionsfläche für Sehnsüchte und Frustrationen.
Der Aufstieg des BSW ist Teil einer Art Italienisierung des deutschen Parteiensystems: Die beiden tragenden Säulen Union und SPD verlieren in einem langsamen Prozess ihre zentrale Stellung. Situative EmpörungsunternehmerInnen wie Wagenknecht sind im Aufwind. Der Osten mit seinen losen Parteibindungen ist da Trendsetter.
Empfohlener externer Inhalt
Das BSW ist nicht links
In Westdeutschland hält man sich selbst zwar immer noch für die Demokratie-Norm und blickt entnervt auf die missratene Abweichung im Osten. Aber das ist eine Blickverengung. In einem von Rechtspopulisten bevölkerten Europa mit Wilders, Orbán und Meloni gerät ins Schwimmen, was Norm und was Abweichung ist.
Auch die alles überstrahlende Figur an der Spitze einer Partei ist weniger als Echo deutscher Diktaturgeschichte zu entziffern denn als beklagenswerter Normalfall westlicher Demokratien. In Italien schneiderte sich Berlusconi eine eigene Partei, Beppe Grillos populistische „Cinque Stelle“ stieg auf und verglühte wieder, Trump hat die Republikaner zu seinem Fanclub degradiert, Macron altbewährte französische Parteien ruiniert. Angesichts dessen wirkt Wagenknechts Ego-Partei eher wie eine nachholende Anpassung an den Zeitgeist digitaler Massendemokratien, in denen Organisationen weniger zählen als Personen.
Zu den Irrtümern über das BSW gehört auch, dass es sich um eine linkspopulistische Formation handelt. „Wir sind keine Linke 2.0“, beteuert Wagenknecht. Man sollte ihr nicht allzu viel glauben – das schon. Sie hat früher Hartz IV als Zeichen des Verrats der SPD gegeißelt. Dieser Furor ist verschwunden.
Empfohlener externer Inhalt
An die Stelle der Ausgeschlossenen aus dem kapitalistischen System adressiert sie nun „die Fleißigen“. Die sind ein Synonym für den biodeutschen „kleinen Mann“, der sich von Gendern und Migranten, globalen Konzernen und grünen Eliten bedroht fühlt. BSW appelliert so an die „alte Mitte“ (Andreas Reckwitz), an Handwerker, Kleinunternehmer und Facharbeiter, die sich vom Zentrum an den Rand geschoben fühlen, und beschimpft die grünen Vertreter der globalisierungsaffinen, urbanen Wissensökonomie. Für die Provinz, gegen die Metropolen. Für das alte Normale, gegen das Globale.
Es gibt keine Linke ohne eine Idee von Fortschritt. Das BSW bietet keine. Für es liegt das Reich des Wünschenswerten hinter uns. Es ist die alte Bundesrepublik, eine idealisierte Deutschland-AG, in der hart arbeitende Männer in der deutschen Provinz die Norm definierten. Dass Wagenknecht diese Bundesrepublik nicht selbst erlebt hat, ist ihrer Lobpreisung zuträglich.
Die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen, das authentische Volk zu preisen und abgehobene Eliten zu verdammen – damit schlägt das BSW ähnliche Töne an wie die AfD. Auch die Formel von der „dümmsten Regierung Europas“ ist populistische Wutbewirtschaftung. Allerdings trennt BSW und AfD viel. Die Wagenknecht-Truppe ist kulturell rechts, aber nicht rechtsextrem, migrationsskeptisch, aber nicht rassistisch, populistisch, aber nicht antidemokratisch.
Die größte Schwäche
Was das BSW wird, ist noch nicht klar. Es kann sich zu einer Kraft der rechten Mitte entwickeln, die wie die Freien Wähler in Bayern affektgeladene Anti-Establishment-Sprüche mit Erdverbundenheit kombiniert. Der Blick auf das Personal macht das aber eher unwahrscheinlich. Wagenknecht hat noch nie politische Verantwortung getragen. Ihr Geschäftsmodell ist die Produktion von Erregungszuständen und medialer Aufmerksamkeit.
Wie sich die Rolle der schneidenden Besserwisserin mit der Verteidigung mühsamer Kompromisse in der Bildungspolitik in Thüringen vertragen soll, ist unklar. Lafontaine und Wagenknecht haben in der Linkspartei mit Inbrunst jeden Kompromiss mit der SPD in Landesregierungen als Verrat gegeißelt. Dass ausgerechnet im autoritär geführten BSW Erfurt und Dresden autonom entscheiden dürfen, wäre eine Pointe.
Vermutlich aber ist Landespolitik nur Mittel für Wagenknechts Ziel, 2025 im Bundestag als Chefanklägerin gegen die nächste vermeintlich dümmste Regierung des Kontinents zu wettern. Einen Mechanismus, wie innere Konflikte gelöst werden, gibt es beim BSW nicht. Die Chefin hat immer recht – das wird nicht reichen.
Die Bürgerrechtler fordern, das BSW dürfe keinesfalls in Erfurt mitregieren. Sie liegen falsch. Und zwar nicht nur, weil man ja Mehrheiten gegen die rechtsextreme AfD bilden muss. Es ist falsch, das BSW in sein Heimatbiotop, die Opposition, zu schicken und aus der Verantwortung zu entlassen. Regieren wäre für die Wagenknecht-Partei ein viel größeres Risiko als für die CDU. Es wäre der Realitätstest für die populistischen Versprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution