Höcke-Prozess wegen SA-Parole: Ausreden eines Geschichtslehrers
Höcke nutzt NS-Vokabular, um erinnerungspolitische Grenzen zu verschieben und die NS-Zeit zu relativieren. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht.
Höcke nutzte die internationale Bühne und versuchte die Agenda für seinen am Donnerstag in Halle anstehenden Gerichtsprozess zu setzen, bei dem er wegen mehrfacher Verwendung des SA-Spruchs „Alles für Deutschland“ angeklagt ist. „In Deutschland wird jeder Patriot als Nazi diffamiert“, antwortete Höcke Musk auf X, „das soll verhindern, dass Deutschland sich wieder findet“.
Was er mit „wieder finden“ meint, daran ließ er stets wenig Zweifel: Höcke ist bekannt geworden mit NS-relativierenden Tabubrüchen und erinnerungspolitischen Grenzverschiebungen – ob es nun die offenkundig bewusste Verwendung von NS-Sprech mit Wörtern wie „Tat-Elite“ ist oder die Forderung einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“. Auf Höckes Antwort reagierte Musk bislang nicht.
Der Chatverlauf könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was die Öffentlichkeit im Hochsicherheitssaal des Justizzentrums Halle ab Donnerstag erwarten dürfte. Zahlreiche Medienvertreter*innen sind für den Prozess akkreditiert, es ist sogar ein zusätzlicher Mediensaal eingerichtet.
Gut möglich, dass Höcke seinen Strafprozess, bei dem er als Angeklagter persönlich erscheinen muss, auf diese Weise sogar als Wahlkampfbühne nutzen will. Diesen Eindruck hinterließ der Rechtsextremist zuletzt auch beim TV-Duell mit dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt, als er bei Welt-TV die SA-Parole vor einem Millionenpublikum als „Allerweltsspruch“ verharmlosen durfte.
Die Telekom hätte doch auch schon „Alles für Deutschland“ in der Werbung benutzt, behauptete Höcke, ebenso hätte der Spruch an einer Feuerwache im brandenburgischen Jänschwalde gestanden. Tatsächlich bestreitet die Telekom das und will rechtlich gegen Höcke vorgehen und der Spruch an der Feuerwehr wurde erst 1935 angebracht, als die Nazis schon an der Macht waren.
Höcke in bester NS-Gesellschaft
Höckes Agendasetting wird noch haarsträubender, wenn man sich anschaut, wer historisch so alles den Satz „Alles für Deutschland“ benutzt hat. Allen voran etwa die bei den Nürnberger Prozessen verurteilten Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus: So sagte Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, bevor er gehängt wurde: „Alles für Deutschland“.
Der Stellvertreter Adolf Hitlers, Rudolf Heß, sagte bei einer Fahnenweihe: „Sie sollen wehen als Mittelpunkt des Deutschtums und Euch mahnen und Euch Kraft geben, Euer Leben dem Gedanken unterzuordnen: Alles für Deutschland!“, und Alfred Meyer, Teilnehmer der Wannseekonferenz 1942, auf der der Holocaust organisiert wurde, sagte nach dem missglückten Stauffenberg-Attentat: „Kapitulieren niemals! Alles für Deutschland! Alles für unseren Führer Adolf Hitler!“ Die Liste ließe sich verlängern.
Höcke hat den SA-Spruch, soweit bekannt, erstmals öffentlich am Ende einer Wahlkampfrede 2021 im sachsen-anhaltinischen Merseburg benutzt. Im Dezember 2023 wiederholte er die Parole indirekt. Bei einer Rede forderte er sein Publikum in Gera dazu auf, die Parole zu verwenden: Höcke beklagte sein Verfahren wegen der Parole „Alles für …“ und forderte das Publikum per Handgeste auf, den SA-Spruch zu vervollständigen. Das Publikum antwortete lauthals: „… Deutschland!“
Auch dieses Ereignis hat das Gericht letzte Woche in die Anklage aufgenommen. Ursprünglich war Höcke nur für seine erste Verwendung angeklagt, mit der Wiederholung der Parole dürfte er sich aus strafrechtlicher Sicht keinen Gefallen getan haben, ebenso wenig durch seine Social-Media-Ausführungen.
Der Historiker Martin Sabrow sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zur Verwendung der SA-Losung, die diese ab 1934 auf „Ehrendolche“ prägte: „Höcke spielt mit der provokanten Doppeldeutigkeit dieser Losung, die ihre eigentliche Gewalthaftigkeit erst performativ, also im Kontext ihrer Verwendung als pathetischer Slogan entfaltet.“ Aus seiner Sicht sei schwer zu sagen, ob das Merseburger Publikum der Wahlkampfrede Höckes die giftige Einbindung in einen harmlos scheinenden Appell bewusst wahrnahm – „gewiss aber taten es die Hörer, die in Gera Höckes skandierte Parole in begeistertem Echo vollendeten.“
Anklage ließ auf sich warten
Strafrechtler hatten sich darüber gewundert, dass die Staatsanwaltschaft für die Anklage so lange gebraucht hatte – denn strafrechtlich ist der Fall nicht wirklich kompliziert oder umstritten. Der Ex-BGH-Richter Thomas Fischer nannte die lange Verfahrensdauer „ungewöhnlich“, auch der Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi zeigte sich verwundert. Schließlich sei es für einen Rechtsextremisten und Geschichtslehrer schwierig, sich auf historisches Nichtwissen zu berufen.
Auch wenn Höcke das voraussichtlich tun will, scheint das wenig überzeugend: So gab es im Kontext mit der AfD bereits 2017 eine breite Debatte um dieselbe SA-Losung im Zusammenhang mit der AfD. Damals hatte der AfD-Politiker Ulrich Oehme die Parole auf Plakate gedruckt. Oehme überklebte die Plakate nach einer Strafanzeige und breiter medialer Berichterstattung.
Und auch die Frage der Strafbarkeit gilt als geklärt: Es gibt bereits ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm von 2006 zu einem ähnlichen Sachverhalt. Das Gericht verurteilte eine Person, weil diese exakt die Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hatte. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht „das Verwenden der Sentenz 'Alles für Deutschland im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung“ als einen „strafbaren Ausspruch“ an – „da es sich hierbei um die Losung der SA handelte“. Strafbar ist das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach Paragraf 86a mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe.
Sogar sein passives Wahlrecht kann Höcke durch den Prozess eventuell verlieren, wie mittlerweile eine Gerichtssprecherin angab. Wenn er zu mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, könnte ihm das Gericht auch das aktive und passive Wahlrecht absprechen. Eine Petition mit 1,7 Millionen Unterschriften fordert derzeit, dem Rechtsextremisten das Wahlrecht zu entziehen.
Korrektur, 19.4.: In einer früheren Version des Artikels hieß es fälschlich, dass Höcke sein passives Wahlrecht durch den Prozess nicht verlieren könne. Das haben wir korrigiert.
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