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Niedergang der LinksparteiNur ein historischer Irrtum?

Kommentar von Gunnar Hinck

Sahra Wagenknecht gilt als Totengräberin der Linkspartei. Dabei ist das Ende der Partei eine nahezu zwangsläufige Entwicklung.

Suhl, Thüringen, 7. März 1999, Teilnehmer am PDS-Parteitag: Die Linkspartei, früher PDS, konnte ihr Überleben nur durch eine Kette von glücklichen Fügungen sichern Foto: Rüttimann/imago

D ie Linkspartei kämpft um ihr Überleben. Die Ergebnisse der Europawahl und der Kommunalwahlen waren desaströs – und nur wer an Wunder glaubt, wird davon ausgehen, dass die Partei in den nächsten Bundestag kommt. Selbst der Behelfsweg über drei Direktmandate, wenn wie zu erwarten die Fünfprozenthürde gerissen wird, ist utopisch: Die Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist in den ehemaligen linken Wahlkreis-Hochburgen zu groß. Und außer in Thüringen mit dem Zugpferd Bodo Ramelow dürfte der Wiedereinzug in die ostdeutschen Parlamente äußerst schwierig werden.

Die dominierende Erzählung des Niedergangs geht so: Die dämonische Sahra Wagenknecht hat die Linkspartei durch ihre Abspaltung kaputt gemacht. Aber das ist eine zu einfache und zu bequeme Erklärung. Abspaltungen funktionieren nur, wenn die Abtrünnige auf ­einer sozialen Basis in der Partei fußen kann, wenn sie weiß, dass sie Gefolgsleute hat. Abspaltungen sind ein ­Symptom, nicht die Ursache dafür, dass etwas schiefläuft.

Man kann die Geschichte der Linkspartei im Rückblick auch ganz anders deuten: nicht als gleichsam natürliche Erfolgsgeschichte, die erst durch innere Richtungskämpfe zerstört wurde. Sondern vielmehr als Schimäre, die jetzt auf dem Boden der Realität gelandet ist. Die Linkspartei, früher PDS, konnte ihr Überleben nach 1990 nur durch eine Kette von glücklichen Fügungen sichern, die jetzt gerissen ist. Ohne diese wäre sie sehr wahrscheinlich schon längst Vergangenheit.

Glücksmoment Nummer 1: Es war ironischerweise die Ost-SPD mit ihrer Aufnahmesperre für ehemalige SED-Mitglieder in den Umbruchjahren 1989/90, die der SED/PDS das Überleben sicherte. Hunderttausende ehemalige SED-Mitglieder suchten nach 1989 eine neue politische Heimat, die die SPD verschloss. So sicherte sich die PDS Unterstützer und Trotzwähler und konnte ihre Funktion als Kümmererpartei aufbauen für alle jene, die „der Westen“ nicht gewollt hat.

Glücksfall Nummer 2: Das Ausnahmetalent Gregor Gysi war die zentrale Integrationsfigur der Partei und mit seiner gewitzten Art das sympathische Gesicht nach außen (nach innen konnte er durchaus hart durchgreifen) und machte die PDS jenseits der Kernklientel attraktiv. Gysi ist politisch gesehen Vergangenheit und steht als Zugpferd nicht mehr zur Verfügung.

Kulturell passt in der Linkspartei nichts zusammen. Es gibt keine Klammer, keine gemeinsame Erzählung

Drittens war es wieder die SPD, die der PDS in aussichtsloser Lage das Überleben sicherte. 2002 flog die PDS aus dem Bundestag; die alten Richtungskämpfe brachen wieder auf. Die SPD tat mit der Agenda 2010 der PDS einen großen Gefallen: Die Hartz-IV-Proteste mündeten in die Gründung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG). Mit der Fusion zur Linkspartei sicherte sich die PDS die dringend nötige Frischblutzufuhr, gerade in Westdeutschland. Nun, in Zeiten von Arbeitskräftemangel und Bürgergeld, funktioniert die Anti-Hartz-IV-Front nicht mehr.

Heute ist die Linkspartei ein unüberschaubares Konglomerat von Arbeitskreisen, Initiativen und Plattformen. Da gibt es jene, die mit geradezu masochistischer Hingabe der alten linken Frage nachgehen, ob der Kapitalismus nun überwunden oder sozial korrigiert werden soll. Gleichzeitig will die Partei in den Bundesländern regieren und tut es teilweise auch noch; man ist – im radikal linken Sprech – Systempartei. Ein Widerspruch.

Das Werkeln am 130 Jahre alten Richtungsstreit des Sozialismus, den andere sozialistische Parteien in Westeuropa viel pragmatischer gelöst haben (das mit der Überwindung wird dort einfach auf Wiedervorlage gelegt, während man im Jetzt die konkreten Lebensverhältnisse der Unterprivilegierten verbessern will), hat dazu geführt, dass sich der Parteiapparat immer mehr von Teilen der eigenen Basis entfremdet hat. Oder anders gesagt: Basis und Parteiapparat passen nicht mehr zusammen.

Bürgerlich im Ex-SED-Milieu

Natürlich gibt es an der Basis noch überzeugte Marxisten, aber ein großer Teil der – ehemaligen – ostdeutschen Anhängerschaft denkt kulturell eher konservativ: Einst Marxisten, haben viele nach 1990 etwa eine kleine Firma gegründet oder sind als Angestellte in die Privatwirtschaft gegangen, auch weil für SED-Mitglieder die Karrierewege im öffentlichen Dienst zunächst verschlossen blieben.

Sie erkennen sich in Sahra Wagenknecht mit ihren Häutungen wieder. Früher orthodoxe Marxistin, ist sie seit einigen Jahren erklärter Fan von Ludwig Erhard. Sie appelliert an das spezifisch ostdeutsche Milieu, das in der Privatwirtschaft unterwegs ist, sich unter Mühen ein bisschen Wohlstand erarbeitet hat und in dem „bürgerliche“ Regeln wie Fleiß, Arbeit, Ordnung und Respekt vor dem Eigentum zählen. Auch die Migrationsskepsis ist nicht eine demagogische Erfindung von Wagenknecht, sondern repräsentiert eine weit verbreitete Haltung in diesem Milieu.

Apparatepartei alten Typs

Lebensweltlich teilen diese ehemaligen Wähler, die jetzt zum BSW übergelaufen sind, nichts mit den „woken“ AktivistInnen der Großstädte, die die Parteiführung gewinnen wollte. Aber auch für die „woken“ AktivistInnen ist die Linkspartei nur sehr bedingt attraktiv. Sie ist immer noch eine Apparatepartei alten Typs, in der Vorstandsbeschlüsse den Rang von heiligen Schriften haben (und trotzdem von den vielen Zirkeln in der Partei je nach Lage torpediert werden) und Parteitage in alter kommunistischer Tradition doch tatsächlich durchnummeriert werden („2. Tagung des 8. Parteitags“), was für die Refugee-Aktivistin aus Berlin-Friedrichshain eher abschreckend sein dürfte.

Kulturell passt da nichts zusammen. Es gibt keine Klammer, keine gemeinsame Erzählung, die das alles zusammenhält. Das Erstaunliche ist nicht, dass die Linkspartei nun ums Überleben kämpft. Das Erstaunliche ist, dass dieses inkonsistente Konstrukt so lange durchgehalten hat. Manchmal ist es besser, wenn alte dysfunktionale Formen verschwinden und sich die Ideale dahinter neue Strukturen suchen.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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43 Kommentare

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    Die Kommune

  • woke Positionen sind außerhalb von wenigen Großstatdkiezen einfach nicht Anschlussfähig. Die als Ikone hochgejazzte Carola R. hat mit der letzten Generation sage und schreibe 0,3% erhalten bei der Europawahl. Die allermeisten Menschen wollen nunmal keine radikalen Umbrüche.

  • Guter Artikel mit klarer und logischer Argumentation

  • Tja, zur Europawahl nur so viel: keiner hat die Linkspartei gezwungen, ausgerechnet mit Carola Rackete als Spitzenkandidatin zu werben.

    Rackete ist eindeutig die falsche Kandidatin für die jetzige Zeit.

    Das Debakel hat sich die Linkspartei ganz alleine zuzuschreiben.

  • Das Problem mit der Linkspartei ist, dass sie die hiesigen Armen im weltweiten Vergleich für relativ Reiche hält und ihre Solidarität in die Welt zu den noch Ärmeren schickt. Die hiesigen Armen begreifen, dass das auf ihre Kosten geht, und wandern ab.

  • es stimmt so einiges an diesem kommentar.



    hinzukommt, daß dieser niedergang in einer situation passiert, wo die arbeiterschaft in großen scharen (30% oder so im westen, 50% im osten) zur afd überläuft.



    mitnichten konnte sw sie mit ihen quasi-faschistischen ideen abholen, dafür leider die linke weiter schwächen.



    dies wohl auch die absicht der medien, die sw auf besondere art hypten. auch dieser aspekt scheint mir in dem o.a. kommentar nicht beleuchtet zu werden.

  • 50.000 Mitglieder und davon 36 % weiblich. Wieviele aber aktiv sind und nicht nur auf dem Papier stehen dürfte aber viel weniger sein. Und wieviel davon sympathisieren mit BSW? Fragen über Fragen.

  • In den Augen der Wähler ist die Linke offrnsichtlich ein historischer Irrtum.

  • Ich sag‘s mal etwas ketzerisch: so, wie sich die Sache darstellt, hätten die Rest-Linke und das Wagenknecht-Lager auch gut und gerne zusammenbleiben können. Ein bisschen Widerspruch in den eigenen Reihen muss doch auszuhalten sein, oder?



    Der Absturz der Linkspartei in den kommenden Wahlen wäre dann möglicherweise nicht so dramatisch (und Ramelow bliebe MP in Thüringen) … wahrscheinlich hätte es dennoch, auf lange Sicht ein langsames „Abschmelzen“ gegeben - vergleichbar dem jahrzehntelangen Siechtum der SPD -, denn die Ursachen für den Niedergang der Linken liegen tatsächlich woanders als in der Abspaltung des BSW. Da gebe ich dem Autor recht.



    Und noch immer ist (mir zumindest) nicht ganz klar, in welche Richtung die programmatische Reise des BSW gehen wird - davon jedoch - und welche Gesichter dessen Programm am Ende repräsentieren - wird der Erfolg des Bündnisses in künftigen Wahlen abhängen.



    Und in der Hinsicht muss von Sahra und ihren Gefolgsleuten weitaus Substantielleres zu erwarten sein als von der AfD. Populismus pur zündet dann nicht mehr.

  • Vielleicht sollten Parteien ihre Delegiertenzahlen für jede Region nach Wählerstimmen bemessen statt nach Mitgliederzahlen. Das stärkt den Raum ausserhalb der Metropolen.



    Parteitage kürzer und am wie bei der FDP am Wochenende, außerdem mit E-Voting, so dass einer Negativauswahl entgegengewirkt wird.

  • Ganz gut beobachtet würde ich sagen was die Linkspartei angeht.

    Das BSW hat allerdings auch Zuspruch und Zulauf in den westdeutschen Stadt-Milieus bis hinein in klassische Linke Strukturen.



    Das ist nicht durch d hier geschilderten Ost-Dynamik zu erklären aus meiner Sicht. Das macht es auch zu lokal und zu persönlich und trifft daher nur bedingt zu.



    Hier gibt es viele gravierende Verschiebungen in dem was sie so schön "130 Jahre alten Richtungsstreit des Sozialismus" nennen und das was sie beschreiben ist nur Eine davon.

    • @Thomas O´Connolly:

      Sie sprechen einen wichtigen Punkt hat; natürlich ist das Wahlverhalten im Osten auch spezifisch ostdeutschen Erfahrungen geschuldet, alles darauf zurückzuführen wäre aber allzu verengt. Man übersieht oft, dass die neuen Bundesländer sozial anders zusammengesetzt sind und ein direkter Vergleich mit ihren westdeutschen Gegenstücken daher methodisch problematisch ist. Achtet man auf spezifische Milieus, wird der Unterschied deutlich kleiner: urbane Akademiker wählen auch im Osten häufig grün. Und umgekehrt gibt es die Milieus (nota bene: Plural), die Wagenknecht anspricht, auch im Westen.

  • Das mit der links-woken Parteiführung gegenüber einer bürgerlicheren Basis entspricht nicht meinem Eindruck. Sind nicht eher die Basisaktivisten weiter links, auch gesellschaftspolitisch, während die Funktionäre mittigere Meinungen vertreten haben? Erst mit dem Marsch durch die Institutionen haben die Aktivisten dann u.a. KandidatInnen durchgesetzt wir Frau Rackete.



    Frau Wagenknecht vertritt nun die Einstellung (von Bert.Brecht?), wenn das (Partei-) Volk die Führung nicht mehr unterstützt, wäre es das beste, das Parteiestablishment sucht sind ein neues (Partei-) Volk. Teile der Wähler gehen mit.

    • @meerwind7:

      Die Wählerschaft der Linken waren mehrheitliche ostdeutsche Rentner und nicht westdeutsche Aktivisten...

  • Glück hatte die Partei auch mit den drei Grundmandaten und dem Zuschnitt der Ostberliner Wahlkreise, die ihr jeweils zu einem Mandat verholfen hatte (im Fall der Marzahn-Hallersdorfer Plattenbaueahlkreise sozusagen eigener Verdienst). Den schwächsten, weil bürgerlichsten Wahlkreis Treptow-Köpenick hat Gysi bespielt.

    Dass die Westberliner Bezirke Neukölln und Reinickendorf unverändert blieben, spielt vielleicht auch mit bei der Wahlkreiseinteilung.

  • Erinnert ein wenig an Pfister mit seinen wöchentlichen: "die woken sind an allem schuld" - Tiraden.

    • @schnarchnase:

      Das müssten Sie erklären.

      Um Schuldzuweisungen geht es in dem Artikel ja gerade nicht.

  • Aber was ist denn das neue? Was ist denn die parlamentarische Vertretung für Arme, Unterprivilegierte, soziale Minderheiten?



    Warum wird es hingenommen, dass eine doch erfolgreiche parlamentarische Struktur einfach zerfällt und man dann überhaupt kein Mitsprache- und Kontrollrecht mehr hat.



    All die Neunmalklugen, die jetzt sagen, dass die Partei es ja verdient hat, werden jammern, dass niemand für ihre Interessen mehr einsteht!

    • @TeeTS:

      Es steht auch so niemand für ihre Interessen ein.

      Die Linkspartei bietet das nicht.

      Nehmen Sie Frau Rackete.

      Sie sagte deutlich, für welche Personengruppe sie sich einsetzen will.

      So deutlich, dass sie einen Maulkorb bekommen hat.

      Wer sich irgendwie bei seiner Wahlentscheidung fragt, ob die Partei, wo er sein Kreuz machen will, sich für seine Interessen einsetzt, hätte die Linke streichen müssen.

    • @TeeTS:

      Genau aus DIESEMvGrund beobachte ich als ein im Gesundheitswesen Tätiger den Niedergang der Linken mit doch eher klammen Gefühlen, bei aller Kritik und Ärger, den ich auch gegen diese Partei hege (z.B. in der Haltung zum Ukrainekrieg).



      Andere mögen jetzt Freudenfeuerwerke anzünden, ich nicht.



      Denn anders als der Autor bin ich NICHT der Meinung, dass sich alte Strukturen erst auflösen müssen, damit etwas Neues entstehen kann, zumindest nicht im Fall der Linkspartei. Warum? Weil schlicht die Zeit fehlt … die Zeit, auf dieses Neue zu warten. Weil bis dahin unser Gesundheitssystem komplett gegen die Wand gefahren wurde.

  • Die Linke hat sich selbst beerdigt. Sarah W. kann dafür nichts. Das wäre ein bisschen zu viel Ehre für die Egomanin.

  • Die Linke abzuschreiben, weil eine Parteielite den Karren in den Dreck fuhr, ist Quatsch, denn es gibt ne ganze Menge honorige engagierte Linke, die tolle Basisarbeit leisten. Hier kann und wird bessere Politik entststehen.

    • @Lindenberg:

      Basisarbeit ohne Mandate in den Parlamenten?

  • Im Kommentar werden ein paar denkwürdige Gründe genannt. Manche würde ich aber beschränken, differenzierter betrachten bzw. welche ergänzen ...



    # SWs Vorgehen war nicht bloß eine (kurz) Abspaltung, es zog sich sehr lange hin, wirkte zerrüttend und schreckte Wähler*innen ab.



    # Ich denke nicht, dass das symbolpolitische Umlabeln von HartzIV für viele Wähler*innen die soziale Frage beerdigt hat. Zudem gibt es trotz Arbeitskräftemangel schlechte Arbeitsbedingungen.



    # was fehlt ist, dass die Aufnahme von SED-Mitgliedern Vorteil im Osten bedeutete, aber Nachteil im Westen, auch nach Zusammenschluss mit der WASG



    # manche krude, anti-imp Stimmen/Personen aus Die Linke schreckten ab



    # Intrigen, nicht nur seitens SW, haben abgeschreckt.

  • Eine linke Partei muss sich unterscheiden von den übrigen Parteien anstatt sich diesen anzubiedern und anzunähern. Die PdL hat letzteres getan und niemand braucht sich zu wundern, warum die potentiellen Wähler:innen in der PdL keine linke Partei mehr erkennen.

    Heute unterstützt die PdL das gesamte Spektrum der Mitte-Rechts-Politik grundsätzlich und hat daran höchstens einige Fußnoten auszusetzen, ob das Sozialabbau, Krieg, Asylrechtsabbau, Ökologie, Wohnen, Energie, Gesundheit oder sonstiges ist.

    Ein linkes Profil mit einer eigenen, zumindest radikal reformistischen, friedenspolitischen und ökologischen Politik - all das, was die anderen Partein liegen lassen - hat die PdL nie aufgebaut und wollte es offenbar auch nicht.

    Eine Dazugehör-Partei Nummer 10 ist aber überflüssig wie Kropf, so dass ich die PdL als Kropf-Partei bezeichnen würde. Die BSW ist allerdings auch nicht besser, um das noch hinzuzufügen.

    • @Uns Uwe:

      „Ein linkes Profil mit einer eigenen, zumindest radikal reformistischen, friedenspolitischen und ökologischen Politik …“.



      Na, woher kommt mir DAS nur bekannt vor? Richtig, von den Ditfurths, Tramperts und Ebermanns bei den Grünen zu Beginn der Achtzigerjahre. Namen, an die sich heutzutage niemand mehr erinnert.



      Aber ich verstehe nicht, weshalb Sie das Rad unbedingt neu erfinden wollen … mit der PdL existiert sie doch eigentlich - na ja, besser geht immer😉 - , was erhoffen Sie sich davon?



      Das Problem liegt doch wohl eher darin, dass eine solche „radikal reformistische, friedenspolitische und ökologische“ Politik hierzulande derzeit nicht mehr als 3% der Bevölkerung anspricht.

  • Der Kommentar von Herrn Hinck ist sicher in vielem zutreffend. Ich denke, man kann es auch so beschreiben: Die Linke ist der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung Zentrum-Peripherie zum Opfer gefallen, wie sie Lukas Haffert in seinem Buch "Stadt Land Frust" beschrieben hat.

    Der Parteiapparat ist inzwischen absolut großstädtisch geprägt (das war nicht immer so), die potentielle Wählerschaft dagegen steht ganz überwiegend für die "soziale Identität" der Peripherie. Das geht nicht mehr zusammen. Sahra Wagenknecht hat das relativ früh erkannt.

    Dass die Hinwendung zu den urbanen "woken AktivIstinnen" (aka Bewegungslinken) keine Ergebnisse bringt, liegt m.E. auch daran, dass diese Milieus zwar aktiv, laut und sichtbar sind, dass sie letztlich aber bundesweit nur einen verschwindend geringen Teil der Bevölkerung repräsentieren.

    Gleichwohl denke ich, dass die Linke nicht völlig erledigt ist. Vielleicht hat sie eine Zukunft ähnlich der KPÖ: Landesweit recht bedeutungslos, aber mit regionalen Erfolgen dort, wo eine überzeugende Person ein auf den Nägeln brennendes Thema glaubwürdig aufgreift (etwa Mieterschutz und soziale Stadtentwicklung).

    • @Kohlrabi:

      Die Linke ist der Spaltung nicht zum Opfer gefallen.

      Sie hat sie aktiv betrieben, indem sie ihre Zielgruppe veränderte.

  • Naja, den Glücksansatz finde ich nicht sonderlich überzeugend. Aber ich werfe noch zwei Sargnägel mit auf den Tisch: Einerseits der SED-artige Politikstil hinter den Kulissen. Die Seilschaften der Eminenzen inklusive Gysi haben es (auf Bundesebene un in den Ländern) verhindert, dass die jungen Talente in der Linken wirkliche Macht entfalten konnten. Da herrschte noch viel Politbüro-Mentalität. Zweitens die, wenn nicht regelrecht dumme, so wenigestens reaktionäre Fokussierung auf den "armen, vergessenen, weißen Arbeiter", der nun die fFalschen wählt. Dadurch wurde just in den Zeiten, als die Partei (fast) zweistellig im Bundestag vertreten gewesen war, die wichtige Weichenstellung in Richtung Relevanz verpasst, weil das reale Potenzial der links Ansprechbaren nicht klar addressiert wurde (Wagenknecht profitiert mit ihrem nostalgischen Populismus allerdings von den alten, weißen Männern).

    • @Comandanta Ramona:

      Widerspruch zu Ihren Sargnägeln:



      1. also, Seilschaften und Eminenzen durchziehen nun wirklich den GESAMTEN etablierten Politikbetrieb - ich vermute, das ist kein Kriterium, das für Wähler irgend eine Priorität hat. Schauen Sie auf die CSU in Bayern.



      2. kann man wirklich sagen, dass ausgerechnet die PdL auf den „weißen Arbeiter“ fokussiert? Das ist doch das Argument Wagenknechts für die Abspaltung gewesen, dass das von den „Lifestyle-Linken“ eben nicht mehr klar adressiert wird. Eher wird man doch feststellen müssen, dass das „reale Potential der links Ansprechbaren“ heute bei nicht mehr als 3% liegt.

  • Das große Missverständnis dürfte zwischen medialer Präsenz von "woken" AktivistInnen und der realen Kopfstärke sein. Mal konkret: außerhalb der Metropolen gibt es das nicht und Metroplen gibt es im Osten eher wenige.

    Während das erstgenannte Millieu des "linken Bürgertums", halt doch ne gewisse Kopfstärke erreicht.

    Es stellt sich die Frage ob bei der Linken keiner nen Taschenrechner bedienen kann, um zu bemerken, dass man bei dem Stunt, dessen symbolische Figur Drau Rackete ist, einfach mehr Wähler vergrault als neue dazugewinnt.

    Man Arbeiter programmatisch halt irgendwie komplett an der potentiellen Zielgruppe vorbei. Dabei hat diese ja enorme Sehnsucht nach Repräsentation - nix anderes beweist das BSW, dass außer Frau Wagenknecht praktisch keine Köpfe oder auch nur ein Programm hat.



    Aber jeder wie er will....

  • In Berlin hingegen haben wir einen sozialistisch harten Kern, der sich bei den Linken und Grünen versammelt hat und am liebsten wieder enteignen möchte

    • @eicke81:

      Bei den Grünen? Bezüglich enteignen haben sie sich ja zurück gehalten und taktieren. Mich würde es nicht wundern, wenn sie sich gegen Vergesellschaftung stellen, damit sie diesbezüglich nicht von Marktideolog*innen und Rechten ins Visier genommen werden und nicht ihre wohlhabenderen Anhänger*innen vergrätzen.

  • "Die dominierende Erzählung des Niedergangs geht so: Die dämonische Sahra Wagenknecht hat die Linkspartei durch ihre Abspaltung kaputt gemacht." --> Daran zeigt sich die innere Kaputtheit dieser Partei. Als Wagenknecht noch da war, hat sie die Partei "von innen heraus zerstört" und ihr Austritt wurde herbeigesehnt und gefordert.

    Jetzt ist sie draußen (und bisher erfolgreich), da ist es plötzlich der Austritt, der die Linkspartei zerstörte.

    Jegliche Selbstkritik? Vollständige Fehlanzeige. Tatsächlich stimme ich dem Artikel und vor allem der Schlussanalyse (fast) vollständig zu:

    "ein großer Teil der – ehemaligen – ostdeutschen Anhängerschaft denkt kulturell eher konservativ: [...] Sie erkennen sich in Sahra Wagenknecht mit ihren Häutungen wieder. [...] Sie appelliert an das spezifisch ostdeutsche Milieu, das in der Privatwirtschaft unterwegs ist, sich unter Mühen ein bisschen Wohlstand erarbeitet hat und in dem „bürgerliche“ Regeln wie Fleiß, Arbeit, Ordnung und Respekt vor dem Eigentum zählen. Auch die Migrationsskepsis ist nicht eine demagogische Erfindung von Wagenknecht, sondern repräsentiert eine weit verbreitete Haltung in diesem Milieu." --> uneingeschränkte Zustimmung!

  • Ich finde die Argumentation an sich überzeugend. Trotzdem ist es auch sehr schade, weil gerade sehr aktive und mMn. gute Politiker:innen in der Linkspartei gute Arbeit leisten. ich denke da z.B. sofort an Heidi Reichinnek und frage mich, wo sie z.B. eine politische Heimat finden könnte.



    Die Grünen stellen für mich in dieser Hinsicht einfach keine Alterantive dar, da sie viel zu sehr (und zu breit) im bürgerlich-arrivierten Milieu verankert sind und wahrscheinlich mehr Schnittmengen mit der FDP haben (in gewisser Hinsicht) als mit einem linken Milieu, für das soziale Gerechtigkeit und Umverteilung deutlich wichtiger ist. Zumal den Grünen - zu linke Positionierungen - in ihrem eigenen Milieu immer um die Ohren geflogen sind, da man eben auch durchaus konservative Klientel bedient.

    Die Leerstelle, die die Linke hinterlässt, wird jedenfalls von keiner Partei (aktuell) gefüllt werden und das ist an und für sich ein Problem in meinen Augen.

  • Ich schrieb es hier schon öfters: Die westdeutschen Linken haben offenbar nie begriffen, dass man einen funktionierenden Sozialstaat nicht mit Hausbesetzern und alternativen Lebenskünstlern aufbauen bzw. aufrechterhalten kann.

    Die ostdeutschen Linken dagegen hatten schon mal einen funktionalen Staat aufgebaut und regiert. Sie waren daher auch keine Außenseiter und "Freaks", sondern kamen aus der Mitte (DDR-)Gesellschaft. Sie verkörperten damit alles, was die bundesdeutsche linksextreme "Avantgarde" als spießbürgerlichen Mainstream verachtete.

    Diesen Gegensatz zwischen studentisch-pubertären Revoluzzertum und den echten Anforderungen eines funktionierenden Rechts- und Sozialstaat, haben ja die linken Parteien bis heute nicht so richtig auflösen können. Nicht zuletzt liegt das an der Akademisierung linker Politik. Dabei tut jeder Verwaltungsbeamte, Polizist, Feuerwehrmann oder Rettungssanitäter mehr für den sozialen Frieden als 100 linke Aktivisten an den Universitäten.

    Einen Einwand habe ich aber: S.W. passt überhaupt nicht in dieses skizzierte Schema. Sie war schon zu DDR-Zeiten ein verkopfter Außenseiter und ist es immer geblieben. Sie war nie "eine von uns".

    • @Chris McZott:

      Sehr passend dargestellt, dem schließe ich mich vollumfänglich an.

      Die Akademisierung linker Politik, bzw. genauer, linker Parteien ist sicher ein akutes Problem und teilweise auch ein Grund dafür, dass ein großer Teil der Arbeiterschaft inzwischen AFD wählt. Das gilt für SPD und Grüne aber genauso.

      Ich bin kein Freund der von Rechts in die Welt gesetzten und von SW zu Geld gemachten Legende, die PDL habe nur noch "woke" Themen auf dem Zettel und sich damit zu sehr von den Arbeitern entfernt, aber sicher ist es richtig, dass die PDL dieser Legende nur wenig entgegengesetzt hat. Mit Katja Kipping hatte man eine Vorsitzende, die zumindest in ihrem Habitus dieser Legende Vortrieb gab und auch mit dem "No borders!"-Lager flirtete, dazu der schwäbelnde Bernd Rixinger, der damit in seinem Auftreten auch nicht richtig handfest daherkam, und dann zum Schluss natürlich die Nominierung von Carola Rackete, die das Image einer "woken no borders!"-Partei richtig krass unterstrichen hat.

      Die nur zaghaften Absetzbewegungen von Putin und das naiv-pazifistische Anti-NATO-Gezeter in Folge des russischen Angriffskrieges waren sicher auch nicht hilfreich...

  • "Sie appelliert an das spezifisch ostdeutsche Milieu, das in der Privatwirtschaft unterwegs ist, sich unter Mühen ein bisschen Wohlstand erarbeitet hat und in dem „bürgerliche“ Regeln wie Fleiß, Arbeit, Ordnung und Respekt vor dem Eigentum zählen."

    ... was hier als "ostdeutsches Milieu" beschrieben wird, trifft doch auf die alten Bundesländer genauso zu.

    Gruß



    Fritz

    • @Fritz Müller:

      Nein, überhaupt nicht. Das Wahlverhalten ist ganz anders.

      Soziologisch entspricht die klassische PDS/Linke-Wählerschaft genau der CDU/CSU-Wählerschaft im Westen - sprich: in erster Linie Rentner.

      Menschen mit Meinungen wie "Früher war alles besser, da herrschte noch Zucht und Ordnung und Ausländer gab es keine!" wähl(t)en im Westen CDU/CSU oder rechter. Im Osten hingegen, konnten Sie diese Fraktion genauso gut bei der Linken bzw. heute beim BSW finden.

      Welcher westdeutsche pensionierte Berufssoldat/Polizist wählte denn die PDS oder Linkspartei?

  • Sollte sich Die Linke auflösen (Wer schaut schon gern beim eigenen Untergang zu?), dann müssten sich die ehemaligen, noch in der Partei verbliebenen Ex-Mitglieder der SED wieder eine neue politische Heimat suchen oder neu gründen ...

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Die Alternative:" im Jetzt die konkreten Lebensverhältnisse der Unterprivilegierten zu verbessern". Genau, ich stelle mir schon die Wahlparole für die Partei vor, die sich der Autor vorzustellen scheint: "Der gute Wille zählt!" Vielleicht noch: "Wir meinen es nur gut mit Euch!!!" Gehts noch banaler? Hauptsache, es geht gegen links!

  • Tolle Analyse - fundierter als alles, was bislang diebezüglich auch in der taz publiziert wurde!

  • *galt.. als Totengräberin



    Das ist ja nun widerlegt .